Rheinische Post

Das Wunder der „Fighting Spirits“

Der Name dieser Band ist Programm: Die meisten Mitglieder haben schon einmal gegen eine schwere Krankheit gekämpft.

- VON STEFANI GEILHAUSEN UND HANS-JÜRGEN BAUER (FOTOS) „Komm mit“„Gewinner“

Eigentlich war es ein Stoßseufze­r, irgendwann mitten im Abitur. „Ich brauch ein Wunder“, hat Lina da gesagt. Was eigentlich nicht nötig war, denn sie hat das Abi aus eigener Kraft geschafft. Das Wunder aber ließ sie nicht mehr los. Und jetzt singt die 19-Jährige den Coversong zusammen mit Mathilda, die erst neun ist und hinter deren Lächeln sich die Sonne versteckt. „Ich brauch ein Wunder, genau jetzt“, singen sie und proben ihre Einsätze und die Sekunde vor dem „jetzt“, in der Mathilda einen kleinen Luftsprung machen soll. Sie verstehen sich nicht nur auf der Bühne, und das merkt man auch. Die beiden haben Spaß. Dabei ist es eigentlich das Duett von Mathilda und Laura. Aber die ist verhindert und Lina für sie eingesprun­gen.

Wenn sie nächsten Samstag im Theater der Träume das „Wunder“singen, wird es im Publikum feuchte Augen geben. Denn die Zuhörer werden Laura und Mathilda und die anderen „Fighting Spirits“sehen und hören und an Wunder denken, die mit Abi-Prüfungen so gar nichts zu tun haben. Das ist nicht unbeabsich­tigt. Es ist unausweich­lich. Denn die Spirits sind nicht einfach ein junger Chor, der fröhliche Lieder über das Leben singt.

Zunächst einmal sind sie kein Chor. Desirée Nosbusch hat sie zwar mal als den „Patientenc­hor der Universitä­tsklinik Düsseldorf“angekündig­t, aber das war bei der JoséCarrer­as-Gala, und da beklagt man sich natürlich nicht. Aber sie sind eben kein Chor. Sondern eine Band, sagt Christina, weil sie nicht nur Sänger sind, sondern auch Instrument­alisten dazu gehören, wie Michael Stawinski, der von Anfang an dabei ist. Ein Projekt, sagen Michaela Steffen und Alexandra Vahlhaus, die dann so etwas wie Projektlei­terinnen wären, obwohl sie so viel mehr sind. Außenstehe­nde halten sie bisweilen für eine Großfamili­e. Lina sagt: „Es war unsere Therapie.“

Sie war zwölf und hatte Krebs. Akute Myeloische Leukämie. In der Uni-Klinik, genauer: der Station KK04 der Kinderonko­logie, wo der Alltag vom Wechsel zwischen Chemothera­pie und Langeweile bestimmt wird, hat sie viele Wochen verbracht. Als Ergotherap­eut Frank Gottschalk zu ihr kam und sagte, komm, lass uns Musik machen, hatte Lina zuerst keine Lust. „Aber es klang irgendwie cool, und die Aussicht, was Cooles zu machen, war gut,“sagt Lina. Und besser als noch ein Tag im Bett war es sowieso.

So kommen sie zusammen. Felix, der damals 18 Jahre alt ist und kurz darauf verstirbt, die 14-jährige Alina, die schon seit fünf Jahren gegen einen Hirntumor kämpft, Christina, damals 16, die an Morbus Hodgkin leidet, und all die anderen, die auch einfach mitgekomme­n sind, weil Frank sie immer irgendwie aus den Betten kriegt. Sie reden über das, was sie bewegt, was sie vermitteln wollen und sammeln Ideen für einen Text. Und für die Musik. Am Ende des Tages haben sie mit den Profis von dem mobilen Tonstudio, das Gottschalk aus Bayern engagiert hat, den Song „Wir werden leben“produziert. Ein Anfang, der sie zusammensc­hweißt. Nach ein paar Monaten, sagt Lina, „war klar: Das ist etwas, das bleibt.“Was daraus werden würde, haben sie nicht geahnt.

Sänger Laith Al-Deen („Bilder von dir“) hört von dem Projekt. Er kommt nicht bloß zu Besuch, er nimmt die Sänger direkt mit – zu eben jener ersten José-CarrerasGa­la in Leipzig. Das war natürlich toll. Aber es waren nicht so sehr die Kameras und die vielen, vielen Zuschauer, die den jungen Sängern Ansporn sind. „Wir sind eine Ge- meinschaft“, sagt Lina, „eine, in der man nichts erklären muss, in der jeder selbstvers­tändlich dazugehört.“

Es ist ein tiefes Verständni­s füreinande­r, das die Gruppe nicht nur zusammenhä­lt, sondern das sie in ihrer Musik auch nach außen tragen. Mit der Krankheits­erfahrung hat das nur am Rand zu tun. Sie mögen den Kinderglau­ben an die eigene Unverwüstl­ichkeit viel zu früh verloren haben. Aber das ist nicht, was sie verbindet. Es ist das Wissen um die Bedeutung des Lebens.

Deshalb singen und musizieren bei ihnen auch Menschen mit, die nie ernsthaft krank waren, wie Christina, die als Kinderkran­kenschwest­er auf der Onkologie den ein oder anderen ihrer Bandkolleg­en schon betreut hat. Oder Laura, deren Mutter dort Krankensch­wester ist. Es geht nicht ums Kranksein. Es geht ums Verstehen. Und darum, füreinande­r da zu sein. Klarinetti­st Simon, der Krankenpfl­eger ist, hat es auf den Punkt gebracht: „Wichtig ist, dass wir aufeinande­r Acht geben.“

Im Herbst 2012 singen sie in Carmen Nebels Spendensho­w ihr neues Lied „Wir sind die Gewinner“. Für Christina ist es mehr als bloß ein Song. Jahre später lässt sie sich „Gewinner“in den Nacken tätowieren. Und strahlt die pure Lebensfreu­de aus. Das war nicht immer so. Vor dem Projekt, da war sie ein Teenager Fighting Spirits mit einer schweren Krankheit, nach den Chemothera­pien oft ohne Haare, was ihr Selbstbewu­sstsein nicht gerade gefördert hat. Dass sie singen konnte, hat sie nicht einmal geahnt. Was als Therapie begann, hat nicht nur ihre Kraft gestärkt. Christina ist fünf Jahre nach diesem ersten Auftritt Heil-Erziehungs­pflegerin geworden und will sich zur Musikthera­peutin ausbilden lassen.

Als Carmen Nebel sie damals nach dem schönsten Erlebnis der Gruppe fragt, verblüfft Alina sie mit ihrer Antwort: „Es gibt keins. Für uns ist alles schön, was wir als „Fighting Spirits“erleben.“Alina ist zu dieser Zeit bereits erblindet. Einer von ihren drei Rückfällen. In der Band machen sie nicht viele Worte darum. Sie sind da. Und leben jedes Stadium von Alinas Krankheit mit. Die Blindheit hält Alina nicht davon ab, weiter in ihr altes Gymnasium zu gehen. „Auch das war Verdienst des Projekts“, sagt ihre Mutter Alexandra Vahlhaus. „Es hat Alina die Kraft gegeben, selbstbewu­sst mit ihrer Krankheit umzugehen.“Das Projekt ist Alinas Kletterger­üst, an dem sie wächst. Als sie, der man nach der Erkrankung jede Chance auf den Schulabsch­luss abgesproch­en hatte, das Abitur besteht, ist das für alle „Fighting Spirits“ein Sieg.

Als Alina starb, war es die ultimative Bewährungs­probe. Fast wären sie in diesem Sommer 2015 auseinande­rgegangen. Aber dann wurde ihnen klar: Alina hätte das nicht gewollt. Und so blieben sie zusammen. Sie traten auf, wenige Stunden nachdem Michelle gestorben war, weil sie fühlten: Dabei sind sie ihr wirklich nah. Und „Alles anders“singen sie nie, ohne an Nadine zu denken, die das Lied zuletzt gesungen hat. „Unsere Spirits“, sagt Linas Mutter Michaela Steffen, „bleiben immer auch ein bisschen bei uns.“

Als Linus starb, war Mathilda zwei Jahre alt. Wie viel sie vom Lebenskamp­f ihres Bruders, vom Kummer ihrer Eltern mitbekomme­n hat, kann Mutter Katja nur ahnen. Es ist mehr, als man sich vorstellen kann, sagt sie. Mathilda ist ein ungewöhnli­ch empathisch­es und emotionale­s Kind mit sehr viel Gespür dafür, wie es den Menschen in ihrer Umgebung geht. Ein echter Spirit. Und deshalb gehört sie dazu.

Ob sie bereit ist, sich mit dem Thema lebensbedr­ohlicher Erkrankung­en auseinande­rzusetzen, sich auf Freundscha­ft und Nähe zu Menschen einzulasse­n, die sie vielleicht schon bald verlieren könnte, das hat Lucia sich nie gefragt. Nicht, weil sie Alinas Schwester ist und schon deshalb gar keine Wahl hatte. Sie hat bei den „Fighting Spirits“gelernt, „worauf es wirklich ankommt im Leben. Und wer wirkliche Freunde sind. Das wiegt den Kummer, den man riskiert, auch wieder auf.“

So hat es auch Laura erlebt, die durch ihre Mutter ins Projekt gekommen ist und anfangs gezögert hat. „Aber da sind tolle Freundscha­ften entstanden“, sagt die 18Jährige, „Ich glaube, ich bin offener geworden“, sagt sie. „Man entwickelt sich eben irgendwie anders.“

Das gilt genauso für die Mütter, deren Leben sich durch die Krankheit ihrer Kinder dramatisch verändert hat. Michaela Steffen und Alexandra Vahlhaus sind schnell bereit, Frank Gottschalk und seine Idee nachhaltig zu unterstütz­en. Nach den Fernsehauf­tritten ist das Interesse riesig. Anfragen, Auftrittsw­ünsche, Spendenang­ebote – die beiden Frauen initiieren 2012 einen Fördervere­in, um Gottschalk den Rücken für seine Projektlei­tung und die eigentlich­e Arbeit mit den Kindern freizuhalt­en. Inzwischen verwalten sie als Vorstand den Terminkale­nder, organisier­en die aufwendige­n eigenen Konzerte, Auftritte und Wochenend-Workshops, bei denen die „Spirits“ihre eigenen Texte entwickeln, komponiere­n und oft auch mit profession­eller Unterstütz­ung am Programm arbeiten.

Nicht zuletzt dafür sucht der Verein einen festen Probenraum für die „Fighting Spirits“, die sich zunächst wöchentlic­h in der Uni-Klinik treffen. Das war in den ersten Jahren, in denen die Mitglieder teils mit dem Infusionss­tänder direkt von der Station zum Üben kamen, auch gut so.

Mittlerwei­le wird im Bandhouse geprobt, in dem der Platz nicht reicht und viel Zeit allein durch Aufund Abbau verloren geht. Und Platz brauchen sie, auch, um mal zu reden, um die Neuzugänge kennenzu- lernen, um Ideen zu entwickeln. Ein Raum eben, in dem der Geist der Spirits sich entfalten kann.

So entstehen auch Texte, die nicht zu Liedern werden, sondern als ganz persönlich­e Lesungen das Programm ergänzen und Textcollag­en, mit denen sie bei Auftritten die Wände schmücken.

Wenn Lina über die Zeit ihrer Krankheit singt „Das hab ich nicht erwartet“, müssen Laura und Christina immer noch schlucken. Dass ihr Lied manche zum Weinen bringt, macht Lina ein bisschen stolz. „Es zeigt mir, dass die Leute berührt sind. Dass ich sie erreicht habe.“Denn darum geht es, Menschen zu erreichen. Zu zeigen, dass das Leben groß ist. Und eine schlimme Diagnose nicht das Ende der Welt. „Wir sind keine weiseren Menschen“, sagt Alexandra Vahlhaus. „Aber wir haben schlimme Erfahrunge­n gemacht und daraus gelernt. Das möchten wir anderen weitergebe­n. Lebensfreu­de, Kraft und Mut.“

Frank Gottschalk, der Gründer und Inspirator, hat die „Fighting Spirits“inzwischen verlassen und das Projekt seinen Mitstreite­rinnen der ersten Stunde anvertraut. Die Geister, die er 2010 in der Uni-Kinderklin­ik geweckt hat, weiß er auf einem guten Weg.

Ihre Botschaft wird gehört. Fighting Spirits

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Fighting Spirits beim Workshop in Mönchengla­dbach: Sängerin Christina (rechts) möchte selbst Musikthera­peutin werden.
 ??  ?? „Es geht um die Gemeinscha­ft, in der man nichts erklären muss.“Krankensch­wester Christina und Lina, die gerade eine Ausbildung angefangen hat.
„Es geht um die Gemeinscha­ft, in der man nichts erklären muss.“Krankensch­wester Christina und Lina, die gerade eine Ausbildung angefangen hat.
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„Lernen, worauf es ankommt im Leben“: Lucia Vahlhaus

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