NRW stellt Jamaika-Koalition infrage
Ministerpräsident Laschet sieht durch die Grünen den Industriestandort Deutschland gefährdet. Ihren Forderungen nach einem Braunkohle-Ausstieg in den Jamaika-Gesprächen erteilt er eine Abfuhr.
BERLIN/DÜSSELDORF NordrheinWestfalens Ministerpräsident Armin Laschet hat für die heutigen Jamaika-Sondierungen in Berlin harten Widerstand der Union gegen die grüne Energie- und Klimapolitik angekündigt. Er drohte sogar mit einem Scheitern der Koalitionsverhandlungen. „Wenn der Industriestandort Deutschland gefährdet wird, können wir keine Koalition machen“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. Die Grünen wollen die 20 schmutzigsten Braunkohlewerke sofort schließen lassen.
Laschet ist der Verhandlungsführer der Union für Klima, Energie und Umwelt. Er sagte: „Die Grünen wissen, dass sie für die harten Forderungen keinen Partner haben.“Klimaschutz sei wichtig, aber auch der Erhalt von Arbeitsplätzen sei ein moralisches Ziel. „Wenn Sie Braunkohlekraftwerke in der Lausitz schließen und das die Erwerbsgrundlage für Tausende Menschen entzieht, dann haben Sie demnächst 30 Prozent AfD.“Die Union werde nicht sofort substanzielle Zu- geständnisse machen: „Da muss man es zur Not krachen lassen.“
Experten warnten dagegen vor einer zu zögerlichen Klimaschutzpolitik. „Ein Bekenntnis zum Klimaziel 2020 ist zentral, sonst verliert Deutschland seine internationale Glaubwürdigkeit“, mahnte Patrick Graichen, Chef der Denkfabrik Agora Energiewende. Das Ziel ist es, bis 2020 Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren. „Um uns herum gibt es eine enorme Dynamik: Großbritannien, Frankreich, Kanada, die Niederlande und Italien haben jüngst jeweils Klimaschutz-Initiativen gestartet und Kohleausstiege beschlossen“, sagte Graichen. „Das Thema Kohle wird eine wesentliche Rolle spielen, denn Kohle ist der klimaschädlichste Energieträger.“
Stefan Rahmstorf, leitender Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sagte: „Nur die rasche Stilllegung von Kohlekraftwerken kann das 2020-Ziel jetzt noch erreichbar machen. Das hätte auch unmittelbare positive Auswirkungen auf die Luftverschmutzung und die Gesundheit der Menschen.“
Unterdessen bekannte sich NRWEnergieminister Andreas Pinkwart (FDP) gestern überraschend exakt zu den Zielen des NRW-Klimaschutzgesetzes, das die rot-grüne Vorgängerregierung 2013 unter dem Protest von CDU und FDP verabschiedet hatte. „Bezogen auf das Basisjahr 1990 werden wir die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 25 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent senken“, sagte Pinkwart in Düssel- dorf. Nach seinen Angaben ist das CO2-Ziel für NRW bis 2020 durch die schon beschlossene Abschaltung von fünf Braunkohle-Kraftwerksblöcken in Niederaußem, Neurath und Frimmersdorf gewährleistet. Ein eigenes ökologisches Leuchtturmprojekt konnte Pinkwart nicht nennen. „Uns geht es mehr um eine neue Herangehensweise“, sagte er.
Nach einem vertraulichen Papier aus der NRW-Landesregierung könnten CDU und FDP bei den Jamaika-Verhandlungen einen Kompromiss mit der CSU bei der Mütterrente vorschlagen, wonach diese nicht weiter aufgestockt, dafür aber nicht mehr auf die Grundsicherung angerechnet werden soll. An der Maut, die bislang bei NRW-Politikern aller Lager auf Kritik stieß, sollte unbedingt festgehalten werden, um die Finanzierung der Straßeninfrastruktur zu sichern. Das Asylbewerberleistungsgesetz solle beibehalten werden und das Ruhrgebiet eine besondere Förderung erhalten. Dafür sollte eine Ausdehnung der Förderung ländlicher Räume unterbleiben.
BERLIN/DÜSSELDORF Das von CDU und FDP regierte NRW ist als bevölkerungsreichstes Bundesland wichtig für die Sondierungen einer Jamaika-Koalition im Bund. Ein internes Papier, das unserer Redaktion vorliegt, hält auf knapp 50 Seiten die Wünsche sämtlicher Landesministerien für die Verhandlungen in Berlin fest. Mit dem schwarz-gelben Papier könnten die Unterhändler für eine schwarz-gelb-grüne Koalition im Bund unter Druck geraten. Ein NRW-Regierungssprecher bestätigte, es handele sich um „eine Sammlung von Meldungen aus den Res- sorts für mögliche Punkte bei den Koalitionsverhandlungen“. Ruhrgebiet Das Papier fordert von der künftigen Bundesregierung mehr Unterstützung für das Ruhrgebiet, zur Not auch zulasten des ländlichen Raums: „Regionen mit besonderem Entwicklungsbedarf – vor allem das Ruhrgebiet – brauchen Strukturperspektive eine Ausdehnung/Schwerpunkt der Förderung auf regionale Daseinsvorsorge in strukturschwachen Regionen und ,ländlichen Räumen’ als neue Kulisse der Gemeinschaftsaufgabe sollte unterbleiben, da ansonsten das Ruhrgebiet weiter benachteiligt würde.“ Finanzen Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags soll dem Papier zufolge nur schrittweise erfolgen. Eine „Bürgerversicherung“wird abgelehnt, die Mütterrente soll nicht auf die Grundsicherung angerechnet, die Rentenansprüche von Geringverdienern aber aufgestockt werden. Es soll eine „Pflicht zur Betriebsrente“geben, die betriebliche Altersvorsorge als zweite Säule der Alterssicherung. Für die Alterssicherung von Frauen wird die Einführung einer „durchgängigen Rentenversicherungspflicht“gefordert. Familie In dem Papier wird ein „Kindergeld 2.0“vorgeschlagen, aufgeteilt in einen einkommensunabhän- gigen Grundbetrag sowie ein „Kinder-Bürgergeld“, das die wirtschaftliche Situation der Eltern berücksichtigt. Der Finanzierungsanteil des Bundes an den Ausgaben für den Unterhaltsvorschuss soll von 40 auf 50 Prozent angehoben werden. Migration Es soll ein „modernes und transparentes Einwanderungsgesetz“geben sowie eine „vollständige Übernahme der Kosten der Länder für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern durch den Bund“. Der Bund soll sich stärker an den Kosten für Menschen mit ungeklärter Bleibeperspektive beteiligen und die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bei Geflüchteten aus Syrien überprüfen. Die Einführung eines Generationenschnitts beim Doppelpass im Staatsangehörigkeitsrecht wird gefordert, das umstrittene Asylbewerberleistungsgesetz soll nicht abgeschafft, die Maghrebstaaten sollen zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Sicherheit Die Überwachung von Telekommunikation soll auch für „die Strafverfolgung von qualifiziertem Einbruchdiebstahl“möglich werden, ebenso die „Nutzung des Mautsystems“für Zwecke der Strafverfolgung, insbesondere bei mobilien Einbruch-Intensivtätern. Infrastruktur Der Bund soll „durch Festhalten am Thema Maut“die Finanzierung der Straßeninfrastruktur sichern. Die Lkw-Mautdaten sollen für Verkehrsprognosen genutzt werden dürfen. Bei der Breitbandförderung durch den Bund sollen Glasfaserausbau und Anschlüsse von Schulen, Gewerbegebieten und Städten im Fokus stehen. Doel Die neue Bundesregierung soll nicht unbedingt auf eine Abschaltung der belgischen Pannenreaktoren Doel und Tihange bestehen. Laut Papier soll „der sichere Betrieb durch geeignete Maßnahmen garantiert oder eine baldige Abschaltung ermöglicht werden“.