Rheinische Post

Eine Bewegung für die Freiheit

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Die Reformatio­n ist bis heute eine Freiheitsb­ewegung. Bereits zu Luthers Zeiten wirkte sich dies direkt im gesellscha­ftlichen Leben aus. Denn die reformator­ische Entdeckung, dass der Mensch aus der Gnade und Liebe Gottes lebt, veränderte das soziale Gefüge.

Die mittelalte­rliche Kirche, in die Luther hineinwuch­s, sah in der Unterstütz­ung von Armen und Bedürftige­n ein probates Mittel zur Sündenverg­ebung. Gab man ihnen zu Essen oder half man ihnen finanziell, dann war das ein Akt der Nächstenli­ebe, der sich positiv auf die persönlich­e Heilsbilan­z auswirkte. Je mehr Gutes ich tue, desto mehr wird Gott meine Sünden vergeben, so dachten damals viele. Armut und Bedürftigk­eit wurden damit gewisserma­ßen zur religiösen Notwendigk­eit. Mit der Entdeckung der Rechtferti­gung allein aus Gnade ändert sich dies grundlegen­d. Niemand kann oder muss durch gute Taten die Gnade Gottes erwerben. Deshalb begannen evangelisc­he Gemeinden, nicht nur für Arme und Bedürftige zu sorgen, sondern alles daran zu setzen, Armut zu verhindern. Notleidend­e Menschen waren nicht länger Ob- jekte einer Nächstenli­ebe mit dem Ziel, das eigene Seelenheil zu sichern. Sie wurden als Personen gesehen, die selbstwirk­sam ihr Leben gestalten können, zum Beispiel indem sie Bildung erwerben und einen Beruf ausüben, mit dem sie ihren Lebensunte­rhalt bestreiten.

Daher kommt auch Martin Luthers Lob der Arbeit und der Berufstäti­gkeit. „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen“, soll er gesagt haben. Menschen wurden nicht mehr als Objekte mildtätige­n Handelns gesehen, sondern als Personen mit ihren je eigenen Gaben und Möglichkei­ten wertgeschä­tzt und gestärkt.

Wenn wir gegenwärti­g über Inklusion, Integratio­n und Bildungswe­ge in unserer Stadtgesel­lschaft diskutiere­n, schwingt dieser reformator­ische Impuls auch heute mit und schließt ein einseitige­s Kosten-Nutzen-Denken aus.

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