Silvester: Viele Angriffe auf Polizisten
Auch Sanitäter und Feuerwehrleute wurden mehrfach Opfer von Attacken.
DÜSSELDORF/BERLIN (csh/dpa) Bundesweit sind in der Silvesternacht Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrleute während des Dienstes von Randalieren attackiert und zum Teil schwer verletzt worden. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Sachsens Ressortchef Roland Wöller (CDU), verurteilte die Attacken. „Wer Rettungskräfte attackiert, greift unseren Rechtsstaat und die Demokratie an“, sagte er der „Welt“. Deshalb müssten die Straftäter die ganze Härte des Gesetzes erfahren, so Wöller.
Allein in NRW wurden bis zum Neujahrsmorgen 25 Polizisten verletzt. In Oberhausen wurden zwei Beamte mit Raketen beschossen. Sie erlitten ein Knalltrauma; der mutmaßliche Täter wurde in Ge- wahrsam genommen. In Köln musste eine Polizeibeamtin am Auge behandelt werden, weil ein Böller in Höhe ihres Kopfes explodiert war. In Moers wurden vier Polizisten infolge einer Schlägerei verletzt. In Dortmund wurden Ordnungskräfte beim Versuch, eine Schlägerei zu beenden, angegriffen und mit einer täuschend echt aussehenden Schusswaffe bedroht.
In Berlin zählte die Feuerwehr acht Angriffe auf Einsatzkräfte und 57 auf Einsatzfahrzeuge. In einem Fall wurde die Besatzung eines Rettungswagens von mehreren Männern mit Schusswaffen bedroht. In Bremen gingen 50 Randalierer mit Böllern und Raketen auf Bahnmitarbeiter und Polizisten los. In Leipzig musste die Polizei mit Wasserwerfern ausrücken, nachdem Beamte mit Steinen und Knallkörpern beworfen worden waren.
In NRW wurde die Polizei bis zum Neujahrsmorgen 4300-mal alarmiert und damit 500-mal häufiger als beim vergangenen Jahreswechsel. Meist ging es um einfache Körperverletzung (465 Fälle), gefährliche Körperverletzung (172 Fälle) oder Sachbeschädigung (363 Fälle). Leitartikel Seite A 2 Nordrhein-Westfalen
In Nordrhein-Westfalen wurde die Polizei zum Jahreswechsel 4300-mal alarmiert
KÖLN Um halb acht könnte diese Silvesternacht für Anna schon beendet sein. „Ich kann nicht mehr“, lallt sie ihren beiden Begleitern entgegen. „Ich hatte schon Sekt, Wein und Bier, ich bin voll.“Dabei soll der Abend doch jetzt erst losgehen, Startort Dortmund, Zielort Köln. „Irgendeinen Club“gibt einer von Annas Begleitern als Ziel an.
Der Regionalzug aus der Westfalen- in die Rheinmetropole ist nur mäßig gefüllt. Kaum jemand muss stehen, dafür fließt in nahezu allen Doppelstockwaggons der Alkohol. Kleine Gruppen Jugendlicher sind auf dem Weg durch NRW, zu privaten oder öffentlichen Partys, auf der Zugfahrt wird vorgeglüht.
Noch vor einem Jahr stoppte die Bundespolizei einen solchen Zug am Bahnhof Köln-Deutz, 300 Anreisende, die die Polizei als „Nafris“(Polizei-Jargon für Nordafrikaner) identifizierte, mussten aussteigen und wurden kontrolliert. Weitere 674 Männer, die ins Profil „Nordafrikaner“passten, kesselten die Beamten wenig später am Kölner Hauptbahnhof ein und kontrollierten ihre Personalien. Ein Aufschrei folgte diesen Kontrollen: Die einen empörten sich, dass die Polizei Menschen nur aufgrund ihres Äußeren zusammenpferchte. Die anderen ärgerten sich darüber, dass im Jahr nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen wieder große Gruppen von Männern mit Migrationshintergrund nach Köln kamen.
Die sogenannten Nafris sind auch Silvester 2018 wieder da. Wobei die Polizei das Wort in diesem Jahr vermeidet und es sich, wie schon im Vorjahr, weniger um Nordafrikaner als um Afghanen, Iraker oder Syrer handelt. Im Vorfeld hatten die Sicherheitsbehörden gegen 24 Männer Bereichsbetretungsverbote für die Kölner Innenstadt ausgesprochen – sie waren bereits in der Ver- gangenheit an Silvester straffällig geworden. Gemeinsam mit Flüchtlingsinitiativen und städtischen Ämtern hatte man in der ganzen Region versucht, Aufklärungsarbeit unter den Geflüchteten zu leisten: über Verhaltensregeln, Gesetze und Verbote. Kölns Polizeisprecher Wolfgang Baldes beschreibt das so: „Wir haben mit der Gießkanne gewedelt, damit möglichst viele Wasser abbekommen.“Doch längst nicht allen Geflüchteten ist bewusst, was die Silvesternacht 2016 angerichtet hat, welche Vorbehalte es seitdem unter Sicherheitsbehörden und in großen Teilen der Bevölkerung gegen sie gibt.
Shahd zum Beispiel ist vor zwei Jahren aus dem Irak geflüchtet. Mit seinen drei Kumpels ist er auf dem Weg von Dortmund nach Düsseldorf, im Gepäck eine Packung Feuerwerksraketen und eine Apfelschorle. „Wir treffen am Bahnhof noch Freunde“sagt er. Wohin sie dann wollen? Achselzucken. „Mal schauen“, sagt Shahd auf Englisch. Vom Böllerverbot in der Altstadt und den Vorbehalten vor Gruppen ausländischer Männer wisse er nichts. „Wir sind friedlich, wir wollen nur feiern“, sagt er noch. Dann müssen sie aussteigen, beäugt von Polizeikräften der „Beweis- und Festnahmeeinheit“(BFE), die am Bahngleis alle Reisenden kritisch in Augenschein nehmen. Mit Großkontrollen und Rundum-Überwachung erreichte die Polizei schon zum vergangenen Jahreswechsel den gewünschten Erfolg: Keine sexuellen Massenübergriffe rund um den Kölner Dom, keine 1200 Anzeigen, keine Wiederholung der „Nacht der Schande“.
Zu einer ganz ähnlichen Bilanz wird die Polizei auch am Neujahrstag 2018 kommen. Erneut haben die Sicherheitskräfte der Stadt nahezu alles aufgefahren, was sie zu bieten haben. Die Gänge des Hauptbahn- hofs, dessen Vorplatz und die Straßen und Plätze rund um den Dom gleichen einem Ameisenhaufen, nur dass die Ameisen Uniform und hier und dort sogar Maschinenpistolen tragen. Allerdings verzichten die Ordnungskräfte dieses Jahr auf Großkontrollen bestimmter Personengruppen, ein Ergebnis der Einsatzauswertung vom vergangenen Jahr. „Wir haben die Strategie geändert. Wir behalten alles und jeden im Auge. Wer hier friedlich feiern will, der kann das tun, egal wie er oder sie aussieht. Wer sich daneben benimmt, gegen den gehen wir sofort vor“, sagt Baldes.
Was er damit meint, bekommen gegen 23 Uhr zwei Jugendliche zu spüren, die pöbelnd durch die Menge im Bahnhof torkeln. Zwölf Beamte umkreisen die beiden, drücken sie zu Boden, durchsuchen ihre Kleidung. Eine Flasche Jägermeister landet auf dem Boden. Die Jungs wirken erschrocken, eingeschüch- tert. Als um Mitternacht rund 15.000 Menschen auf dem Roncalliplatz bei Live-Musik und Lichtershow das neue Jahr begrüßen, strahlen die Organisatoren. „Alles bestens, alles ruhig, alles super organisiert“, sagt Landesinnenminister Herbert Reul (CDU), als er sich gegen 0.30 Uhr ein Bild der Lage am Bahnhof verschafft. „Die Bürger erwarten, dass wir sie schützen, dass wir ein Gefühl der Sicherheit schaffen“, sagt Reul. Dabei helfen sollen – neben Polizisten, vielen Polizisten – auch die sogenannten Sicherheitszonen. „Männer durch die Mitte, Frauen rechts und links“, weist eine Mitarbeiterin eines privaten Sicherheitsdienstes an.
Auch wenn die Polizei „deutlich mehr Besucher als im Vorjahr“zählt, bleibt es vor den Kontrollstellen meist ruhig. Eine Anzeige von drei Frauen wird eingehen. Sie geben an, beim Warten an Po und Brust begrapscht worden zu sein.
„Wir sind friedlich, wir wollen nur feiern“Shahd Flüchtlinga aus dem Irak