UND DIE WELT Das graue Wunderland
Ausgewogen ist diese Schau natürlich nicht. Aber welche ist das schon? Bei aller Jahresanfangs-Euphorie darf nicht vergessen werden, dass die Schere zwischen Arm und Reich hierzulande weiter auseinandergeht. Armut hat es immer schon gegeben, auch in den wundersamstenWunderwirtschaftsjahren.Doch Armut kannte früher Grenzen, die heute gefallen sind. Im deutschen Wirtschaftswunderland 2018 ist die Universität zwar für jedermann zugänglich, doch ist Bildung stärker als früher ein Privileg der ohnehin schon Gebildeten. Wohnraum in den größeren Innenstädten ist ein Luxusgut und das medizinische Versorgungssystem derart löchrig, dass Termine bei Fachärzten Glückssache sind. Ohne Zweitjob ist für viele ungenügend ausgebildete Arbeitskräfte eine Familie nicht mehr über die Runden zu bringen.
Zu einer Zivilisation gehört nicht allein das Gedeihen der Wirtschaft. Die keineswegs nostalgisch gemeinte Frage wird darum sein, wie viel Solidarität sich ein Land leisten kann. Vielleicht ist dann in einem der reichsten Länder dieser Welt wieder ein Leben möglich, das für zu viele Menschen nicht Tag für Tag unter dem Vorzeichen des Überlebens stehen muss. Und vielleicht kann man dann auch das Evangelium wieder verbindlicher leben – und nicht nur zur gerade zurückliegenden Weihnachtszeit.