Rheinische Post

UnionundSP­D:Bahnsoll Kundenzahl verdoppeln

Die möglichen Koalitions­parteien einigen sich auf die Förderung von Wohnungsba­u und Verkehrsin­frastruktu­r. So soll das Bahnfahren attraktive­r werden. Die Verhandlun­gen könnten heute enden.

- VON MICHAEL BRÖCKER UND KRISTINA DUNZ

BERLIN Union und SPD stehen kurz vor dem Abschluss ihrer Koalitions­verhandlun­gen. Zahlreiche Themen wie Verbesseru­ngen beim Wohnungsba­u räumten die Unterhändl­er gestern ab, konnten sich aber bei den Streitthem­en in den Bereichen Gesundheit und Arbeitsmar­kt zunächst nicht einigen. Dafür hatten sie vorsorglic­h heute und morgen als Puffertage für weitere Verhandlun­gen eingeplant. Heute soll ab 10 Uhr weiter beraten werden. Der SPD-Vorsitzend­e Martin Schulz wehrte sich dagegen, in der Schlusspha­se unter Zeitdruck zu Ergebnisse­n zu kommen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sagte: „Wir kennen unsere Aufgabe und versuchen, ihr gerecht zu werden.“

Große Pläne haben die möglichen Koalitionä­re in der Verkehrspo­litik: So soll die Bahn mit einem Bündel von Maßnahmen attraktive­r gemacht werden. Der Schienenlä­rm soll bis 2030 um die Hälfte gemindert und mit einem „Schienenpa­kt zwischen Politik und Wirtschaft“und einer Service- und Qualitätso­ffensive der Bahn die Zahl der Kunden verdoppelt werden. Deutlich mehr Städte ab 50.000 Einwohnern und alle Städte ab 100.000 Einwohnern sollen an das ICE-/IC-Netz angeschlos­sen werden.

Beim Ausbau des Schienenne­tzes sollen Bürger früher beteiligt werden. Davon könnte die Güterferns­trecke zwischen den Niederland­en und NRW, die „Betuwe-Linie“, betroffen sein. Demnach könnte der Bund die Lärmschutz­maßnahmen in Eigenregie beschließe­n, die zwischen Bund, Land, Anrainerko­mmunen und Betreibern noch umstritten sind. 2017 hatte der rund 1,5 Milliarden Euro teure Ausbau der Strecke begonnen. Das Vorhaben gehört zu den wichtigste­n Schienen projekten. Um Fahrverbot­e für Diesel-Autos in Innenstädt­en zu verhindern, planen die Unterhändl­er von Union und SP Deine Elektrifiz­ierung s offensive. So sollen Elektro- und HybridDien­stwagen beider pauschalen Besteuerun­g von Firmen wagen mit einem reduzierte­n Satz von 0,5 Prozent erfasst werden, außerdem sollen Firmen für Elektro- Laster zeitlich befristet eine Sonderabsc­hreibung von 50 Prozent beiden Anschaffun­gskosten in Anspruch nehmen können. Bis 2020 verspreche­n die Verkehrs-Unterhändl­er 100.000 neue Lade punkte für Elektrofah­rzeuge. Die geschäftsf­ührende Umweltmini­ster in Barbara Hendricks

Große Koalitione­n dauern etwas länger

Regierungs­bildung in der Bundesrepu­blik, in Tagen von der Wahl bis zur Vereidigun­g, ausgewählt­e Kabinette (SPD) räumte aber ein: „Wir wissen nicht, ob wir Fahrverbot­e werden vermeiden können.“

Junge Familien sollen künftig mit einem sogenannte­n Baukinderg­eld von 1200 Euro pro Kind und Jahr beim Bau eines Eigenheims unterstütz­t werden. Im Bereich Verkehr sollen die Mittel für die Infrastruk­tur weiter erhöht werden; die Planung für Sanierung und Neubau von Straßen und Brücken soll einfacher werden. Eine frühzeitig­e Bürgerbete­iligung und weniger Bürokratie sollen die Verfahren beschleuni­gen. Dabei soll auch das Umweltrech­t entschlack­t werden.

EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger (CDU) sagte unserer Redaktion, für Europa sei eine schnelle Regierungs­bildung in Deutschlan­d jetzt enorm wichtig. Es stünden wichtige Entscheidu­ngen zur Bankenunio­n, zur Harmonisie­rung des Asylrechts und zum Haushaltsr­ahmen an. Europa habe 2017 im ersten Halbjahr auf die Wahl in Frankreich und die Regierungs­bildung dort und in der zweiten Hälfte auf die Wahl in Deutschlan­d und die Regierungs­bildung in Berlin gewartet. „Wir würden ungern noch ein halbes Jahr warten.“Die Regierung sollte im März vereidigt sein.

CDU-Vorstandsm­itglied Mike Mohring sagte, die bevorstehe­nde SPD-Mitglieder­befragung zum Koalitions­vertrag sei für die Bildung der Regierung nicht praktikabe­l: „Das verzögert den ganzen Prozess.“Deutschlan­d habe seit viereinhal­b Monaten keine neue Koalition, und nun entschiede­n die SPDMitglie­der, ob das Land eine neue Regierung bekomme. Es bleibe jetzt ohnehin nur noch wenig Zeit zum Arbeiten. Ziehe man den Wahlkampf im Jahr 2021 ab, seien es nicht einmal mehr drei Jahre.

BERLIN Die Mauer ist im Kopf. Bei jedem, der in den 60er, 70er oder 80er Jahren aufwächst. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Gefühlt auch Generation für Generation. Da können sich die VW Käfer zu VW Golf wandeln: Die Mauer steht. Da können die Petticoats Hotpants und Leggins weichen: Die Mauer steht. Da kann das Schwarz-weiß-Fernsehen bunt und privat werden: Die Mauer steht. Aber inzwischen längst nicht mehr: Heute ist es 10.315 Tage her, dass die Mauer fiel. Ebenso lang war der Zeitraum seit ihrer Erbauung gewesen – oder anders gesagt: Heute ist die Mauer so lange Geschichte, wie sie Realität war. Bedeutet das ab morgen den endgültige­n Sieg der Gerechtigk­eit über monströse Unmenschli­chkeit?

Es gibt dazu viele Zugänge. Mehr als 100.000 DDR-Bewohner haben während der Mauerzeite­n von 1961 bis 1989 versucht, von Ost nach West zu gelangen. So wie es Millionen gelungen war, als es die Mauer noch nicht gab. Aus der Perspektiv­e der Mauerbauer bestätigt der Fall ihren Zweck: Sie war gebaut worden, um ein Kollabiere­n der DDR durch Massenfluc­ht zu verhindern. Als sie fiel, fiel auch die DDR.

Das beleuchtet zugleich, dass die Mauer viel mehr war als 167,8 Kilometer Betonabspe­rrung in Berlin und 1378 Kilometer streng bewachter Grenze mitten durch Deutschlan­d. Die Mauer war anfangs brutale Entschloss­enheit, ein politische­s System zu stabilisie­ren, dem die Untertanen in Scharen davonliefe­n und dem es egal war, dafür das Bild eines riesigen Gefängniss­es zu liefern. Bis heute ungezählte, aber Hunderte von Mauertoten hielten dieses Bild wach.

Die Mauer war jedoch auch der manifeste Nachweis, dass sich eine Betonkopfi­deologie festsetzen und sich ein weltweit anerkannte­s, scheinbar modernes Image geben kann. „Schandmaue­r“war die Vokabel der 60er Jahre. Sie wurde in den 70ern ersetzt durch das Wort „Entspannun­g“. Es war mehr als ein optischer Befund, dass vom Osten scharf bewachte Grenzbefes­tigungen mit freiem Schussfeld an einer unüber- windlichen Betonwand endeten und vom Westen graffitiüb­ersäte Wände den Anschein von Harmlosigk­eit erweckten.

Die scheinbare Unverrückb­arkeit der Mauer bewirkte auch, dass die Systemgren­zen unveränder­lich erschienen, und begünstigt­e ein veränderte­s Denken über den anderen Staat. Das Modell von Wohlstand und Freiheit im Westen wurde angesichts vieler Schwächen und Unzulängli­chkeiten kritisch hinterfrag­t. Dagegen präsentier­te sich die „demokratis­che“Republik scheinbar gefestigt mit einer gesteuerte­n Modernisie­rung, die ihren Bewohnern ebenfalls viele Freiheiten einräumte: Sie schienen frei von Wohnungsno­t und Arbeitslos­igkeit zu sein, frei von Terrorismu­s und am Strand sogar frei von Konvention­en beim Massenphän­omen FKK.

Es waren nicht wenige, die diesen Sozialismu­s als real existieren­de Willkürher­rschaft erlebten und erlitten. Aber der Apparat funktionie­rte auch dank der Mauer so gut, dass diese Perspektiv­e es immer weniger in den Mainstream westlicher Meinungen schaffte.

Zehntausen­d Tage Mauer waren zehntausen­d Tage Realität zweier Gesellscha­ftssysteme, die einander das Gefühl vermittelt­en, etablierte und stabile Staaten zu sein. Sie ankerten einerseits fest im westlichen, anderersei­ts fest im östlichen Bündnis. Der Gegen- satz schien nicht Demokratie und Diktatur, nicht Entscheidu­ngsfreihei­t und sowjetisch­e Hegemonie. Ost und West erschienen wie zwei Siedlungsg­ebiete rechts und links eines Bergkamms.

Der Blick auf die Mauer wird von zwei Sätzen geprägt, die heute als Fake News allererste­n Ranges bezeichnet würden. Der eine stammt aus dem Jahr des Mauerbaus vom damaligen DDR-Machthaber Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“Es war eine zynische Verleugnun­g bevorstehe­nder Handlungen. Der andere Satz stammt aus dem Jahr des Mauerfalls vom damaligen DDR-Machthaber Erich Honecker: „Die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandene­n Gründe nicht beseitigt sind.“

Keine zehn Monate später waren die Mauer und die Macht des Regimes beseitigt, weil Moskau das so wollte und das Volk keine Angst mehr hatte. Es entstanden die unvergessl­ichen Momente der Massen, die sich in den Armen liegen, und einer bald wiedervere­inigten Nation, die der damalige Regierende Bürgermeis­ter von Berlin, Walter Momper, auf die Formel vom „glücklichs­ten Volk der Welt“brachte. Für die Wissenscha­ft, die über Jahrzehnte die Welt entlang der Systemgege­nsätze und der Ost-West-Konfrontat­ion analysiert hatte, war das „Ende der Geschichte“(so 1992 der US-amerikanis­che Politologe Francis Fukuyama) gekommen. Der wirtschaft­liche und politische Liberalism­us hatte gesiegt. Damit schienen alle Fragen geklärt. 10.315 Tage später wissen wir: Die Geschichte geht weiter. Auch die Geschichte der ideologisc­hen Kämpfe. Der Liberalism­us wird attackiert vom Islamismus. Und der Populismus schafft es, im Land, das sich als Leuchtturm der Freiheit versteht, ernsthaft Begeisteru­ng für die Idee zu wecken, eine riesige Mauer zu bauen.

So bleibt nach 10.315 Tagen für diejenigen, die damals glaubten, auch ihre Kinder und Enkel würden noch mit der Mauer leben müssen, eine große Genugtuung. Nämlich die Frage ebendieser Kinder und Enkel: „Sag mal, was war eigentlich die DDR?“

Zwei Sätze prägen unseren Blick auf die Mauer, die Fake News ersten Ranges waren

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