UnionundSPD:Bahnsoll Kundenzahl verdoppeln
Die möglichen Koalitionsparteien einigen sich auf die Förderung von Wohnungsbau und Verkehrsinfrastruktur. So soll das Bahnfahren attraktiver werden. Die Verhandlungen könnten heute enden.
BERLIN Union und SPD stehen kurz vor dem Abschluss ihrer Koalitionsverhandlungen. Zahlreiche Themen wie Verbesserungen beim Wohnungsbau räumten die Unterhändler gestern ab, konnten sich aber bei den Streitthemen in den Bereichen Gesundheit und Arbeitsmarkt zunächst nicht einigen. Dafür hatten sie vorsorglich heute und morgen als Puffertage für weitere Verhandlungen eingeplant. Heute soll ab 10 Uhr weiter beraten werden. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz wehrte sich dagegen, in der Schlussphase unter Zeitdruck zu Ergebnissen zu kommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: „Wir kennen unsere Aufgabe und versuchen, ihr gerecht zu werden.“
Große Pläne haben die möglichen Koalitionäre in der Verkehrspolitik: So soll die Bahn mit einem Bündel von Maßnahmen attraktiver gemacht werden. Der Schienenlärm soll bis 2030 um die Hälfte gemindert und mit einem „Schienenpakt zwischen Politik und Wirtschaft“und einer Service- und Qualitätsoffensive der Bahn die Zahl der Kunden verdoppelt werden. Deutlich mehr Städte ab 50.000 Einwohnern und alle Städte ab 100.000 Einwohnern sollen an das ICE-/IC-Netz angeschlossen werden.
Beim Ausbau des Schienennetzes sollen Bürger früher beteiligt werden. Davon könnte die Güterfernstrecke zwischen den Niederlanden und NRW, die „Betuwe-Linie“, betroffen sein. Demnach könnte der Bund die Lärmschutzmaßnahmen in Eigenregie beschließen, die zwischen Bund, Land, Anrainerkommunen und Betreibern noch umstritten sind. 2017 hatte der rund 1,5 Milliarden Euro teure Ausbau der Strecke begonnen. Das Vorhaben gehört zu den wichtigsten Schienen projekten. Um Fahrverbote für Diesel-Autos in Innenstädten zu verhindern, planen die Unterhändler von Union und SP Deine Elektrifizierung s offensive. So sollen Elektro- und HybridDienstwagen beider pauschalen Besteuerung von Firmen wagen mit einem reduzierten Satz von 0,5 Prozent erfasst werden, außerdem sollen Firmen für Elektro- Laster zeitlich befristet eine Sonderabschreibung von 50 Prozent beiden Anschaffungskosten in Anspruch nehmen können. Bis 2020 versprechen die Verkehrs-Unterhändler 100.000 neue Lade punkte für Elektrofahrzeuge. Die geschäftsführende Umweltminister in Barbara Hendricks
Große Koalitionen dauern etwas länger
Regierungsbildung in der Bundesrepublik, in Tagen von der Wahl bis zur Vereidigung, ausgewählte Kabinette (SPD) räumte aber ein: „Wir wissen nicht, ob wir Fahrverbote werden vermeiden können.“
Junge Familien sollen künftig mit einem sogenannten Baukindergeld von 1200 Euro pro Kind und Jahr beim Bau eines Eigenheims unterstützt werden. Im Bereich Verkehr sollen die Mittel für die Infrastruktur weiter erhöht werden; die Planung für Sanierung und Neubau von Straßen und Brücken soll einfacher werden. Eine frühzeitige Bürgerbeteiligung und weniger Bürokratie sollen die Verfahren beschleunigen. Dabei soll auch das Umweltrecht entschlackt werden.
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) sagte unserer Redaktion, für Europa sei eine schnelle Regierungsbildung in Deutschland jetzt enorm wichtig. Es stünden wichtige Entscheidungen zur Bankenunion, zur Harmonisierung des Asylrechts und zum Haushaltsrahmen an. Europa habe 2017 im ersten Halbjahr auf die Wahl in Frankreich und die Regierungsbildung dort und in der zweiten Hälfte auf die Wahl in Deutschland und die Regierungsbildung in Berlin gewartet. „Wir würden ungern noch ein halbes Jahr warten.“Die Regierung sollte im März vereidigt sein.
CDU-Vorstandsmitglied Mike Mohring sagte, die bevorstehende SPD-Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag sei für die Bildung der Regierung nicht praktikabel: „Das verzögert den ganzen Prozess.“Deutschland habe seit viereinhalb Monaten keine neue Koalition, und nun entschieden die SPDMitglieder, ob das Land eine neue Regierung bekomme. Es bleibe jetzt ohnehin nur noch wenig Zeit zum Arbeiten. Ziehe man den Wahlkampf im Jahr 2021 ab, seien es nicht einmal mehr drei Jahre.
BERLIN Die Mauer ist im Kopf. Bei jedem, der in den 60er, 70er oder 80er Jahren aufwächst. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Gefühlt auch Generation für Generation. Da können sich die VW Käfer zu VW Golf wandeln: Die Mauer steht. Da können die Petticoats Hotpants und Leggins weichen: Die Mauer steht. Da kann das Schwarz-weiß-Fernsehen bunt und privat werden: Die Mauer steht. Aber inzwischen längst nicht mehr: Heute ist es 10.315 Tage her, dass die Mauer fiel. Ebenso lang war der Zeitraum seit ihrer Erbauung gewesen – oder anders gesagt: Heute ist die Mauer so lange Geschichte, wie sie Realität war. Bedeutet das ab morgen den endgültigen Sieg der Gerechtigkeit über monströse Unmenschlichkeit?
Es gibt dazu viele Zugänge. Mehr als 100.000 DDR-Bewohner haben während der Mauerzeiten von 1961 bis 1989 versucht, von Ost nach West zu gelangen. So wie es Millionen gelungen war, als es die Mauer noch nicht gab. Aus der Perspektive der Mauerbauer bestätigt der Fall ihren Zweck: Sie war gebaut worden, um ein Kollabieren der DDR durch Massenflucht zu verhindern. Als sie fiel, fiel auch die DDR.
Das beleuchtet zugleich, dass die Mauer viel mehr war als 167,8 Kilometer Betonabsperrung in Berlin und 1378 Kilometer streng bewachter Grenze mitten durch Deutschland. Die Mauer war anfangs brutale Entschlossenheit, ein politisches System zu stabilisieren, dem die Untertanen in Scharen davonliefen und dem es egal war, dafür das Bild eines riesigen Gefängnisses zu liefern. Bis heute ungezählte, aber Hunderte von Mauertoten hielten dieses Bild wach.
Die Mauer war jedoch auch der manifeste Nachweis, dass sich eine Betonkopfideologie festsetzen und sich ein weltweit anerkanntes, scheinbar modernes Image geben kann. „Schandmauer“war die Vokabel der 60er Jahre. Sie wurde in den 70ern ersetzt durch das Wort „Entspannung“. Es war mehr als ein optischer Befund, dass vom Osten scharf bewachte Grenzbefestigungen mit freiem Schussfeld an einer unüber- windlichen Betonwand endeten und vom Westen graffitiübersäte Wände den Anschein von Harmlosigkeit erweckten.
Die scheinbare Unverrückbarkeit der Mauer bewirkte auch, dass die Systemgrenzen unveränderlich erschienen, und begünstigte ein verändertes Denken über den anderen Staat. Das Modell von Wohlstand und Freiheit im Westen wurde angesichts vieler Schwächen und Unzulänglichkeiten kritisch hinterfragt. Dagegen präsentierte sich die „demokratische“Republik scheinbar gefestigt mit einer gesteuerten Modernisierung, die ihren Bewohnern ebenfalls viele Freiheiten einräumte: Sie schienen frei von Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit zu sein, frei von Terrorismus und am Strand sogar frei von Konventionen beim Massenphänomen FKK.
Es waren nicht wenige, die diesen Sozialismus als real existierende Willkürherrschaft erlebten und erlitten. Aber der Apparat funktionierte auch dank der Mauer so gut, dass diese Perspektive es immer weniger in den Mainstream westlicher Meinungen schaffte.
Zehntausend Tage Mauer waren zehntausend Tage Realität zweier Gesellschaftssysteme, die einander das Gefühl vermittelten, etablierte und stabile Staaten zu sein. Sie ankerten einerseits fest im westlichen, andererseits fest im östlichen Bündnis. Der Gegen- satz schien nicht Demokratie und Diktatur, nicht Entscheidungsfreiheit und sowjetische Hegemonie. Ost und West erschienen wie zwei Siedlungsgebiete rechts und links eines Bergkamms.
Der Blick auf die Mauer wird von zwei Sätzen geprägt, die heute als Fake News allerersten Ranges bezeichnet würden. Der eine stammt aus dem Jahr des Mauerbaus vom damaligen DDR-Machthaber Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“Es war eine zynische Verleugnung bevorstehender Handlungen. Der andere Satz stammt aus dem Jahr des Mauerfalls vom damaligen DDR-Machthaber Erich Honecker: „Die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt sind.“
Keine zehn Monate später waren die Mauer und die Macht des Regimes beseitigt, weil Moskau das so wollte und das Volk keine Angst mehr hatte. Es entstanden die unvergesslichen Momente der Massen, die sich in den Armen liegen, und einer bald wiedervereinigten Nation, die der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, auf die Formel vom „glücklichsten Volk der Welt“brachte. Für die Wissenschaft, die über Jahrzehnte die Welt entlang der Systemgegensätze und der Ost-West-Konfrontation analysiert hatte, war das „Ende der Geschichte“(so 1992 der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama) gekommen. Der wirtschaftliche und politische Liberalismus hatte gesiegt. Damit schienen alle Fragen geklärt. 10.315 Tage später wissen wir: Die Geschichte geht weiter. Auch die Geschichte der ideologischen Kämpfe. Der Liberalismus wird attackiert vom Islamismus. Und der Populismus schafft es, im Land, das sich als Leuchtturm der Freiheit versteht, ernsthaft Begeisterung für die Idee zu wecken, eine riesige Mauer zu bauen.
So bleibt nach 10.315 Tagen für diejenigen, die damals glaubten, auch ihre Kinder und Enkel würden noch mit der Mauer leben müssen, eine große Genugtuung. Nämlich die Frage ebendieser Kinder und Enkel: „Sag mal, was war eigentlich die DDR?“
Zwei Sätze prägen unseren Blick auf die Mauer, die Fake News ersten Ranges waren