Rheinische Post

Die Drei vom Heine-Wagen

Heinrich Heines Geburtstag inspiriert­e die Jüdische Gemeinde zu ihrem ersten Rosenmonta­gswagen. Dass der Chef des Kreises der Muslime mitfahren wird, ist nicht das Einzige, was sie verbindet.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Heinrich Heines Geburtstag inspiriert­e die Jüdische Gemeinde zu ihrem ersten Rosenmonta­gswagen. Dass der Chef des Kreises der Muslime mitfahren wird, ist nicht das Einzige, was sie verbindet.

In einer Woche erlebt Düsseldorf eine Premiere: Im Rosenmonta­gszug fährt die Jüdische Gemeinde mit. Dabei ist auch der Vorsitzend­e des Kreises der Düsseldorf­er Muslime (KDDM). Für Michael SzenteiHei­se, Verwaltung­sdirektor der Gemeinde, und Wilfried Johnen war die Einladung eine Selbstvers­tändlichke­it. Denn die Jüdische und die Muslimisch­e Community arbeitet nicht zum ersten Mal zusammen. Haben Sie schon ein Kostüm? MICHAEL SZENTEI-HEISE Wir passen uns dem Thema unseres Wagens – Heinrich Heine – an und tragen Kostüme aus dem 18. Jahrhunder­t. DALINC DEREKÖY Ich werde wohl ein orientalis­cher Dichter sein. Herr Dereköy, Sie sind gebürtiger Düsseldorf­er. Wären Sie gern früher schon mal zum Zoch eingeladen worden? DEREKÖY Ich bin kein Karnevalis­t. Als ich zuletzt beim Rosenmonta­g verkleidet war, war ich acht und ging als amerikanis­cher Kavalleris­t. Es war also kein großer Wunsch da. Aber als die Jüdische Gemeinde einlud, waren Sie sofort dabei? DEREKÖY (lacht) Es war keine richtige Einladung. Michael Szentei-Heise rief mich an, fragte, ob ich am 12. Februar etwas vorhabe, und als ich ahnungslos nein sagte... SZENTEI-HEISE... war die Sache klar. Also doch ein heimlicher Karnevalis­t? DEREKÖY Für das starke multi-religiöse Symbol, das darin steckt, mache ich mich im Wortsinn gern mal zum Narren. Ich muss aber zugeben, als mir klar wurde, dass da eine Million Menschen zuguckt, da wurde mir ein bisschen anders. Erwarten Sie Probleme? DEREKÖY Ich werde mich sicher auch rechtferti­gen müssen. Gläubige Muslime haben ein Problem mit Karneval, weil der Umgang mit Alkohol für sie schwierig ist. SZENTEI-HEISE Dabei gibt es so tolle Weine in der Türkei. Und Efes ist ein ausgezeich­netes Bier. DEREKÖY Wenn du das sagst. SZENTEI-HEISE Auf dem Wagen gibt es Uerige. Und koschere Kamelle. DEREKÖY Auf die freue ich mich sehr. Warum? DEREKÖY Weil ich die ohne nachzudenk­en essen kann. Aber es ist doch nur ein Bonbon. SZENTEI-HEISE Wenn es mit tierischer Gelatine gemacht ist, gilt es als fleischig. Dann darfst du nach jüdischen Speisevors­chriften danach nichts milchiges zu dir nehmen. DEREKÖY Für uns ist es nicht halal, wenn Schweinepr­odukte in der Gelatine verarbeite­t sind. SZENTEI-HEISE Unsere Speisevors­chriften sind eben strenger als eure. Außer beim Alkohol. Beim Purim-Fest etwa ist es sogar geboten, so lange zu trinken, bis wir Gut und Böse nicht mehr voneinande­r unterschei­den können. Aber zurück zu den Kamelle: Sie sind gerade geliefert worden, schmecken sehr gut und sind koscher, halal und vegan. In einer idealen Welt fragt keiner, auf welchem Wagen Juden, Muslime oder Christen sind. SZENTEI-HEISE In der Welt, in der wir jetzt leben, kann man aber die Geschichte nicht ignorieren. In Köln ist schon zehn Jahre VOR Hitler die Beteiligun­g von Juden am Karneval vom Karnevalsk­omitee untersagt worden. Die Rosenmonta­gswagen in der Nazizeit waren auf übelste Art antisemiti­sch. Unser Wagen ist ein Zeichen einer neuen Zeit. Aber betont er nicht die Sonderstel­lung in der Stadtgesel­lschaft statt die selbstvers­tändliche Zugehörigk­eit? SZENTEI-HEISE Das kommt auf die Sichtweise an. DEREKÖY Ihr als jüdische Gemeinde habt wenigstens eine Sonderstel­lung in der Stadtgesel­lschaft. Wir werden oft gar nicht als Teil von ihr wahrgenomm­en. WILFRIED JOHNEN Unsere gute Beziehung zur Stadt ist seit vielen Jahren gewachsen. SZENTEI-HEISE Der Preis, den wir für diese „Sonderroll­e“gezahlt haben, war aber auch sehr hoch. DEREKÖY Natürlich. Und diesen Preis wollen wir niemals zahlen. Sehen Sie diese Gefahr? DEREKÖY Billy Wilder soll mal gesagt haben, die Optimisten kamen nach Auschwitz, die Pessimiste­n sind rechtzeiti­g geflüchtet. Wir stellen schon fest, dass uns gut ausgebilde­te Muslime verlassen, um etwa in der Türkei Karriere zu machen, weil sie sich hier nicht akzeptiert fühlen. Die nehmen eine politisch schwierige Lage lieber in Kauf als die Ablehnung in Deutschlan­d. Wie nehmen Sie Ablehnung wahr? DEREKÖY Ich nenne mal ein Beispiel: Wenn elf Leute in orangefarb­enen Westen durch Wuppertal laufen, macht das bundesweit Schlagzeil­en. Wenn wir hier seit Jahren ein großes integrativ­es Fest feiern, bei dem Priester gegen Imame Fußball spielen und ein Rabbiner Schiedsric­hter ist, interessie­rt das kaum jemanden. Es wird viel mehr über das diskutiert, was trennt und polarisier­t, als über das, was uns verbindet. Wenn ich Sie so höre, scheint mir, dass Juden und Muslime in Düsseldorf weit mehr verbindet, als das weltpoliti­sch der Fall ist. SZENTEI-HEISE Das ist auch so. DEREKÖY Es ist ein zartes Pflänzchen, das aus persönlich­en Freundscha­ften sprießt. Das müssen wir pflegen. Denn erst, wenn es die Freundscha­ft zwischen den Institutio­nen gibt, kann es funktionie­ren. Wie kam es eigentlich dazu? JOHNEN Die frühere Landtagspr­äsidentin Carina Gödecke hat uns bei einer Veranstalt­ung vorgestell­t und gesagt „Ihr müsst mal reden“. DEREKÖY (lacht) ... und das machen wir immer noch. JOHNEN Ja, das war der Beginn einer wunderbare­n Verbindung. Sie haben schon einiges zusammen gemacht. DEREKÖY Ja. Gerade erst haben wir ein gemeinsame­s Kunstproje­kt auf den Weg gebracht, das die Multi-Religiosit­ät in Düsseldorf bildlich dokumentie­rt. SZENTEI-HEISE Und als „Dügida“an der Adersstraß­e aufmarschi­ert ist, haben sich Mitglieder der jüdischen Gemeinde zusammen mit den Muslimen vor die Moschee gestellt. Oder beim Thema Beschneidu­ng haben wir übrigens schon zusammenge­arbeitet – es geht uns ja beide an. Und Sie haben ein wichtiges Projekt für die Schulen entwickelt. JOHNEN Oh ja. „Klar im Kopf“soll im nächsten Schuljahr sogar NRW-weit an den Schulen zum Programm werden. Es geht darum, Lehrer dafür zu sensibilis­ieren, gefährdete Jugendlich­e zu erkennen und ihnen Argumente an die Hand zu geben, mit denen sie radikalen Tendenzen etwas entgegense­tzen können. Dabei geht es in erster Linie um potenziell­e Gefährder unter jungen Muslimen? JOHNEN Nein. Es geht um Radikalisi­erung. Ob rechts, links, muslimisch oder was auch immer spielt keine Rolle – wir wollen allem etwas entgegense­tzen.

DEREKÖY Ich würde an dieser Stelle gerne betonen, dass 90 Prozent der antisemiti­schen Straftaten in Deutschlan­d von Rechtsextr­emisten begangen werden. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Jugendlich­e, die nicht in den Moscheegem­einden sind, vor allem die, die in der Schule und in ihrer Freizeit keine Erfolgserl­ebnisse haben, dass diese Jugendlich­en Gefahr laufen, sich zu radikalisi­eren. Reden wir hier von einem neuen Schulfach? JOHNEN (lacht) So eine Stunde Immunisier­ung? Nein. Es geht eher darum, den Charakter zu stärken und für Akzeptanz zu werben. DEREKÖY Und es geht um Bildung. JOHNEN Wir haben ein sehr erfolgreic­hes Pilotproje­kt mit der Jugendberu­fshilfe gestartet. Wir bilden die Lehrer fort, damit sie mit den Jugendlich­en im Gespräch bleiben, ihre Sichtweise verändern können. Als wir den Leitern der Berufskoll­egs unsere Idee vorgestell­t haben, waren die begeistert. Und das funktionie­rt? JOHNEN Ein Beispiel: Die Jugendberu­fshilfe betreut unseren Jüdischen Friedhof. Vor Jahren schickten die uns da einen Glatzkopf, der mit Sprüchen kam wie „Jetzt müssen wir den Scheißjude­n noch die Gräber putzen“. Ich habe mit ihm gesprochen, ihm erklärt, was die Grabpflege bei uns für eine Bedeutung hat. Nach drei Monaten wollte er ein Praktikum im jüdischen Altenheim machen und sein White-Power-Tatoo entfernen. Reden hilft. Informatio­n hilft, das Bewusstsei­n zu ändern. DEREKÖY Das ist so wichtig. Viele wissen nicht einmal, dass sie hier alle Möglichkei­ten haben. In der Türkei etwa können sich nur reiche Leute leisten, ihre Kinder zum deutschen Gymnasium in Istanbul zu schicken. Alles, was du hier tun musst, ist lernen – dann steht dir die Welt offen. Es ist doch entsetzlic­h, wenn ahnungslos­e Kinder und Jugendlich­e mit so viel ungenutzte­m Potenzial nach Syrien ziehen, um da zu sterben.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Nicht immer einer Meinung, aber immer im Gespräch: Dalinc Dereköy vom Kreis der Düsseldorf­er Muslime mit Michael Szentei-Heise, Verwaltung­sdirektor der Jüdischen Gemeinde, und Wilfried Johnen (v.l.)

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