Grundschule: NRW erwägt Kehrtwende
Die Schulministerin denkt über die Rückkehr der verbindlichen Gutachten nach.
DÜSSELDORF In der Debatte um den Wechsel der Viertklässler auf die weiterführenden Schulen unternimmt Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) einen weitreichenden Vorstoß: Sie erwägt, die Macht der Lehrer beim Übergang in die fünfte Klasse wieder zu stärken. „Mir sagen Lehrer, und zwar aus allen Schulformen und unaufgefordert: Sie wünschen sich das verbindliche Grundschulgutachten zurück“, sagte Gebauer unserer Redaktion.
Das sei gerade für eine Liberale zwar eine schwierige Entscheidung, fügte die Ministerin hinzu: „Ich muss die Wünsche der Schulen gegen das hohe Gut des Elternwillens abwägen.“Wenn aber die Schulen einen solchen Wunsch äußerten, „dann muss dies die Landesregie- rung aufhorchen lassen, und man sollte darüber nachdenken dürfen“.
Derzeit spricht die Grundschule für jeden Viertklässler am Ende des ersten Halbjahres eine Empfehlung für eine weiterführende Schulform aus; sie ist aber seit 2011 in Nordrhein-Westfalen nicht mehr ver- bindlich. In der vergangenen Woche haben gut 150.000 Viertklässler solche Empfehlungen bekommen; in den kommenden Wochen und Monaten folgen die Anmeldungen für die weiterführenden Schulen.
Zwischen 2006 und 2011 galten die von der schwarz-gelben Landesregierung erlassenen Regeln für den Fall, dass die Eltern anderer Meinung als die Schule waren. Hatte das Kind nur eine eingeschränkte Empfehlung für die angestrebte Schulform, etwa das Gymnasium, folgte ein verpflichtendes Beratungsgespräch; danach entschieden die Eltern. Hatte das Kind keine Empfehlung für die gewählte Schulform, musste es an einem dreitägigen Prognoseunterricht teilnehmen. Danach entschieden drei Fachleute, darunter zwei Lehrer – war mindestens einer der Meinung der Eltern, durfte das Kind die gewünschte Schulform besuchen.
Der Prognoseunterricht betraf ein bis zwei Prozent der Viertklässler; etwa ein Drittel durfte danach die höhere Schulform besuchen. Dazu, ob sie sich für Zweifelsfälle wieder ein solches Verfahren vorstellen könnte, äußerte sich Gebauer nicht.
„Ich muss die Wünsche der Schulen gegen den Elternwillen abwägen“Yvonne Gebauer (FDP) Schulministerin
Ich weiß noch, wie es mit der Überwachung anfing: Ich war 13 Jahre alt und hatte mein erstes Handy – genau wie meine Freunde. Es war ungewohnt, nicht mehr zu Hause anrufen zu müssen, weshalb die erste Frage immer war: „Wo bisse?“Meistens war die Antwort: zu Hause. Bevor es Smartphones, Facebook und Whatsapp gab, haben wir uns zum Spielen rausgeklingelt oder in der Schule verabredet. Und wenn wir zu Verwandten gefahren sind und nicht pünktlich da waren, haben die sich einfach gedacht: Ach ja, Stau. Seit es Handys gibt, denken sie: Hoffentlich ist nichts passiert. Mit dem Handy wurde Kommunikation zur Pflicht – denn nun war man ja tat- sächlich überall erreichbar. Also kann man ja wohl erwarten, dass sich der Andere meldet, wenn er im Stau steht. Gleichzeitig ging Verbindlichkeit verloren: Früher musste man pünktlich sein, wenn man sich um 15 Uhr verabredet hatte, weil der andere ja wartete. Heute kann man sich kurzfristig abstimmen, weil man es doch mal wieder nicht rechtzeitig schafft. Zuletzt ist mir aufgefallen, wie sehr mich diese Entwicklung verändert hat. Bei Whatsapp wird mit zwei blauen Haken angezeigt, ob jemand die Nachricht gelesen hat oder nicht. Manche Menschen haben das ausgestellt – mich macht das wiederum nervös, wenn ich mit ihnen kommuniziere, weil es sich ein Stück weit nach Kontrollverlust anfühlt. Bei anderen wiederum, die die blauen Haken aktiviert haben, werde ich nervös, wenn Nachrichten wenige Minuten später noch nicht die beiden blauen Haken haben – könnte ja was passiert sein. Ich glaube, dass dieses Gefühl auch in andere Lebensbereiche ausstrahlt, weil die Überwachungstechnik uns zwar vermeintliche Sicherheit und Kontrolle gebracht, uns aber gleichzeitig einer Sache beraubt hat, die meine Mutter früher Gottvertrauen nannte. Ich wünsche mir wieder mehr davon, Smartphone hin oder her.