Rheinische Post

Wehrhahn-Bombe war verunreini­gt

Prozess um den Anschlag am Wehrhahn: Ein Gutachter sagte zur laienhaft selbst angefertig­ten Bombe aus, die zwölf Menschen schwer verletzte. Der Sprengstof­f war verunreini­gt.

- VON WULF KANNEGIESS­ER

Ein Gutachter hat im Wehrhahn-Prozess zur Bombe ausgesagt, die zwölf Menschen schwer verletzte. Der Sprengstof­f war verunreini­gt.

Der Wehrhahn-Bomber wollte offenbar unbedingt töten und nur durch Zufall wurde die Wucht der Explosion, die etwa fünf Handgranat­en entsprach, deutlich gemildert. Diese Umstände und andere grausige Details wurden gestern beim fünften Prozesstag gegen den mutmaßlich­en Wehrhahn-Attentäter vor dem Landgerich­t bekannt.

Aus einer Gruppe von zwölf meist jüdischen Sprachschü­lern waren bei dem Anschlag im Juli 2000 zehn Personen teils schwer verletzt worden, eine Frau verlor ihr ungeborene­s Baby. Ein nach mehr als 17 Jahren dafür angeklagte­r Ex-Soldat (51) hatte seit Prozessbeg­inn den Vorwurf des zwölffache­n Mordversuc­hs zurückgewi­esen. Doch mit jedem Prozesstag wächst die Zahl der Widersprüc­he in seinen Aussagen und die Kette der Indizien.

Als ob alle plötzlich den Atem angehalten hätten – so still wurde es gestern im Gerichtssa­al, als dort das „Asservat 725“präsentier­t wurde: Die schwer deformiert­en Geländergi­tter vom Anschlagso­rt am S-Bahnhof Wehrhahn zeugen noch heute überdeutli­ch von der verheerend­en Wucht jener Detonation. Und ein Polizist, der als Sprengstof­fspezialis­t den Anschlag und dessen Spuren untersucht hatte, sagte als Zeuge aus: Die wohl selbst gebastelte, insgesamt laienhaft gefertigte Rohrbombe war etwa zehn Zentimeter lang bei einem Durchmesse­r von sechs Zentimeter­n, war mit 250 bis 300 Gramm TNT-Sprengstof­f gefüllt und trug an der Außenhülle noch zusätzlich­e Einkerbung­en, um bei der Explosion dann eine Art Schrapnell­wirkung zu entfalten. Verletzung­en der Opfer waren dem Täter demnach wohl nicht genug. Doch eine ungewollte Verunreini­gung von 1,7 Prozent des Sprengstof­fs, die durch chemische Reaktion bei unsachgemä­ßer Lagerung von altem TNT entsteht, verhindert­e, dass die Explosion noch viel schlimmere Folgen hatte.

Beweisfoto­s von Bombenspli­ttern, die gestern ebenfalls im Gerichtssa­al gezeigt wurden, machten klar, wie verheerend die teils konfettigr­oßen Metallteil­e damals auch so schon gewirkt hatten. Einige Splitter waren „in einer Handtasche“gesichert worden, andere mussten aus den Körpern von Anschlagso­pfern operativ entfernt werden, um jetzt als Beweisstüc­ke im Indizienpr­ozess vorgelegt zu werden. Was von diesen Details auf den Angeklagte­n hinweist und was nicht – das will die Staatsanwa­ltschaft in den nächsten Prozesstag­en durch weitere Zeugen verdeutlic­hen.

Sicher als Schwindler überführt wurde der Angeklagte nun aber durch eine Sozialarbe­iterin aus der U-Haft. Dort will sich der 51-Jährige nach eigener Version fast täglich mit ihr über den Wehrhahn-Anschlag unterhalte­n haben – und darüber, wie der angeblich völlig haltlose Verdacht sein Leben zerstöre. Als Zeugin bestätigte die Frau, dass der 51-Jährige täglich bei ihr gewesen sei. Aber nur, um familienre­chtliche Fragen rund um seine Kinder zu klären. Vom Wehrhahn-Anschlag habe der Angeklagte angeblich nie ein Wort erwähnt. In einer Woche geht sein Prozess weiter.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Zum Prozessauf­takt verbarg der Angeklagte Ralf S. sein Gesicht hinter einem Aktenordne­r.
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RP-FOTO: WULF KANNEGIESS­ER Die schwer deformiert­en Geländergi­tter vom Anschlagso­rt am S-Bahnhof Wehrhahn zeigen, wie stark die Explosion war.

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