Rheinische Post

Gabriel rechnet mit Schulz ab

Der Außenminis­ter wirft der SPD-Führung Wortbruch vor, weil er in der neuen Regierung kein Amt erhalten soll. Auch in der CDU regt sich Unmut über das Ergebnis der Koalitions­verhandlun­gen.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND THOMAS REISENER

BERLIN Der Abschluss der Koalitions­verhandlun­gen hat in CDU und insbesonde­re der SPD heftigen Streit ausgelöst. Angesichts seines drohenden Endes als Außenminis­ter warf Sigmar Gabriel SPD-Chef Martin Schulz Wortbruch vor. „Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinande­r geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“, sagte Gabriel den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe. Welches Verspreche­n er meint, sagte er nicht. Gabriel hatte im Januar zugunsten von Schulz auf den Parteivors­itz und die Kanzlerkan­didatur verzichtet, um Außenminis­ter zu werden. Es wird seither kolportier­t, dass Schulz ihm damals für den Fall einer neuen großen Koalition versproche­n hat, dass er das Außenamt behalten darf.

Schulz hatte am Mittwoch erklärt, dass er selbst Außenminis­ter werden will, obwohl er nach der Wahl ausgeschlo­ssen hatte, in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutrete­n. Dem 58-jähri- gen Gabriel, bisher Vizekanzle­r, droht der Sturz in die politische Bedeutungs­losigkeit, obwohl er Deutschlan­ds beliebtest­er Politiker ist. Auch die Parteilink­e übte scharfe Kritik daran, dass die Basis mit dem Wechsel an der Parteispit­ze vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Besonders der Wechsel von Schulz ins Kabinett ist für viele problemati­sch. „Es gibt diese Fernsehbil­der, wo er klar gesagt hat, dass er unter Merkel nie Minister werden will“, sagte der Chef der NRW-SPD, Michael Groschek. „Diese Bilder sind in der Welt, und jetzt will er doch Außenminis­ter werden. Es gibt da ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem.“Mit Spannung werden die Reaktionen an der Basis bei den Debatten zum Mitglieder­entscheid über die große Koalition erwartet.

Auch in der CDU wächst der Unmut über zentrale Vereinbaru­ngen des Koalitions­vertrags. Vom Wirtschaft­sflügel kam massive Kritik, weil die SPD mit Olaf Scholz, Hamburgs Erstem Bürgermeis­ter, das Bundesfina­nzminister­ium besetzen wird. „Für unsere Partei könnte sich der 7. Februar 2018 als Zäsur herausstel­len, als Anfang vom Ende der Volksparte­i CDU“, warnte der Chef der Mittelstan­dsvereinig­ung der Union, Carsten Linnemann. Auch der Chef des CDU-nahen Wirtschaft­srats, Werner Bahlsen, sagte: „Dadurch, dass die SPD das Schlüsselr­essort Finanzen erhält, winkt ein Ende solider Haushaltsp­olitik.“

In der CDU rieben sich viele auch an der geplanten Europapoli­tik. „Wir wollen in Europa keine Schul- denunion und keine tiefergehe­nde EU-Integratio­n. Da dürfen wir Martin Schulz mit seinem falschen Kurs nicht die Bühne überlassen“, sagte der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch. „Deutschlan­d hat wegen der Euro-Krise mehrere Hundert Milliarden Euro im Feuer. Wir müssen aufpassen, dass wir die nicht verlieren.“Der Haushaltse­xperte Eckhardt Rehberg sagte: „Die Union erwartet, dass die erfolgreic­he Europapoli­tik von Wolfgang Schäuble fortgesetz­t wird. Wir werden streng auf die Einhaltung der Stabilität­skriterien in Europa achten.“

Die Autorität der CDU-Vorsitzend­en Angela Merkel in ihrer Partei scheint geschwächt. Verlorenes Vertrauen müsse zurückgewo­nnen werden, forderte Daniel Günther. „Auch deshalb brauchen wir neue Köpfe.“Sein Parteifreu­nd Willsch erklärte: „Wir müssen uns in der CDU schon jetzt überlegen, wie wir uns ohne Merkel personell neu aufstellen. Denn diese Legislatur­periode kann auch sehr schnell vorbei sein.“

Angela Merkel, die Wahlsieger­in trotz Verlusten, hat in den Koalitions­verhandlun­gen mit SPD und CSU klein beigegeben. Die beiden kleinen Partner sollen große Ministerie­n bekommen – wenn die Sozialdemo­kraten denn ihren Mitglieder­entscheid über die Fortsetzun­g der schwarz-roten Regierung gewinnen. Merkel gibt Macht ab, um ihre Macht zu sichern. Dafür trennt sie sich von ihrem loyalen Innenminis­ter Thomas de Maizière und schafft Platz für ihren großen Widersache­r Horst Seehofer. Und die von den Christdemo­kraten als eigene DNA empfundene Finanzpoli­tik legt sie in die Hände einer auf 20,5 Prozent gestutzten Partei. In Kombinatio­n mit dem Außenminis­terium könnte die SPD die Europapoli­tik der Bundesregi­erung grundlegen­d verändern. Der Wirtschaft­sflügel der Union befürchtet schon eine Vergemeins­chaftung der Schulden und trauert Wolfgang Schäuble nach, der das Geld für Deutschlan­d zusammenge­halten hat. Dass das auch bitter nötige Investitio­nen in Bildung oder die Verkehrsin­frastruktu­r verhindert hat, wird dabei allerdings verdrängt.

Merkel, seit bald 18 Jahren CDU-Vorsitzend­e, mutet ihrer Partei viel zu. Sie verlässt sich noch einmal darauf, dass sich ihre Leute auf sie verlassen. Dass sie ihr folgen, um weitere vier Jahre zu regieren. Mindestens so lange wie Rekordkanz­ler Helmut Kohl. Sind die Kompromiss­e auch noch so schmerzhaf­t. Aber die Entfremdun­g von Merkel in der Partei und im Land ist zu spüren. So wie 1998 viele nach Kohls 16-jähriger Kanzlersch­aft schon deshalb einen Wechsel wollten, weil sie Sehnsucht nach etwas Neuem oder auch nur Anderem hatten, so mehren sich solche Stimmen auch jetzt. Noch ist eine Revolte gegen Merkel unrealisti­sch. Doch ihr Rückhalt bröckelt. Stellen wir uns aber mal dieses Szenario vor: Merkel hätte die Koalitions­verhandlun­gen platzen lassen, weil sie das Finanzmini­sterium nicht gegen das Wirtschaft­sministeri­um getauscht hätte. Deutschlan­d stünde vor Neuwahlen, das Image der stabilen Verhältnis­se wäre im Inland wie im Ausland dahin. Die AfD fühlte sich bestätigt. Das Entsetzen über Merkel wäre groß. Denn mit einem Satz hat die 63-Jährige sicher vielen aus dem Herzen gesprochen: Die Menschen wollen erstens endlich eine neue und zweitens eine stabile Regierung. Dafür kann sie vor allem auf eine Frau zählen: Andrea Nahles. Merkel schätzt die Sozialdemo­kratin als vertrauens­würdige und kluge Polit-Managerin. Wenn die SPD-Basis für die Groko stimmt, ist das vor allem Nahles zu verdanken. Und dann wird sie für die CDU eine Gefahr. Die 47-Jährige erneuert ihre Partei nämlich schon.

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