CDU feiert Kramp-Karrenbauer
Mit 98,8 Prozent wird die frühere saarländische Ministerpräsidentin zur Generalsekretärin gewählt. Sie kündigt ein neues Grundsatzprogramm an. Der Parteitag stimmt für die große Koalition.
BERLIN Trotz wochenlanger Kritik an ihrer Vorsitzenden folgt die CDU nahezu geschlossen dem Kurs von Angela Merkel für eine Fortsetzung der großen Koalition. Zugleich setzt die CDU mit der klaren Wahl der möglichen Merkel-Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Generalsekretärin ein Signal des Aufbruchs: 98,8 Prozent der Delegierten des Sonderparteitags in Berlin stimmten gestern für die 55Jährige. In einer umjubelten Rede forderte sie die zerstrittene CDU zu neuer Einigkeit auf. Die bürgerlichen, konservativen, sozialen und christlichen Werte dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, sagte Kramp-Karrenbauer, ohne auf Merkel-Kritiker wie Jens Spahn vom konservativen Flügel direkt einzugehen. Sie warnte vor Eitelkeiten: „Der Star ist die CDU.“Es gehe nicht darum, wer als Einzelne glänze. „Es gilt, dass die Partei glänzt.“
Kramp-Karrenbauer, die für den Wechsel nach Berlin ihr Amt als saarländische Ministerpräsidentin aufgibt, erklärte, sie habe sich bewusst gegen einen Posten im Bundeskabinett und für die Funktion in der Partei entschieden. Sie kündigte ein neues und gemeinsam mit allen Flügeln der Partei zu erarbeitendes Grundsatzprogramm bis 2020 an, mit dem die CDU in die reguläre nächste Bundestagswahl 2021 ziehen kann. Das jetzige Programm stammt aus dem Jahr 2007.
Die Christdemokratin versicherte, sie werde Verantwortung dafür übernehmen, dass die CDU eine wertebasierte starke Volkspartei bleibe, weil nur mit starken Volksparteien eine stabile Regierung gebildet werden könne. Der CDUKongress begann anders als sonst mit einem Gottesdienst in der Veranstaltungshalle, einem früheren Postbahnhof in Berlin-Kreuzberg.
Auch Merkel sagte, die CDU als Volkspartei mache das Bekenntnis zum christlichen Menschenbild aus. Sie ging noch einmal auf das schlechteste Bundestagswahlergebnis der Union von 32,9 Prozent im vorigen Herbst ein. Als Grund nannte sie ein großes „Unbehagen“der Menschen. Trotz wirtschaftlich bes- ter Werte des Landes hätten Menschen erstens Zweifel an der Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen, die durch die Aufnahme vieler Flüchtlinge verstärkt worden seien. Zweitens gebe es ein Unbehagen gegen neue Technologien und die fortschreitende Digitalisierung. Und drittens werde infrage gestellt, ob Europa angesichts der Instabilität in der Welt sein Wohlstandsversprechen einhalten könne. Der designierte Gesundheitsminister Spahn versicherte, die Partei werde sich hart abgrenzen von der rechtsnationalen AfD. Er rief: „Mit denen haben wir nichts gemein.“Die CDU gehe „geschlossen als Team in die neue Groko und wir werden unserer Verantwortung gerecht“, sagte er später der „Bild“-Zeitung.
Merkel versprach eine neue Dynamik der CDU-Politik: „Die Verluste spornen uns an, die richtigen Antworten auf Sorgen und Unzufriedenheit zu geben.“Sie verteidigte erneut die Zugeständnisse an die SPD wie den Verzicht der CDU auf das Finanzministerium. „Wir haben hart gerungen, wir mussten Kompromisse eingehen, aber wir haben auch viel durchgesetzt.“
Von den 975 Delegierten stimmten nur 27 gegen den mit der SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag. Die SPD-Mitglieder stimmen noch bis Freitag ab. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zeigte sich zuversichtlich: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihre gesamte Führung in die Luft sprengen und in dieser Lage eine Neuwahl wollen.“
Annegret Kramp-Karrenbauer trifft das Herz ihrer Partei. Die Delegierten sind begeistert von ihrer Bewerbungsrede für den Job der Generalsekretärin. Mit Kalkül lässt sie die Parteibasis glänzen. Alles, was sie politisch erreicht habe, habe sie dieser Partei zu verdanken, sagt sie. Auch ihr Verantwortungsbewusstsein führt sie an, warum sie Generalsekretärin werden möchte. „Ich kann, ich will und ich werde“, ruft sie unter dem Jubel der Delegierten in den Saal. Dann verspricht sie, eine Grundsatzdebatte anzuschieben, deren Früchte 2021 geerntet werden sollen. Damit ist die Option, dass sie eines Tages Angela Merkel als Parteichefin und möglicherweise auch als Kanzlerin beerbt, in den wenig verdächtig klingenden Begriff „Programmdiskussion“eingehegt.
Angriffslustig gibt die 55-Jährige als ihr Ziel aus, die 900.000 Stimmen, die bei der Bundestagswahl an die AfD verloren gegangen sind, und die 1,4 Millionen Wähler, die zur FDP gewandert sind, zurückzuholen. „Die AfD hat mit unserer bürgerlich konservativen Tradition nichts, aber auch gar nichts zu tun“, ruft sie. Die Liberalen watscht sie mit einem Handwerker-Vergleich ab. Wenn die Handwerker auch nach dem Prinzip handelten, es sei besser „nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, dann läge unser Land „in Schutt und Asche“.
Die Kanzlerin hingegen wirkt, als habe sie mit ihren überraschenden Personalien in den vergangenen Tagen ihr trockenes Pulver bereits verschossen. Die Parteitagsdelegierten reißt sie mit ihrer Rede nur an den Stellen von den Stühlen, an denen sie die verdienten Minister würdigt: Hermann Gröhe, Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble.
„Lieber Hermann“, setzt sie an, „du hast mit großer Energie. . .“Dann unterbricht Applaus ihre Rede, der in rhythmisches Klatschen übergeht. Der so gefeierte Gröhe sitzt auf seinem Platz auf der Parteitagsbühne und lächelt gequält. Er wäre so gerne Gesundheitsminister geblieben. Den Ministersessel aber muss Merkels Getreuer für ihren Widersacher Jens Spahn räumen.
Im NRW-Landesverband herrscht über diesen Wechsel Verärgerung. „Das ist unfair“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul am Rande des Parteitags. In den nicht-offiziellen Teilen der Gespräche fallen noch härtere Worte. Die rationale Einschätzung vieler ist dann aber doch, dass die Personalie Spahn notwendig war, um an all jene im Land ein Signal zu senden, die immer noch mit Merkels Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 hadern. Spahn selbst weiß um seine Rolle: „Ich will mich nicht damit abfinden, dass es eine Kraft rechts von uns gibt“, ruft er in den Saal. Dann nimmt sich der designierte Gesundheitsminister vor, die AfD „überflüssig“zu machen.
Der Mann, der in der vergangenen Wahlperiode immer wieder seine Energie dafür einsetzte, die Flüchtlingspolitik in geordnete Bahnen zu lenken, Thomas de Maizière, verabschiedet sich mit einem Rat an die jüngeren Minister. „Jeder Minister muss so arbeiten, als wäre seine Amtszeit unbegrenzt. Er muss aber wissen, dass das ein Amt auf Zeit ist. Diese Spannung muss man aushalten“, sagt er.
Für die Aussprache über Merkels Auftritt haben sich zwar gut 50 Delegierte zu Wort gemeldet. Eine richtige Diskussion kommt aber nicht auf. Während viele Redner vorne auf der Bühne für den Koalitionsvertrag werben und einige dagegen wettern, herrscht in der Halle des früheren Postbahnhofs in Berlin-Kreuzberg reges Treiben. Die Mehrheit der rund 1000 Delegierten ist zwischenzeitlich nicht am Platz. So verhallt der kämpferische Einsatz von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier für die Neuauflage der großen Koalition unter Angela Merkel ebenso wie die beißende Kritik des Ravensburger Delegierten Eugen Abler an der Kanzlerin.
Abler ist aber zufrieden mit der Resonanz. Immerhin habe er ein bisschen Beifall bekommen, sagt er später. Er wirft Merkel wegen der völligen Gleichstellung von Homosexuellen in der Ehe „Verrat an den christlichen Grundwerten“vor. Er warnt vor einer schleichenden Islamisierung durch die Flüchtlinge und beklagt, dass zwar der Schutz von Insekten Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden habe, es aber keine Aussagen zum Schutz des ungeborenen Lebens gebe. Und er findet es schwach von der Kanzlerin, wie viele Zugeständnisse sie der SPD in den Koalitionsverhandlungen gemacht habe. Er will gegen den Koalitionsvertrag stimmen. Ihn trennen jetzt nur drei Meter von der Vorsitzenden. Sie schenkt ihm keine Aufmerksamkeit.
Abler wird Merkel nicht gefährlich. Es gibt nur 27 Gegenstimmen bei 1000 Stimmberechtigten zum Koalitionsvertrag, wie Sitzungspräsident Armin Laschet in doch sehr rheinisch anmutender Zählweise feststellt. Unter den Delegierten ist Abler mit seinen Positionen in der Minderheit. Gut vertreten sieht er sich in der CDU nicht mehr. Auch nicht von dem zum konservativen Flügel zählenden Jens Spahn. Abler gehört seit 1977 der CDU an. Noch ist sie seine politische Heimat. Er sagt, zu Hause werde er für seine Rede aber wieder gefeiert werden.