NRW-Polizei soll robuster auftreten
Ranghohe Spitzenbeamte fordern in einem Geheimpapier die Verschärfung des bisherigen Leitbildes.
DÜSSELDORF Wegen der wachsenden Gewalt gegen Polizisten hat eine geheim tagende Gruppe von Experten und ranghöchsten Spitzenbeamten neue Leitbild-Eckpunkte für die NRW-Polizei erarbeitet. Ziel ist ein deutlich schärferes Auftreten der Polizisten: „Die Polizei NRW muss an Konsequenz, Stabilität, Führungsstärke und Robustheit deutlich zulegen“, heißt es in dem 27-seitigen Papier, das unserer Redaktion vorliegt.
Das bisherige Leitbild der nordrhein-westfälischen Polizei stammt aus den frühen 80er Jahren. Die „Leitlinie für den bürgernahen Einsatz der Polizei“– intern kurz „NRW-Linie“genannt – gibt den rund 42.000 Polizisten in NRW ein zurückhaltendes Auftreten vor: „Polizeibeamte (...) haben das Wort als wesentliches taktisches Einsatzmittel zu begreifen“, heißt es in der bislang gültigen Leitlinie.
Der Expertengruppe zufolge soll diese NRWLinie aber nur noch für den Routine-Alltag gelten. Im Konfliktfall sollen die Polizisten künftig anderen Grundsätzen folgen: „Polizeibeamte müssen durchsetzungsfähig und -stark und damit letztlich gewaltfähig, aber nicht gewaltaffin werden“, heißt es in dem Papier. Die „körperliche Robustheit, Präsenz und Durchsetzungsfähigkeit“der Beamten müsse gestärkt werden. In der Ausbildung müsse „bewusst sein, dass Polizeibeamte eine Gewalterwartung erlernen müssen“. Federführend bei dem Papier war das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP), eine von drei Landesoberbehörden der NRW-Polizei. Derzeit berät das NRW-Innenministerium über das Eckpunkte-Papier. „Wohlwollend“, wie es im Umfeld von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) heißt. Ein Sprecher sagte: „Die nordrhein-westfälische Polizei arbeitet in einem sehr dynamischen Umfeld mit ständig neuen Herausforderungen. Es liegt auf der Hand, dass man die Einsätze von morgen nicht mit den Einsatzkonzepten von gestern bewältigen kann.“Für eine abschließende Bewertung des LAFP-Papiers sei es aber noch zu früh. Laut Ministerium soll das bislang gültige Polizei-Leitbild „perspektivisch weiterentwickelt“werden.
Die Experten begründen ihre Vorschläge mit der statistisch belegten Zunahme von Gewalt gegen Einsatzkräfte. „Weicht der Staat hier zurück, führt dies zu einem Recht des Stärkeren und letztlich zur Aufgabe unseres Gemeinwesens“, heißt es in dem Papier.
„Die Polizei muss an Konsequenz und Robustheit deutlich zulegen“
aus dem Papier für das neue Polizei-Leitbild
DÜSSELDORF NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist sich der Brisanz des Papieres bewusst. Persönlich will er sich deshalb erst gar nicht zu den Eckpunkten für eine neue Polizei-Leitlinie äußern, die seine Spitzenbeamten monatelang in geheimen Sitzungen erarbeitet haben. Über einen Sprecher versucht er, das Papier zu relativieren: Es handele sich „nicht um ein offizielles Papier des Ministeriums, sondern um eine Ausarbeitung auf Arbeitsebene.“
Aber das Papier ist trotzdem in der Welt. Die dort vorgeschlagenen Vorgaben für ein deutlich robusteres Auftreten der NRW-Polizei (siehe Titelseite) inklusive schärferer Trainingseinheiten für Kampfeinsätze werden im NRW-Innenministerium bereits heiß diskutiert. Reul weiß: Das Papier spricht den meisten der rund 42.000 Polizeibeamten in NRW aus der Seele. Und es hat gute Chancen, die bisher gültige Leitlinie für Polizeieinsätze aus den frühen 1980-er Jahren abzulösen – denn es entspricht genau der neuen „Null-Toleranz-Strategie“, mit der die Landesregierung Gewalttäter in ihre Schranken weisen will.
Die ranghohen Experten, deren Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden dürfen, sehen in der wachsenden Gewalt gegen Polizeibeamte nicht weniger als eine Gefahr für das Gewaltmonopol des Staates. Sie nennen Beispiele: Ganze Streifenwagen-Besatzungen, die in der Dortmunder Nordstadt den Einschüchterungsversuchen von riesigen Schläger-Gruppen ausgesetzt sind. Einen Streit um ein Knöllchen in Düren, bei dem ein Familienclan im November 2016 gleich zehn Polizisten zusammenschlug – einem Beamten wurde mit einem Schraubenschlüssel die Augenhöhle zertrümmert. Die brutale Attacke von 30 Vermummten auf ein Fußballspiel in Jülich nur wenige Tage zuvor. Und die nicht enden wollenden Debatten über angebliche „No-go-Areas“in Duisburg, Essen und Gelsenkirchen, von denen es – wenn auch zu Unrecht – heißt, dass die Polizei sich dort nicht einmal mehr hintraue.
Die Polizei-Strategen befürchten einen „Verlust der Autorität des Aushängeschildes des Rechtsstaats“. Sie fordern mehr „körperliche Robustheit, Präsenz und Durchsetzungsfähigkeit“für die Polizei. Ebenso eine „Anpassung polizeilichen Auftretens in der Öffentlichkeit“und ein „konsequentes Einschreiten und Durchsetzen der polizeilichen Maßnahmen (...) auch bei scheinbaren Bagatellsachverhalten.“In der Ausbildung sollen die Polizisten deshalb gezielter als bislang körperliche Gegenwehr trainieren: „Der Charakter des Dienstsports muss sich von dem Aufbau bzw. dem Erhalt einer Grundfitness hin zum Training einer speziellen körperlichen Leistungsfähigkeit für (...) den polizeilichen Zwangseinsatz (...) wandeln“, heißt es in dem Papier. Auch optisch sollen die Polizisten mehr Autorität ausstrahlen: Polizisten würden „nicht nur mit ihrer Uniform als staatlichem Symbol, sondern auch mit ihrer körperlichen Konstitution von der Bevölkerung als Vertreter des Staates und seiner Leistungsfähigkeit wahrgenommen.“Zu kleine Menschen seien ebenso ungeeignet für den klassischen Polizeidienst wie solche mit sichtbaren Tätowierungen.
Natürlich ist die NRW-Polizei auch heute schon auf Gewalt vorbereitet. Die aktuelle Leitlinie gibt vor: „Gewalttätigkeiten ist entschieden entgegenzugtreten.“Aber sie betont vor allem den Deeskalations-Auftrag der Polizei: „Beteiligten und Unbeteiligten müssen Wunsch und Ziel der Polizei deutlich ins Auge fallen, Auseinandersetzungen zu vermeiden. Auf unnötiges Zeigen starker Kräfte ist zu verzichten.“
Wenn die Polizei aber zunehmend auf Gewalttäter trifft, die mit Worten kaum zu erreichen sind und ihrerseits die Eskalation erzwingen, geraten Polizisten mit grundsätzlichem Deeskalati-
„Das Training zum Umgang mit Gewalt muss ausgeweitet werden“
Arnold Plickert
onsauftrag in Gefahr. Nach Angaben von Arnold Plickert, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zählten die Behörden im Jahr 2011 noch 9808 Übergriffe auf NRW-Polizisten. Im vergangen Jahr waren es bereits 17.000 – verbale Beleidigungen der übelsten Art inklusive. „85 Prozent der Übergriffe haben sich gegen den Wachdienst gerichtet“, schildert Plickert die Situation, „dort findet der erste Kontakt der Gewalttäter mit der Polizei statt.“Reul stellte jüngst im Innenausschuss eine Statistik vor, derzufolge NRW-Polizisten allein im vergangenen Jahr in 334 Fällen Opfer einer gefährlichen Körperverletzung geworden sind.
Deshalb unterstützt Plickert die Forderungen nach einer robusteren Polizei – auch, damit die Beamten sich selbst besser schützen können: „Die Trainingseinheiten zum Umgang mit Gewalt müssen deutlich ausgeweitet werden“, sagt auch Plickert. Wichtig sei zudem, dass die Polizisten bessere Techniken zum Bewältigen von Stress erlernen – auch das sieht das Expertenkonzept für eine neue Polizeileitlinie vor.
Anderen bereitet die Vorstellung einer robusteren Polizei großes Unbehagen. Zum Beispiel der Polizei-Expertin der Grünen im NRW-Landtag, Verena Schäffer. „Das Konzept ist eine deutliche Abkehr von der bisherigen Linie der Polizei NRW, die auf Bürgernähe, Deeskalation und Kommunikation setzt“, stellt sie fest. Damit drohe die NRW-Polizei ihre bundesweite Reputation aufs Spiel zu setzen. Schäffer meint: „Deeskalierendes und kommunikatives Verhalten ist kein Selbstzweck, sondern Teil einer Einsatzstrategie, damit Konflikte nicht eskalieren. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass durch ein martialischeres Auftreten weniger Angriffe auf Polizisten verübt würden.“
Dennoch: Ein Teil der Gesellschaft ist messbar brutaler geworden. Diesen Menschen mit einer „Leitlinie für den bürgernahen Einsatz“aus den 1980-er Jahren begegnen zu wollen, ist naiv und gefährlich. Nicht nur für die Polizisten selbst, sondern auch für die Gesellschaft, die chronische Schläger glaubwürdig abschrecken muss.
NRW-Chef Polizeigewerkschaft GdP