Ina Scharrenbach ist Heimatministerin, will aber nicht sagen, was Heimat ist.
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DÜSSELDORF Was ist eigentlich Heimat? Mit dieser Frage kann Ina Scharrenbach wenig anfangen. Als diplomierte Betriebswirtin und ehemalige Wirtschaftsprüferin bevorzugt sie eine Welt aus harten Zahlen und präzisen Definitionen. Ihre Antwort: „Jeder trägt eine andere Heimat in seinem Herzen. Wir halten den Begriff offen.“
Scharrenbachs Problem: Sie ist seit gut acht Monaten die erste Heimatministerin Nordrhein-Westfalens. Aber wie will die Christdemokratin die Heimatpolitik des bevölkerungsreichsten Bundeslandes gestalten, wenn sie selbst kaum sagen kann, welcher Heimatbegriff dafür prägend sein soll?
Morgen bittet Scharrenbach 450 Ehrenamtliche nach Münster. Der erste Heimatkongress in der Landesgeschichte soll der Ministerin ausdrücklich helfen, ihre Heimatpolitik auszurichten. „Das Treffen ist logische Konsequenz unseres Ansatzes, dass Heimat nicht von oben verordnet, sondern von unten wachsen muss“, sagt Scharrenbach. Die Teilnehmer sollen in Arbeitsgruppen wie „Heimat ist jung. Wie können wir Kinder und Jugendliche für uns begeistern?“oder „Wie Engagement in Stadt und Land die Lebensqualität steigert“Heimatbegriffe entwickeln.
Das bisherige Ungefähr in Scharrenbachs Heimatpolitik bildet sich auch in den Planstellen ihres Apparates ab. Innerhalb des MammutMinisteriums, das auch für Kommunales, Bauen und Gleichstellung zuständig ist, hat sie für die Heimatpolitik gerade mal drei Stabsstellen reserviert. In Bayern, wo 2013 das erste deutsche Heimatministerium gegründet wurde, stehen dem dortigen Heimatminister Markus Söder (CSU) hingegen acht je mehrköpfige Referate zur Verfügung. Die bilden sehr genau ab, was Söder unter Hei- matpolitik versteht. Sie heißen unter anderem „Demografie“, „Verwaltungsreform“, „Raumordnung“und „Landesplanung“.
Die Landesplanung ist die strategische Aufteilung des Landes in Naturschutzgebiete, Verkehrs-, Wohnund Gewerbeflächen. Wenn überhaupt kann Landespolitik mit diesem Instrument das Gesicht von Heimat formen. In NRW liegt die Verantwortung dafür aber nicht bei Scharrenbach, sondern im Wirtschaftsministerium.
Auch für die Themen „Sport“und „Ehrenamt“, die – um im Bild zu bleiben – wesentlich zur Mimik des Heimat-Gesichtes beitragen, ist sie nicht zuständig. Die SPD-Fraktionsvize im NRW-Landtag, Sarah Philipp, sagt deshalb: „Ich sehe bei diesem Ministerium weder das konkrete Ziel noch wesentliches Hand- lungspotenzial.“Philipp sitzt im Heimatausschuss, unweit entfernt von dem Grünen Mehrdad Mostofizadeh. Der sagt: „Das Heimatministerium ist ein Werbegag. Zuständig für alles und nichts.“
Es fällt auf, dass die Opposition mehr die Konstruktion des NRWHeimatministeriums kritisiert als die Ministerin selbst. Hinter vorgehaltener Hand stößt Scharrenbach, die als außerordentlich fleißig, klug und als detailversessene Aktenleserin gilt, selbst in der Opposition auf Anerkennung. Auch von ihren Mitarbeitern hört man kaum Klagen.
Man kann der Ministerin auch keine heimatpolitische Untätigkeit vorwerfen. Unmittelbar nach der Amtsübernahme machte sie sich auf die Suche nach prominenten
„Heimatbotschaftern“. Ganze 30 davon hat sie inzwischen hinter sich. Vom Schlagersänger Heino über den Fernsehkoch Nelson Müller bis zum Kabarettisten Dieter Nuhr werben sie mit diversen Heimat-Slogans für NRW.
Mit einer Ad-hoc-Gesetzesinitiative erlaubte Scharrenbach den NRW-Kommunen, sich auf Ortsschildern auch in plattdeutscher Sprache auszuweisen. Sie stockte die Fördermittel für Denkmalpflege auf über zwölf Millionen Euro pro Jahr auf. Und gestern kündigte sie das in dieser Form üppigste Förderprogramm der Landesgeschichte für Heimatpflege an: 113 Millionen Euro stehen nun bis 2022 für kleine und große Projekten zur Verfügung, die Heimat erforschen, konservie- ren und Lokalgeschichte erlebbar machen. Auf die Frage, ob dieses Förderprogramm angesichts der 140 Milliarden Euro Schulden des Landes nicht etwas üppig sei, sagt Scharrenbach: „Nein. Wir investieren das in die Gesellschaft.“Offenbar kennt Scharrenbach ihr „Warum“. Aber sie kennt noch nicht das „Wie“. Was wenig überrascht: Selbst der Koalitionsvertrag, dem Scharrenbach verpflichtet ist, widmet dem Thema Heimat nicht einmal ein eigenes Kapitel. Wahrscheinlich ist Scharrenbachs Problem der unzureichenden Definition von Heimat auch nicht auflösbar. Etwas zu definieren heißt auch, auszugrenzen, was nicht gemeint ist. Das Zuwanderungsland NRW, in dem über 25 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben, musste sich aber vom ersten Tag an in Integration üben. Die extrem gespreizte soziale Vielfalt des Landes macht das Aufspüren einer landestypischen Heimat in NRW schwerer als überall sonst in Deutschland. Da hat Scharrenbachs Amtskollege Markus Söder es leichter. Die Bayern hatten nie Schwierigkeiten damit, sich abzugrenzen und zur Not auch andere auszugrenzen. Deshalb kommen die Bayern in den meisten Lebenslagen auch mit einer viel schlichteren Definition von Heimat aus: „Mia san mia“.