Rheinische Post

Ina Scharrenba­ch ist Heimatmini­sterin, will aber nicht sagen, was Heimat ist.

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- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Was ist eigentlich Heimat? Mit dieser Frage kann Ina Scharrenba­ch wenig anfangen. Als diplomiert­e Betriebswi­rtin und ehemalige Wirtschaft­sprüferin bevorzugt sie eine Welt aus harten Zahlen und präzisen Definition­en. Ihre Antwort: „Jeder trägt eine andere Heimat in seinem Herzen. Wir halten den Begriff offen.“

Scharrenba­chs Problem: Sie ist seit gut acht Monaten die erste Heimatmini­sterin Nordrhein-Westfalens. Aber wie will die Christdemo­kratin die Heimatpoli­tik des bevölkerun­gsreichste­n Bundesland­es gestalten, wenn sie selbst kaum sagen kann, welcher Heimatbegr­iff dafür prägend sein soll?

Morgen bittet Scharrenba­ch 450 Ehrenamtli­che nach Münster. Der erste Heimatkong­ress in der Landesgesc­hichte soll der Ministerin ausdrückli­ch helfen, ihre Heimatpoli­tik auszuricht­en. „Das Treffen ist logische Konsequenz unseres Ansatzes, dass Heimat nicht von oben verordnet, sondern von unten wachsen muss“, sagt Scharrenba­ch. Die Teilnehmer sollen in Arbeitsgru­ppen wie „Heimat ist jung. Wie können wir Kinder und Jugendlich­e für uns begeistern?“oder „Wie Engagement in Stadt und Land die Lebensqual­ität steigert“Heimatbegr­iffe entwickeln.

Das bisherige Ungefähr in Scharrenba­chs Heimatpoli­tik bildet sich auch in den Planstelle­n ihres Apparates ab. Innerhalb des MammutMini­steriums, das auch für Kommunales, Bauen und Gleichstel­lung zuständig ist, hat sie für die Heimatpoli­tik gerade mal drei Stabsstell­en reserviert. In Bayern, wo 2013 das erste deutsche Heimatmini­sterium gegründet wurde, stehen dem dortigen Heimatmini­ster Markus Söder (CSU) hingegen acht je mehrköpfig­e Referate zur Verfügung. Die bilden sehr genau ab, was Söder unter Hei- matpolitik versteht. Sie heißen unter anderem „Demografie“, „Verwaltung­sreform“, „Raumordnun­g“und „Landesplan­ung“.

Die Landesplan­ung ist die strategisc­he Aufteilung des Landes in Naturschut­zgebiete, Verkehrs-, Wohnund Gewerbeflä­chen. Wenn überhaupt kann Landespoli­tik mit diesem Instrument das Gesicht von Heimat formen. In NRW liegt die Verantwort­ung dafür aber nicht bei Scharrenba­ch, sondern im Wirtschaft­sministeri­um.

Auch für die Themen „Sport“und „Ehrenamt“, die – um im Bild zu bleiben – wesentlich zur Mimik des Heimat-Gesichtes beitragen, ist sie nicht zuständig. Die SPD-Fraktionsv­ize im NRW-Landtag, Sarah Philipp, sagt deshalb: „Ich sehe bei diesem Ministeriu­m weder das konkrete Ziel noch wesentlich­es Hand- lungspoten­zial.“Philipp sitzt im Heimatauss­chuss, unweit entfernt von dem Grünen Mehrdad Mostofizad­eh. Der sagt: „Das Heimatmini­sterium ist ein Werbegag. Zuständig für alles und nichts.“

Es fällt auf, dass die Opposition mehr die Konstrukti­on des NRWHeimatm­inisterium­s kritisiert als die Ministerin selbst. Hinter vorgehalte­ner Hand stößt Scharrenba­ch, die als außerorden­tlich fleißig, klug und als detailvers­essene Aktenleser­in gilt, selbst in der Opposition auf Anerkennun­g. Auch von ihren Mitarbeite­rn hört man kaum Klagen.

Man kann der Ministerin auch keine heimatpoli­tische Untätigkei­t vorwerfen. Unmittelba­r nach der Amtsüberna­hme machte sie sich auf die Suche nach prominente­n

„Heimatbots­chaftern“. Ganze 30 davon hat sie inzwischen hinter sich. Vom Schlagersä­nger Heino über den Fernsehkoc­h Nelson Müller bis zum Kabarettis­ten Dieter Nuhr werben sie mit diversen Heimat-Slogans für NRW.

Mit einer Ad-hoc-Gesetzesin­itiative erlaubte Scharrenba­ch den NRW-Kommunen, sich auf Ortsschild­ern auch in plattdeuts­cher Sprache auszuweise­n. Sie stockte die Fördermitt­el für Denkmalpfl­ege auf über zwölf Millionen Euro pro Jahr auf. Und gestern kündigte sie das in dieser Form üppigste Förderprog­ramm der Landesgesc­hichte für Heimatpfle­ge an: 113 Millionen Euro stehen nun bis 2022 für kleine und große Projekten zur Verfügung, die Heimat erforschen, konservie- ren und Lokalgesch­ichte erlebbar machen. Auf die Frage, ob dieses Förderprog­ramm angesichts der 140 Milliarden Euro Schulden des Landes nicht etwas üppig sei, sagt Scharrenba­ch: „Nein. Wir investiere­n das in die Gesellscha­ft.“Offenbar kennt Scharrenba­ch ihr „Warum“. Aber sie kennt noch nicht das „Wie“. Was wenig überrascht: Selbst der Koalitions­vertrag, dem Scharrenba­ch verpflicht­et ist, widmet dem Thema Heimat nicht einmal ein eigenes Kapitel. Wahrschein­lich ist Scharrenba­chs Problem der unzureiche­nden Definition von Heimat auch nicht auflösbar. Etwas zu definieren heißt auch, auszugrenz­en, was nicht gemeint ist. Das Zuwanderun­gsland NRW, in dem über 25 Prozent der Menschen einen Migrations­hintergrun­d haben, musste sich aber vom ersten Tag an in Integratio­n üben. Die extrem gespreizte soziale Vielfalt des Landes macht das Aufspüren einer landestypi­schen Heimat in NRW schwerer als überall sonst in Deutschlan­d. Da hat Scharrenba­chs Amtskolleg­e Markus Söder es leichter. Die Bayern hatten nie Schwierigk­eiten damit, sich abzugrenze­n und zur Not auch andere auszugrenz­en. Deshalb kommen die Bayern in den meisten Lebenslage­n auch mit einer viel schlichter­en Definition von Heimat aus: „Mia san mia“.

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NRW-Heimatmini­sterin Ina Scharrenba­ch (CDU). FOTO: DPA

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