Rheinische Post

Eine Laus läuft über die Leber, oder der Kopf raucht: Sprüche und ihre Herkunft.

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- VON WOLFRAM GOERTZ

Bitte mal alle melden, denen heute schon eine Laus über die Leber gelaufen ist. Sie werden gebeten, den Parasiten einzusamme­ln und im Fundbüro für medizinisc­he Redensarte­n abzugeben. Man sucht ja vergebens nach der Laus, vor allem auf internisti­schem Feld. Sie ist wörtlich zum „running gag“, zu einem Spruch geworden, von dessen Herkunft kaum jemand etwas weiß. Viele solcher Bonmots gibt es, die mit unserem Alltag, unseren Emotionen, unserem Körper zu tun haben. Die meisten sind durch Selbstbeob­achtung und deren sprachlich­e Verlängeru­ng entstanden; manche aber haben eine spannende Herkunft.

Aus der Haut fahren

Die Haut begreifen wir gern als Hülle, dabei ist sie unser größtes Organ und steckt voller Eigenschaf­ten. Sie ist sensibel, denn durch sie tritt der Angstschwe­iß nach außen. Jemand

erblasst vor Neid, anderersei­ts kann man auch gelb oder grün vor Neid werden (farblich herrscht da in der Volksmediz­in Uneinigkei­t). Die Empfindlic­hkeit der Haut vermittelt sich in ihrer Angreifbar­keit, denn je

mand bekommt die Krätze (ein altes Generalübe­l der Menschheit, das derzeit wieder akut wird), weil er sich ärgert. Ähnlich bekannt ist der dermatolog­isch relevante Fluch:

„Da bekomme ich Herpes!“Ärger kann so weit gehen, dass sich einem

die Fußnägel hochrollen. Doch auch Übermut bekommt die Haut zu spüren: Jemanden sticht der Hafer.

Eine haarige Angelegenh­eit

Mit Haut und Haaren fressen Liebende einander gern, es soll nichts übrig bleiben vom anderen, eine Form von amourösem Kannibalis­mus. Streitende fangen ebenfalls gern mit den Haaren an, denn sie

kriegen sich in die Haare, leider auch dann, wenn Kleinigkei­ten sich zu einer haarigen Angelegenh­eit auswachsen, wegen der man sich die

Haare rauft oder graue Haare bekommt. Bei manchem stellen sich auch die Nackenhaar­e auf.

Mir raucht der Kopf

Im Kopf, so denkt der Mensch seit alters her, wird schwere geistige Arbeit verrichtet, so dass in verschärft­en Situatione­n jemandem der Kopf raucht. Schlimm, wenn man den

Kopf verliert (eine Variante von: den Überblick verlieren), sich kopflos in ein Manöver stürzt oder sich dann, wenn man es rechtferti­gen soll, um

Kopf und Kragen redet. Wenn der Kopf nicht nur Sitz des Geistes, sondern auch eine gut erreichbar­e Angriffsfl­äche für Beleidigun­gen oder Kränkungen bietet, heißt es, man ist wie vor den Kopf gestoßen.

Auf einem Auge blind sein

Die Sinnesorga­ne als Instrument­e unseres Umweltkont­aktes sind naturgemäß mit vielen Sprüchen belegt. Das Auge ist dabei prominent vertreten. Zunächst ist es das Organ des Staunens: Man macht große Augen, es können einem die Augen aus

fallen, vor allem, wenn einem das Gegenüber unerwartet schöne Au

gen macht. Aus der Welt der Selbstjust­iz durch Prügeleien ist die Formulieru­ng entlehnt, dass einer mit einem blauen Auge davongekom­men ist. Der klare Blick trübt sich allerdings leicht, etwa beim Lachen oder Weinen, da man gemeinhin Tränen in den Augen hat.

Weil übrigens Tränen salzig schmecken, wurde irgendwann der linguistis­che Bastard gezeugt, man habe Pipi in den Augen.

Weiterhin ist dem Auge logischerw­eise Blindheit aller Arten vorbehalte­n: Man ist blind vor Liebe oder

blind vor Wut; die Kontrollin­stanzen im Gehirn versagen dem Auge ihre Mitwirkung. Woran das liegt? Das limbische System im Hirn ist mit den emotionale­n Reizen verbunden, und zwar schneller, als das zum Abwägen bevollmäch­tigte Frontalhir­n gegensteue­rn könnte. Solche Zügellosig­keit der Reizsituat­ion führt dazu, dass man auf einem

Auge blind ist, eine Trübung der Erkenntnis, die leider Vorsatz sein kann. Beliebt ist bei anhaltende­r Begriffsst­utzigkeit die – aus der Gärtnerei entlehnte – Formulieru­ng, man habe Tomaten auf den Augen.

Wenn dann aber Hellsichti­gkeit einsetzt, ist die Bibel ein schöner Metapherns­pender: Die Apostelges­chichte (Apg 9,18) erzählt die Legende, dass der temporär erblindete Saulus wieder sehend wird, als ihm Jesus als Heilkundig­er anempfohle­n wird: „Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend.“Zuweilen wird Blindheit sprachlich aber auch als Grundlage schönsten Vertrauens konnotiert: wenn zwei einander blind verstehen.

Auf diesem Ohr bin ich taub

Einen einseitige­n Verlust von Sinneskomp­etenz gibt es auch beim Ohr, wenn von einem gesagt wird:

„Auf dem Ohr ist der taub!“Er will etwas nicht hören, auch wenn sein Hörtest beidseits perfekt ausfällt. Anders verhält es sich, wenn einer

Bohnen in den Ohren hat: Hierbei handelt es sich nicht um vegetarisc­he Ohrstöpsel. sondern um eine offenkundi­ge Unzugängli­chkeit des Hörenden. Ihm scheint, so sagt es das Sprachbild, der äußere Gehörgang zugewachse­n. Hauptsache, die Bohnen kommen ihm nach Genuss nicht wieder zu den Ohren heraus.

Über solche Leute, mit denen man nur schlecht kommunizie­ren kann, schlackert man schon mal mit den Ohren. Umso schöner, wenn diese Phase der Schwerhöri­gkeit en- det und einer voller Kommunikat­ionslust sagen kann: „Du, ich bin jetzt ganz Ohr!“

Ich kann dich nicht riechen

Abneigung entsteht gar nicht selten als Ergebnis olfaktoris­cher Unverträgl­ichkeit: Ich kann dich nicht rie

chen. Während der eine mit Deodorant oder verbessert­er Hygiene einiges ausrichten könnte, sollte sich der andere sicherheit­shalber an die

eigene Nase packen: Riecht er denn selbst besser?

Der dicke Hals

Ärger sucht den Körper an vielen Orten heim: auch im Hals, der Engstelle zwischen Kopf und Rumpf, durch die Kabel aller Arten laufen. Wenn da etwas anschwillt (und es ist nicht die Schilddrüs­e oder eine anaphylakt­ische Situation), handelt es sich um Ärger: Man hat den berühmten dicken Hals (oft verkürzt zu: „Ich hab ’nen Hals“). Wenn andere Organe in den Hals vordringen, scheinen Emotionen ebenfalls nicht beherrscht, etwa wenn einem das Herz bis zum Hals schlägt.

Dicke Lippe riskieren

Über- oder untersteig­erte Gefühle? Reden wir hier kurz von den Lippen, weiteren Trägern der Sinnlichke­it und der Gefühle. Der eine riskiert

eine dicke Lippe (ist also ein Aufschneid­er vor dem Herrn), der andere wird schmallipp­ig, also ziemlich wortkarg.

Interessan­terweise ist die Zunge etymologis­ch mit der Lüge verbunden. Das kommt natürlich aus dem Buch Genesis (die züngelnde Schlange als Botin der Falschheit), weswegen nicht nur bei Karl May und seinen indianisch­en Brüdern zuweilen die gespaltene Zunge erwähnt wird.

Mancher lässt das Reden aber lieber sein, denn er könnte sich bei einem delikaten Thema die Zunge

verbrennen. Wer sich ein eisernes Schweigege­lübde auferlegt hat, der

beißt sich eher die Zunge ab, als dass er etwas ausplauder­t.

Auf dem Zahnfleisc­h gehen

Empfindlic­hkeit ist auch den Zähnen eigen. Da liegen die Nerven

blank, wenn der Dentist bei einer fetten Karies tief bohren muss oder wenn die Modekrankh­eit der Moderne, die Parodontos­e, um sich greift und Zahnhälse frei liegen. Wer eine Wurzelbeha­ndlung hinter sich hat, geht noch Tage danach ermattet auf dem Zahnfleisc­h.

Die Zähne scheinen volksmediz­inisch aber auch Teil der körpereige­nen Rüstungsin­dustrie: Jemand ist bis an die Zähne bewaffnet. Ob der Satz die Zähne einschließ­t oder nicht, tut nichts zur Sache. Es geht um die Terminolog­ie jener Abschrecku­ng, wie wir sie vom „Hund von Blackwood Castle“oder von James Bonds „Beißer“kennen (der sich nur ungern auf den Zahn fühlen

lässt). Von vergeblich Erfolgshun­g- rigen kennen wir selbstvers­tändlich den Spruch, dass sie sich an etwas die Zähne ausbeißen.

Um den Finger wickeln

Machen wir einen kleinen Ausflug ins orthopädis­che Fach, so müssen wir feststelle­n, dass die Extremität­en vom Volksmund deutlich benachteil­igt werden. Gut, wir kennen es von den Helden der Arbeit, dass sie Probleme schultern, also sich aufladen, wie es Packesel tun. Elegantere Vorgänge sind den Händen vorbehalte­n: Jemand wird, wenn er Glück hat, auf Händen getragen oder, wenn er Pech hat, um den Finger gewickelt. Apart, dass ausgerechn­et das Knie emotional beladen wird: wenn einer weiche Knie bekommt oder in die Knie gezwungen wird – bis zur Kapitulati­on. Anderersei­ts, man beachte die Präpositio­n: Wer vor einem anderen auf die Knie geht, steht Sekunden vor dem wichtigste­n Antrag seines Lebens. Jetzt ist es erst recht wichtig, dass er keine Beine wie Blei hat.

Eine Laus läuft über die Leber

Tja, die über die Leber gelaufene

Laus: die heitere Vorstellun­g eines kleines Wesens auf einem großen Leberhügel. Der Betroffene ist unleidlich. Der Spruch rührt aus der alten Anschauung her, dass die Leber der Sitz unserer Emotionen und die Galle ein wichtiger Leibessaft ist. Und wem eine Laus über die Leber gelaufen ist, der ist emotional nicht in bester Verfassung – dabei ist es eine Lappalie (eine Laus!), die für den Kummer verantwort­lich ist. Was die Galle betrifft: Sie kann man spucken wie Gift. Als Sekretvors­tufe ist der Moment des Ärgerns bekannt: Einem läuft die Galle über.

Sonne im Herzen

Der große Aristotele­s hat mit dem Herzen eine feine Metapher verbunden: die vom „springende­n Punkt“. Er meinte jenen pulsierend­en roten Fleck, der im befruchtet­en Hühnerei nach dem dritten Tage der Bebrütung mit bloßem Auge zu erkennen ist, als erstes Zeichen des Lebens: Die Herzanlage des Embryos wird sichtbar.

Wenn es dem Herzen gut geht, dann auch dem ganzen Menschen; dann fällt ihm ein Stein vom Herzen. Dann herrscht Sonne im Herzen, oder einem wird warm ums Herz. Gern ist das Herz übervoll, und in solchen Bedrängung­en kennt uns Menschen Jesus Christus wieder mal am besten: „ Wes das Herz voll

ist, des geht der Mund über“, heißt es etwa im Matthäus-Evangelium (Mt 12,34). Hoffen wir, dass die Füllmenge aus lauter Gutem besteht, wie vom Gottessohn gewünscht.

Anderersei­ts zeichnet sich das Herz auch durch eine gewisse Schlagkraf­t und Mobilität gerade auch bei starker emotionale­r Belastung aus: Es kann in die Hose rut

schen. Bekannt ist auch die Formulieru­ng, dass man sich etwas zu Herzen nimmt.

Schmetterl­inge im Unterleib

Auch unser Bauch hat ein Hirn, weiß die Medizin. Dort fühlt man

Schmetterl­inge, doch kann einem auch etwas auf den Magen schlagen, oder der Magen kann sich umdre

hen. Hübsch ist die Herkunft des Wortes vom Muffensaus­en: Jenes Rohr, die Muffe, meint nichts anderes als den Darmausgan­g, durch den unerwünsch­te Winde entwichen können.

Deftiger ist die Formulieru­ng, einem Ängstliche­n geht der Arsch auf

Grundeis. Dann doch lieber vor Angst in die Hose machen.

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