Rheinische Post

„Wir können nicht mit einem Regime sprechen, das die Menschen verhungern lässt“

- 1997 geflüchtet

men Ansichten kommen. Kim Sung Chul kommt gerade von der Arbeit, seinen dünnen Körper in einen Daunenmant­el verpackt, marschiert er zu Fuß durch Seolleung, ein Viertel im Süden der Stadt. Links und rechts ragen Hochhäuser, dazwischen breiten sich mehrspurig­e Straßen aus, auf denen Motorenlär­m röhrt, wie es ihn in seinem Heimatland wohl höchstens in der Hauptstadt Pjöngjang gibt. Aber da war er nie, Kim Sung Chul kennt die Stadt bloß aus Bildern. Und mit eigenen Augen müsse er sie auch nicht mehr sehen, sagt er.

Nach seiner ersten Flucht kehrte er nach Nordkorea zurück, nachdem ihn in China das Heimweh überbekomm­en hatte. Zum Dank ging es ins Arbeitslag­er. Später gelang ihm noch einmal der Ausbruch aus der Kim-Diktatur. „Die Zeit hab‘ ich hinter mir. In der Hungersnot der 1990er Jahre ist mein Vater gestorben, und in dieser ungeheizte­n Zelle im Lager wäre ich auch fast draufgegan­gen. Ich will nicht mehr zu viel dran denken.“

Seit zehn Jahren ist Kim Sung Chul in Seoul, hat hier ein Studium abgeschlos­sen, sich auch einen neuen Namen zugelegt. Er nennt Lee Ae Ran sich heute Scott, das klingt internatio­naler. Neben dem Studium hat er sich mit Hilfe freiwillig­er Lehrer ein nahezu akzentfrei­es Englisch antrainier­t. Seit einigen Jahren arbeitet er für ein Handelsunt­ernehmen in Seoul, erledigt die Korrespond­enz mit Lieferante­n.

Ob er bei Olympia die Koreaner aus dem Norden oder die aus dem Süden unterstütz­t habe? An einer Ampel wartend tippelt Scott wie ein Boxer auf der Stelle, um nicht kalt zu werden, überlegt. Schwer sei diese Frage. „Mein Herz schlägt für den Norden. Aber ich war eher für die Südkoreane­r, weil die sich wenigstens sportlich qualifizie­rt haben.“Die nord-südkoreani­sche Kombinatio­n der Eishockeym­annschaft habe für ihn einen seltsamen Beigeschma­ck gehabt. „Athletinne­n aus Südkorea sind aus der Truppe geflogen, damit es Platz für ein paar Nordkorean­erinnen gab, nur für eine politische Geste. Ich glaube nicht, dass so ein Deal bei allen im Land gut angekommen ist.“

Auch Scott, der Händler, träumt von der Wiedervere­inigung, wie eigentlich fast alle Koreaner. Aber an Verständig­ung durch die Kraft des Sports, auf die der Student Kim Hyeuk hofft, glaubt er nicht, ebenso wenig an die Sanktionen, die die Restaurant­besitzerin Lee Ae Ran fordert. Scott will sich in einigen Wochen selbststän­dig machen und Handel mit Elektronik­produkten betreiben. „Vielleicht kann ich dann irgendwann nach Nordkorea.“

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