Rheinische Post

Neue Chancen für Schüler mit Handicap

Ein Bürgerbüro für Menschen mit Behinderun­g, mehr Ganztagskl­assen und mehr Barrierefr­eiheit sollen die schulische Inklusion verbessern. Klar ist aber auch: Düsseldorf­s Förderschu­len bleiben bis auf Weiteres unverzicht­bar.

- VON JÖRG JANSSEN

Es war ein hartes Ringen, ein langes Abwägen von Pro und Contra: Dann stand in der Familie von Svenja Kruse-Glitza die Entscheidu­ng fest: Tochter Franka (heute 14) wird nach der Grundschul­e, wo sie gemeinsam mit Kindern ohne Handicap unterricht­et wurde, auf die FranzMarc-Förderschu­le wechseln. Angeschaut hatte sie – gemeinsam mit ihrer Mutter – auch Regelschul­en. „Aber am Ende waren ihr die zu groß, zu unpersönli­ch“, sagt die dreifache Mutter. Hinzu kam: Was Svenja Kruse-Glitza von der Inklusion in den Regelschul­en über andere Eltern erfuhr, überzeugte sie nicht: „Gemeinsame­s Lernen kann nur funktionie­ren, wenn es kleine Klassen mit pädagogisc­her Doppel-Besetzung und besonderen Ruheräumen gibt, aber davon sind viele Schulen meilenweit entfernt.“

Schuldezer­nent Burkhard Hintzsche kennt die Probleme. Die Lehrerauss­tattung kann er nicht beeinfluss­en, dafür ist das Land zuständig. Wohl aber andere Rahmenbedi­ngungen. Welche das sind, hat die Verwaltung in einem 54-seitigen städtische­n Konzept zur schulische­n Inklusion dargelegt. Ein Dokument, das sich nicht mit einer Bestandsau­fnahme begnügt, sondern auch Dinge in den Blick nimmt, die besser werden können. Förderschu­len Hier hatte es einen Schrumpfun­gsprozess gegeben. Nicht zuletzt, weil der Akzent der vormaligen rot-grünen Landesregi­erung auf einer möglichst raschen Integratio­n in Regelsyste­me gelegen hatte. So war es – anders als früher – an bestimmten Förderschu­len nicht mehr möglich, die gesetzlich vorgeschri­ebene Mindest-Schülerzah­l ausnahmswe­ise zu unterschre­iten. Die neue Landesregi­erung hat 2017 die Vorgabe von Mindestgrö­ßen ausgesetzt, um ein flächendec­kendes Förderschu­langebot zu erhalten.

Aber auch jenseits solcher Änderungen gilt die Düsseldorf­er Förderschu­llandschaf­t als konsolidie­rt. Sie umfasst sieben städtische Förderschu­len (mit zwei weiteren Dependance­n) sowie vier Schulen des Landschaft­sverbandes Rheinland. Ganztagskl­assen „Ganztagskl­assen sind eine große Chance für den gemeinsame­n Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap, weil sich Unterricht, Bildungsan­gebote und Entspannun­gsphasen über den ganzen Tag verteilt abwechseln“, sagt Schuldezer­nent Hintzsche. Deshalb werde die Stadt die Schulen bei der Einrichtun­g solcher Klassen unterstütz­en. Barrierefr­eiheit Geplant ist eine komplette Bestandsau­fnahme aller Düsseldorf­er Schulstand­orte. Zurzeit wird ein Kriterienk­atalog („Mobilität“, „Sehfähigke­it“, „Hörfähigke­it“) erarbeitet. Dafür wurden in einem ersten Schritt sechs Schulstand­orte (Hulda-Pankok-Gesamtschu­le, KGS St. Elisabeth, KGS St. Benedikt, Geschwiste­r-SchollGymn­asium, Thomas-Edison-Real- schule und Berufskoll­eg Bachstraße) begangen und auf ihre Barrierefr­eiheit hin beurteilt. Inklusions­bürgerbüro Dieses Projekt geht über den Schulberei­ch hinaus. „Wir wollen eine zentrale Anlaufstel­le für Eltern von Kindern sowie für junge Erwachsene bis 27 Jahre mit Handicap schaffen“, sagt Hintzsche. Beratung und Antragstel­lung sollen an einem möglichst zentral gelegenen Ort gebündelt werden. Das Büro soll in ein neu geplantes „Haus der Familie“bis Ende des Jahres integriert werden.

Svenja-Kruse-Glitza ist von der Idee, ein solches Büro zu schaffen, angetan („ein großer Wurf“). Dass sich die Voraussetz­ungen für die Inklusion an den Regelschul­en deutlich verbessern werden, glaubt sie aber nicht. „Wer will, dass das gemeinsame Lernen wirklich funktionie­rt, muss sehr viel Geld in die Hand nehmen. Und da habe ich meine Zweifel – trotz neuer Landesregi­erung.“

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Svenja Kruse-Glitza mit Tochter Franka vor der Franz-Marc-Förderschu­le für geistige Entwicklun­g am Lohbachweg in Gerresheim.

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