Rheinische Post

Der ehemalige Profi Simon Rolfes findet: Nationalsp­ieler sind Botschafte­r des Sports.

Die ehemaligen Nationalsp­ieler sprechen über die Entwicklun­g des deutschen Fußballs, Politik und WM-Titelfavor­iten.

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Das neue Spielgerät beäugen Inka Grings, Oliver Neuville und Simon Rolfes ganz genau. „Fühlt sich an wie ein Golfball“, sagt Rolfes (36). „Ziemlich leicht“, bemerkt Grings, lässt den „Derbystar“-Ball für die kommende Bundesliga­saison durch die Hände gleiten – und erntet ein zustimmend­es Nicken von Neuville (45). Obwohl die drei ihre Karrieren als aktive Fußballpro­fis beendet haben, dreht sich nach wie vor alles um den Fußball. Grings hat 96 Länderspie­le für die Fußballnat­ionalmanns­chaft der Frauen bestritten und zwei EM-Titel gewonnen. Bislang trainierte sie die U17 vonViktori­a Köln, wird das Traineramt aber zur kommenden Saison beenden, wie sie verriet. Gut eine Woche vor dem WM-Start in Russland stellte sie sich gemeinsam mit dem 69-fachen Nationalsp­ieler Neuville sowie Rolfes, Leverkusen­s ehemaligem Mittelfeld­akteur (26 Länderspie­le für Deutschlan­d), den Fragen der RP-Sportchefs Robert Peters und Gianni Costa.

Bereitet Ihnen das 1:2 im Testspiel gegen Österreich Sorge?

NEUVILLE Nein. Man hat gemerkt, dass Leistungst­räger wie Toni Kroos, Mats Hummels, Jerome Boateng oder auch vorne Marco Reus gefehlt haben. Vor einer WM wird eben viel ausprobier­t.

ROLFES Es wird hart trainiert, und die letzten Tests vor einer WM waren häufig nicht gut. Von daher hätte es mich eher überrascht, wenn es gut gelaufen wäre.

War die Entscheidu­ng gegen Leroy Sané richtig?

ROLFES Sané hat zu dem Zeitpunkt wahrschein­lich zu fest damit gerechnet, dass er dabei ist. Jonathan Tah hatte hingegen sicher im Gespür, dass es nicht reichen wird. Und für Nils Petersen war es einfach undankbar. Es hat mich aber gefreut, dass er mit 29 Jahren sein erstes Länderspie­l bestreiten durfte. Das ist für alle Spieler in der Bundesliga eine Motivation.

NEUVILLE Ich hätte genauso entschiede­n wie Löw. Sané hat bei Manchester City eine tolle Saison gespielt, aber in der Nationalma­nnschaft hat er nicht überzeugt.

GRINGS Er ist sicher kein einfacher Typ und ist in einer Phase, in der er sich weiterentw­ickeln muss. Sané hat großes Potential und kann den Unterschie­d ausmachen.

Was braucht man, um in die Nationalma­nnschaft zu kommen?

ROLFES Du musst dich nicht unterordne­n, sondern einordnen. Die Nationalma­nnschaft ist eine ganz andere Hausnummer als derVerein. Da geht’s kürzer und härter zur Sache. Das sind alles Topstars, und jeder hat eine breite Brust. Das ist schon ein besonderer Verdrängun­gswettbewe­rb.

Wie schmerzhaf­t ist so eine Absage, kurz vor einem Turnier?

ROLFES Jogi Löw hatte mir 2012 vor der EM abgesagt, da war ich zwar nicht im Vorbereitu­ngslager, aber wenn man das Ticket nach Hause bekommt, ist das schon hart. Der Anruf kommt einen Abend vorher. Wenn der Co-Trainer anruft, ist das gut. Dann bist du dabei.

Was unterschei­det die DFB-Vorbereitu­ng vom Vereinstra­ining?

GRINGS Du bist viel intensiver mit den Spielern zusammen. Für mich war das immer das Größte, weil es Spaß gemacht hat. Es ist brutal anstrengen­d, aber du arbeitest fokussiert auf ein Ziel hin.

ROLFES Deswegen spielt die Kaderzusam­mensetzung eine so wichtige Rolle. Du hockst 24 Stunden aufeinande­r, alle sind unter Spannung. Die Franzosen beispielsw­eise hatten immer Top-Einzelspie­ler in den eigenen Reihen, haben aber als Team meist nicht funktionie­rt. Du brauchst am Ende eine gute Energie in der Truppe, das ist ein entscheide­nder Faktor.

Die Bundesliga war zuletzt oft mit Randthemen überladen, mit Technik statt mit dem Sport. Wie sehen Sie die Entwicklun­g des Fußballs?

ROLFES Der Fokus muss wieder zurück zum Fußball kommen, auf die Ausbildung von Spielern und dieVerbess­erung des Spiels. Die internatio­nalen Ergebnisse könnten auch besser sein.Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den Anschluss verlieren.

NEUVILLE Der Videobewei­s ist ein Beispiel. Du denkst, du hast jetzt mehr Gerechtigk­eit. Aber manchmal ist es umgekehrt. Das hat jeder beim DFB-Pokalfinal­e gesehen, als Bayern gegen Frankfurt den Elfmeter nicht bekommen hat.

GRINGS Wir verlieren die Balance zum Spiel. Das Kommerziel­le macht den Fußball kaputt und ist mir zu viel geworden. Die Vereine sollten vor der eigenen Haustüre kehren und mehr Wert auf die Nachwuchsf­örderung legen. Es ist ja schon fast pervers, wie zum Beispiel der FC Chelsea Jugendspie­ler kauft. Das hat nichts mehr mit Förderung zu tun. Jungen Talenten wird kaum mehr die Zeit gegeben, sich zu Profis zu entwickeln. Das ist eine Entwicklun­g, die sich die Spitzenman­nschaften in der Liga nicht abschauen sollten.

Der Fußball scheint einer einheitlic­hen Taktik verfallen zu sein. Bei der EM 2016 haben sich viele Teams nur hinten reingestel­lt. Wird das auch ein Trend der WM 2018 sein?

ROLFES Ich glaube nicht. Es ist aber in Deutschlan­d ein großes Problem, dass keiner mehr den Ball haben will. Die Spanier machen uns das Gegenteil vor. Die zeigen, dass man den Europapoka­l nur mit dem Ball gewinnen kann.

NEUVILLE Viele deutsche Teams treten internatio­nal auch nur mit der B-Elf auf, weil sie die Bundesliga als wichtiger ansehen.

Wie entstehen solche Trends?

GRINGS Vereine haben Leistungsd­ruck und sind anderersei­ts limitiert. Die wenigsten jungen Talente bekommen noch die Zeit, sich zum Profi zu entwickeln.

ROLFES Du machst es dir durch dieses taktische Mittel relativ einfach, weil du wenig spielerisc­he Qualität brauchst und schnellen Erfolg haben kannst. Das funktionie­rt aber nur, wenn wenigstens eines der beiden Teams spielen will.Wir müssen von unseren Spitzentea­ms erwarten, dass sie Fußball spielen wollen. Es ist ja teilweise grausam anzusehen, wenn zwei Bundesliga-Mannschaft­en aufeinande­rtreffen, die beide nicht den Ball haben wollen.

Herr Rolfes, wann haben Sie Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier eigentlich das letzte Mal ein Trikot geschenkt?

ROLFES (lacht) Ich hätte kein Problem, ihm eins zu schenken. Aber er hat mich noch nie eingeladen!

Mesut Özil und Ilkay Gündogan haben sich mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ablichten lassen. Wie bewerten Sie die Aktion?

NEUVILLE Bevor du heutzutage so ein Foto machen lässt, sprichst du dich mit deinen Beratern ab. Die beiden wussten schon genau, was sie tun. Und der Dritte (Emre Can, Anm. d. Red.), hat die Einladung ja auch abgelehnt.

ROLFES Die Reaktionen waren sicher nicht überrasche­nd. Erdogan vertritt nicht unsere demokratis­chen Werte, daher war es ein Fehler. Wir machen alle Fehler, aber die muss man dann eingestehe­n. Da hätte ich mir schon ein noch klareres Bekenntnis gewünscht. Danach kann es auch wieder weitergehe­n. Dass sich Ilkay erklärt hat, war ein Schritt in die richtige Richtung.

NEUVILLE Özil aber noch nicht. Man weiß nicht, was im Hintergrun­d vorher passiert ist.

GRINGS Ich fand das absolut grenzwerti­g. Du vertrittst als Verband, als Mannschaft und Spieler Werte, das müssen Profis wissen. Ich bin sicher, sie wussten, was sie tun. Ich habe dafür kein Verständni­s. Vielleicht hätte man Konsequenz­en ziehen müssen. Es gibt ja eigentlich nur eine, nämlich streichen. Ein Gespräch allein, da bekommen Spieler vielleicht rote Ohren – und gehen dann wieder auf den Platz.

Auch mit Blick auf das WM-Gastgeberl­and Russland: Sollten sich Sportler zu Politik äußern?

ROLFES Die Spieler sind keine Politikexp­erten. Die fahren in der Rolle als Botschafte­r des Sports, des völkerverb­indenden Fußballs, hin. Da darf man den Spielern nicht zu viel aufbürden. Sportler tun sich selbst gut, wenn sie sich politisch zurückhalt­en.

Trotzdem gibt es ja die Symbiose von Sport und Politik.

GRINGS Die meisten Menschen und Kulturen kommen beim Fußball zusammen. Da musst du Politik und Sport verbinden und das ausnutzen, aber Spieler sollte man da heraushalt­en. Das ist nicht ihr Job.

ROLFES Dass sich die Jungs damit auseinande­rsetzen, ist ganz klar. Aber man kann von Fußballern nicht solche politische­n Statements erwarten wie vielleicht von Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Zurück zum Sportliche­n. Wer zählt für Sie zu den WM-Titelfavor­iten?

NEUVILLE Natürlich gehört Deutschlan­d dazu. Die Spanier sind richtig stark, und Frankreich ist auch als Team im Kommen. Eine Außenseite­rchance traue ich Belgien zu.

ROLFES Viele Favoriten sind es diesmal nicht. Vielleicht neben Deutschlan­d, Spanien und Frankreich noch die Brasiliane­r.

GRINGS IchbinaufE­nglandgesp­annt. Die haben einen guten Kader.

ROLFES Ja, England kommt sicher, aber eher beim nächsten Turnier.

Welcher Spieler könnte der große Star der WM werden?

ROLFES Ich hoffe zwar, dass die Spanier dann im Finale verlieren, aber für mich ist es Andrès Iniesta. Wie der spielt! Das ist fantastisc­h. Der ist einfach genial.

NEUVILLE Ich freue mich, dass Marco Reus sein erstes großes Turnier spielt. Ich drücke ihm die Daumen. Er ist ein guter Junge. Wenn er in Topform ist, macht er viele Tore.

Einen deutschen Star sollten wir noch behandeln: Manuel Neuer. Viele haben in dem klaren Bekenntnis zu Neuer eine Herabsetzu­ng von ter Stegen gesehen. Sie auch?

GRINGS Das war es irgendwo schon. Aber Neuer hat sich den Status über Jahre erarbeitet. Es gibt diese Stammspiel­er, auf die kannst und darfst du nicht verzichten. Ich bin sicher, dass vernünftig mit Marc-André geredet wurde.

ROLFES Manuel Neuer ist Manuel Neuer. Der hat Persönlich­keit. Und das hat natürlich auch Wirkung auf den Gegner.

NEUVILLE Marc-André ist auch überragend. Er hat eine tolle Saison bei Barcelona gespielt. Über Torhüter müssen wir uns keine Sorgen machen. Auch Bernd Leno ist stark.Wobei, als dritter Torwart zur WM zu fahren, das ist wie Urlaub.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN GIANNI COSTA UND ROBERT PETERS. AUFGEZEICH­NET VON JESSICA BALLEER. FOTOS: ANDREAS BRETZ.

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„Du brauchst eine gute Energie in der Truppe, das ist ein entscheide­nder Faktor.“ Simon Rolfes
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„Die Vereine müssen mehr Wert auf die eigene Nachwuchsf­örderung legen.“ Inka Grings
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„Gündogan und Özil wussten genau, was sie tun.“ Oliver Neuville
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Das ist die WM-Elf unserer Experten, oben die Unterschri­ften von Grings, Rolfes und Neuville.

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