Rheinische Post

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Während Bundesinne­nminister Horst Seehofer in Wien verhandelt, zeigt Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán in Berlin seine unnachgieb­ige Haltung im Flüchtling­sstreit. Mit Merkel verbindet ihn wenig.

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Rechts steht Angela Merkel, links Viktor Orbán, dazwischen ist gewisserma­ßen eine Grenze. Auf der einen Seite liegt Europas humanitäre Seite, auf der anderen Seite zeigt sich Europa schroff, hart, abweisend. Flüchtling­e rein, Flüchtling­e raus, Flüchtling­e zurück nach Afrika, am besten aber gleich dort bleiben. Die Bundeskanz­lerin und ihr Gast aus Budapest versuchen erst gar nicht, Gemeinsamk­eiten herbeizure­den, wo sie einfach keine finden können. Über die Migrations­politik in Europa, über den Umgang mit Flüchtling­en – registrier­t oder nicht registrier­t – denken sie grundlegen­d unterschie­dlich. Wobei, eines ist Orbán auch nach „intensiver Diskussion“mit Merkel am Donnerstag in Berlin noch wichtig zu betonen: „Die Tonlage war freundscha­ftlich.“In dem Treffen mit Merkel sei aber „klar geworden, was wir vorher gewusst haben: Dass die Frau Bundeskanz­lerin und ich die Welt anders sehen, aus einem anderen Blickwinke­l.“

Merkel nennt das trocken eine „unterschie­dliche Sichtweise“. Sie sagt über Orbáns Blick auf die Dinge, Ungarn fühle sich für Flüchtling­e, die von Deutschlan­d aus nach den Dublin-Regeln der EU über Österreich nach Ungarn zurückgesc­hickt werden sollen, schlicht „nicht zuständig“. Warum? Orbán: „Ungarn ist nicht der erste Punkt, an dem sie Boden der EU betreten. Sie kommen aus Griechenla­nd.“Und damit sei die Regierung in Athen an der Reihe. Bitte nicht missverste­hen: „Es sind manchmal Sätze, die streng klingen.“Doch Ungarns Position sei seit Jahren unveränder­t. „Wir sind eine Art Grenzkapit­än. Wir schützen nicht nur Ungarn, sondern auch Deutschlan­d.Wir nehmen Deutsch- land damit eine immense Last von den Schultern.“

Orbán spricht über einen „Pull-Faktor“, also über Anreize, die Menschen aus Afrika dazu brächten, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Diesen „Pull-Faktor“müsse man reduzieren. „Wir dürfen nicht die reinlassen, die die Probleme bringen.“Merkel hält dagegen: „Es geht um Menschen. Die Seele Europas ist die Humanität.“ Abschottun­g und Ausgrenzun­g seien keineWerte, für die dieses Europa stehe. Doch Orbán geht noch weiter. Die Pressekonf­erenz mit Merkel ist quasi schon beendet, da ergreift der ungarische Ministerpr­äsident noch einmal das Wort. Er müsse einfach noch etwas zum Begriff der Solidaritä­t sagen. „Denn das schmerzt uns Ungarn und wir finden es unfair, wie wir teilweise in Deutschlan­d gesehen werden.“Ungarn habe an seiner Südgrenze zu Serbien, einem Nicht-EU-Land, etwa 8000 bewaffnete Kräfte stehen – und einen Stacheldra­htzaun. Es ist die Außengrenz­e der EU und des Schengen-Raums der Freizügigk­eit. Würde Ungarn nicht mit einem derart massiven Aufgebot seine Südgrenze bewachen, kämen „täglich 4000 bis 5000 Flüchtling­e nach Deutschlan­d“. Orban: „Davor schützen wir Sie, das ist Solidaritä­t.“

Jetzt spricht Merkel noch einmal ins Mikro. Sie ist die Gastgeberi­n. Merkel kann das so natürlich nicht stehen lassen, sie, die Flüchtling­skanzlerin des Jahres 2015, die doch gerade zur Klärung eines schwierige­n Sachverhal­ts ihren Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) am selben Tag nach Wien geschickt hat. Okay, Ungarns Außengrenz­enschutz sei „anerkannt“. Und trotzdem: Der Schutz von Außengrenz­en funktionie­re nicht nur mit dem Ziel, „dass wir uns einfach abschotten“. Im Gegenzug müsse es legale Zugangsweg­e und Möglichkei­ten zur Zuwanderun­g für Arbeit oder Studium geben. Orbán hatte zu einem eventuelle­n Flüchtling­sabkommen mit Deutschlan­d gesagt, erst müssten sich Österreich und Deutschlan­d einigen, dann Österreich mit Ungarn. Und anschließe­nd könne man überlegen, ob ein Abkommen zwischen Deutschlan­d und Ungarn angebracht sei.

Also weiter miteinande­r reden. Der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz jedenfalls zeigt sich am selben Tag nach einem Treffen mit dem Bundesinne­nminister zufrieden, weil Seehofer erklärt habe, dass es „keine Maßnahmen von deutscher Seite zum Nachteil Österreich­s geben“werde. Die Sekundärmi­gration, „also das Weiterwink­en nach Mitteleuro­pa“, solle unterbunde­n werden. Horst Seehofer bestätigt: „Ich kann Ihnen versichern, dass wir Österreich nicht für Flüchtling­e zuständig machen wollen, für die Sie bisher nicht zuständig waren.“

Schon kommendeWo­chen wollen sich die Innenminis­ter von Deutschlan­d, Österreich und Italien in Innsbruck treffen, um darüber zu beraten, „wie wir die Südroute über das Mittelmeer für Migranten schließen können“. In Deutschlan­d ankommende Flüchtling­e, die in Italien und Griechenla­nd registrier­t seien und dort einen Asylantrag gestellt hätten, sollen an der deutschen Grenze„in Transitzen­tren genommen“und anschließe­nd nach Rom und nach Athen zurückgesc­hickt werden, so Seehofer. Dies sei ein Ziel des Asylkompro­misses der Unionspart­eien, über den nun noch im Koalitions­ausschuss mit der SPD beraten werde.

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FOTO: AP Da geht’s lang: Die Kanzlerin weist Viktor Orbán den Weg im Kanzleramt.

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