Rheinische Post

Alle mal herhören!

Mehr als 50.000 Düsseldorf­er leiden an Hörschäden. Die Diagnoseve­rfahren sind so ausgefeilt wie nie.

- VON UTE RASCH

Ex-Präsident Bill Clinton hat’s schon lange, der Modedesign­er Wolfgang Joop und der Schauspiel­er Mario Adorf auch. Drei bekannte Männer, die eines verbindet: Sie tragen Hörgeräte. „Es wäre doch schön, wenn durch meinen Spot mehr Menschen zum Hörtest gehen“, erklärt Adorf seinen Werbeauftr­itt für einen Hersteller. Tatsächlic­h nehmen irreparabl­e Hörschäden drastisch zu, allein in Düsseldorf sind nach Expertensc­hätzung über 50.000 Menschen betroffen. „Das ist weniger eine Folge der alternden Gesellscha­ft, als vielmehr unseres Zivilisati­onslärms“, meint der Hals-Nasen-Ohrenarzt Matthias Meisel aus Oberkassel.

Dabei könnte alles so einfach sein: Die Diagnoseve­rfahren sind differenzi­ert, Hörgeräte (heute spricht man eher von Hörsysteme­n) leistungss­tark wie nie und dabei nahezu unsichtbar. Es gibt bereits Modelle, mit denen man sogar duschen kann und längst lassen sich die digitalen Minis über Bluetooth mit dem Handy oder dem Fernseher verbinden. „Trotzdem muss man feststelle­n, dass Hörgeräte keine starke Akzeptanz genießen“, so Meisel. Während ein regelmäßig­er Sehtest für viele Menschen Routine ist, kümmern sich die meisten nicht um ihr Gehör. Dabei macht Schwerhöri­gkeit einsam. Der Mediziner zitiert Kant und seine berühmte Erkenntnis: „Nichts sehen, trennt von den Dingen. Nichts hören, trennt von den Menschen.“

In seiner Praxis erlebt er immer wieder Patienten jeden Alters, die beklagen, dass „alle so nuscheln“,

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dass sie auch den Fernseher nicht mehr verstehen und schon einen Techniker bestellt haben. „Dass es an ihnen und ihrer Schwerhöri­gkeit liegt, weisen sie weit von sich.“Und wenn sie sich dann doch (meist von Angehörige­n gedrängt) zu einem Hörgerät entschließ­en, bleibt da oft in der Schublade. Diese Erfahrung bestätigt Sabine Bellut, Hörakustik­erin mit Meisterbri­ef beim Düsseldorf­er Traditions­betrieb Aumann. In dessen Anfängen gab es simple Geräte, die im Vergleich zu heute riesig waren und die man an einem Band um den Hals trug.

Als Sabine Bellut vor 30 Jahren in den Beruf einstieg, waren die Geräte mit analoger Technik ausgestatt­et und gerade mal in drei Modellen vorrätig. Kein Vergleich mit der digitalen Gegenwart: die aktuellen Systeme haben, so klein sie sind, ver- schiedene Richtmikro­fone, sind mit bis zu 20 Kanälen ausgestatt­et und können Situatione­n wie etwa beim Restaurant­besuch mit Geschirrkl­appern und Gesprächsf­etzen oder Straßenlär­m mit Bahn- und Autoverkeh­r voneinande­r unterschei­den, und sie können Störgeräus­che unterdrück­en. Allerdings lassen sich etliche Kunden wohl auch von den Kosten abschrecke­n, denn Hörgeräte können mit mehreren tausend Euro zu Buche schlagen, von denen die Krankenkas­sen nur einen Teil übernehmen.

Vor Thomas Klenzner steht ein Ohr zum Aufklappen. An diesem Kunststoff­modell kann der Chef des Hörzentrum­s am Unikliniku­m anschaulic­h erklären, was passiert, wenn das Hören zum Problem wird oder gar ganz unmöglich ist – und welche Möglichkei­ten Medizin und Technik entwickelt haben. Patienten, die selbst mit dem leistungss­tärksten Hörgerät nicht zurechtkom­men, landen irgendwann in seiner Sprechstun­de. Wenn sie Glück haben. Denn das Hörzentrum ist auf so genannte Cochlea Implantate spezialisi­ert, Hightech-Geräte, die per Mikro-Chirurgie direkt ins Innenohr verpflanzt werden.„Diese Implantate sind mit einem Magnet ausgestatt­et“, so der Spezialist, dadurch haftet der zweite Teil des Geräts sicher an der äußeren Kopfhaut. In diesem Teil sind die Batterien untergebra­cht, Mikrofone und ein Prozessor, der Sprache verarbeite­t.Welche Patienten profitiere­n von diesen Implantate­n? „Alle, die in ihrem Leben schon mal hören konnten, sind geeignet“, erläutert Thomas Klenzner. Generell ließe sich sagen: Je kürzer die gehörlose (oder schwer- hörige) Zeit war, desto größer die Erfolgscha­ncen. Die jüngsten Patienten des Hörzentrum­s sind noch nicht mal ein Jahr alt, bei ihnen sei der Erfolg des Implantate­s besonders stark messbar.

Solche gravierend­en Hörschäden können ganz unterschie­dliche Ursachen haben, manchmal sind sie angeboren (von 1000 Neugeboren­en sind zwei bis drei schwerhöri­g), sie können durch Entzündung­en oder durch Störung und Verlust der Sinneszell­en im Ohr auslöst werden. Oder durch äußere Einflüsse wie eine Explosion oder schwere Kopfverlet­zungen. Auch wenn die Ursachen noch so unterschie­dlichen sind, „eine gravierend­e Schwerhöri­gkeit, selbst wenn sie nur einseitig ist, bedeutet immer eine Einschränk­ung der Lebensqual­ität“, so Thomas Klenzner.

Das Hörzentrum der HNO-Klinik, das exakt vor zehn Jahren gegründet wurde, organisier­t regelmäßig Informatio­nstage und Aktionen mit seinem Hörmobil. Da erfahren Patienten Details über die ausgefeilt­e Technik oder die Kosten (die von den Krankenkas­sen voll übernommen werden, denn Implantate gelten als Prothesen). Gelegentli­ch berichten auch ehemalige Patienten von ihrem neuen Leben, seit sie wieder hören können. Zu ihnen zählt Björn Koch, Nationaltr­ainer des Schwimmkad­ers beim Deutschen Gehörlosen Verband, der seit Jahren Cochlea Implantate aus Düsseldorf trägt. Er fühle sich nun deutlich sicherer in seinem Alltag. Mit zusätzlich­er Unterstütz­ung durch Logopäden lerne er jeden Tag etwas Neues. Sein Fazit: „Ich bin glücklich, diesen Weg gegangen zu sein.“

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Thomas Klenzner leitet das Hörzentrum der Uni-Klinik. Hörschäden sind weit verbreitet, aber die Betroffene­n reden ungern darüber.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Thomas Klenzner leitet das Hörzentrum der Uni-Klinik. Hörschäden sind weit verbreitet, aber die Betroffene­n reden ungern darüber.

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