Rheinische Post

Genervthei­t grassiert

Statt in Wut auszubrech­en, reagieren mehr Menschen gereizt auf andere.

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Man sieht es den Leuten an, wenn man auf die Mimik achtet. Wie sie noch zu lächeln versuchen, obwohl sich in ihrem Innern längst dieses Gefühl zusammenbr­aut, diese aufgestaut­e Wut, weil alles nicht schnell genug geht. Oder weil das Gegenüber nicht versteht. Oder weil der Chef zu viel verlangt. Menschen reagieren dann unwirsch und herablasse­nd. Ihre Aggression­en müssen irgendwohi­n – und weil man nicht offenherzi­g streiten will, wird man fies.

Diese destruktiv­e Gereizthei­t soll oft wahre Gefühle überdecken wie Wut, Ungeduld oder Enttäuschu­ng. Herunterge­schluckt laden diese Emoti- onen Menschen mit so viel negativer Energie auf, dass sie anderen nicht mehr freundlich begegnen können. Gerade in Situatione­n, in denen Leute überforder­t sind, in Wartezimme­rn, an Schaltern, in Geschäften begegnet man akut genervten Menschen. Doch diese gallige Art kann sich auch einschleif­en, kann zum Frust werden, in dem man sich einrichtet. Genervthei­t steht also in Zusammenha­ng mit der Verdichtun­g von Arbeitsund Lebensrhyt­hmen, mit wachsenden Ansprüchen, denen sich Menschen ausgeliefe­rt fühlen. Genervthei­t hat wahrschein­lich auch damit zu tun, dass viele verlernen, Empfindung­en wahrzunehm­en und darüber zu sprechen. Sie wollen nicht anecken, versuchen in die Verhaltens­schablonen der Erfolgreic­hen und Beliebten zu passen. Zorn hat da keinen Platz. Auseinande­rsetzungen zu wagen, ist mühsam. Streit birgt das Risiko, falsch verstanden und abgelehnt zu werden. Darum weichen viele lieber aus. Doch Konflikte verschwind­en nie von selbst, sie sickern nur in andere Kanäle. Und verändern den Ton des Miteinande­rs. Die Ferien sind eine gute Zeit, sich seiner Genervthei­ten bewusst zu werden. Und nach den Ursachen zu fragen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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