300 Liter Milch im Müll: Bauer verklagt NRW
Ein Landwirt findet keine Molkerei und will mit einem 60 Jahre alten Gesetz den Verkauf erzwingen. Die Richter sehen den Fall anders.
DÜSSELDORF Als im Frühling der Tierarzt kommt, muss Landwirt Jürgen Knorsch wieder eine Ratenzahlung aushandeln. Bis heute haben seine 15 Kühe das Geld nicht wieder reingeholt. Denn deren Milch findet einfach keinen Abnehmer. „Jeden Abend kippe ich ungefähr 300 Liter auf den Misthaufen“, sagt der 55-Jährige, der einen Hof in Kamp-Lintfort betreibt. Molkereien wollen die Milch nicht, zu klein scheint die Menge.
Seine letzte Hoffnung: ein Gesetz aus der Nachkriegszeit, mit dem er erzwingen will, dass er eine Molkerei zugewiesen bekommt, die ihm die Milch abkauft. EineVerordnung mit sperrigem Namen, das„Gesetz über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten“, kurz Milchund Fettgesetz. Also zieht Knorsch gegen das Land NRW vor Gericht.
Am Mittwoch hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf über den Fall beraten. Später, als die Kammer die Klage schließlich abweist, wird ein Richter sagen, noch nie habe ein Bauer geklagt, dass ihm jemand seineWaren abkaufen müsse. Knorsch stört das nicht, er ist vorbereitet. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Stapel Dokumente, immer wieder ergreift er dasWort und immer wieder muss die Kammer seinen Redefluss stoppen. „Es gibt eine Riesenindustrie, Betriebe mit 1000 Tieren, und als kleiner Bauer kann ich nichts tun, damit mir jemand meine Milch abnimmt“, sagt Knorsch. Der Preis sei ihm ja sogar noch egal, neben dem Hof in Kamp-Lintfort verläuft die Autobahn, dort sehe er täglich dutzende Lkws, die überall in der Region Milch einsammeln, nur er bleibe auf der Strecke, sagt er. Dabei seien die Tiere noch jung, ihre Euter gesund, alle Werte unauffällig. Nur warum will dann keine Molkerei die Milch kaufen?
Elmar Hannen, Landesvorsitzender des Verbands Deutscher Milchviehhalter, kennt solche Fälle nur von den Erzählungen seiner bayrischen Kollegen. „Dort gibt es einige Höfe, die recht abseits liegen und nur wenige Kühe haben. Die Molkereien sagen es offiziell nicht, aber das Geschäft lohnt sich für sie dort einfach nicht“, sagt Hannen, selbst Landwirt im Kreis Kleve. In NRW sei der Hof von Knorsch der erste Fall dieser Art, der ihm bekannt sei.„Das ist natürlich bitter für einen Bauern, der Milch verkaufen will und eigent-
lich ja nichts falsch gemacht hat.“
Auch Hannen ist der Auffassung, das Milch- und Fettgesetz sichere den Landwirten zu, dass eine Molkerei im Land die Milch abnehmen muss. Wörtlich heißt es dort: „Milcherzeuger sind verpflichtet, Milch und Sahne (Rahm), die sie in den Verkehr bringen, an eine Molkerei, die von der obersten Landesbehörde für Ernährung und Landwirtschaft (oberste Landesbehörde) bestimmt wird, zu liefern.“Die Verwaltungsrichter sehen hier jedoch nicht die Landesbehörden in der Pflicht, eine solche Molkerei zwingend festzusetzen. „Bestimmt wird“heißt eben nicht „muss bestimmen“. Das Gesetz sei 1951 geschaffen worden, um die Milch-Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, heutzutage sei der Markt mit Milch aber überschwemmt. Der Staat habe nicht vorzuschreiben, wo Verträge zwischen Landwirten und Molkereien geschlossen werden. „Deshalb sehen wir nicht, dass es in diesem Fall einen Anspruch auf die Zuweisung einer Molkerei gibt“, sagt die Vorsitzende Richterin.
Knorsch will warten, bis das Urteil schriftlich vorliegt – und dann vor die nächste Instanz ziehen. „Ich werde mich weiter wehren“, sagt er. Vor drei Jahren hatte der Landwirt Milchkühe angeschafft, als die EU die Quotenregel abschaffte und man fortan ohne ein Kontingent zu erwerben Tiere melken durfte. „Und jetzt muss ich bald entscheiden, welche Kuh ihren Kopf verliert.“ ATHEN Der große Tag rückt näher: Am 20. August enden die Hilfsprogramme für Griechenland. Aber bis das Problemland zur Normalität zurückkehrt, wird es noch Jahrzehnte dauern. Die Griechen müssen auch nach dem Abschluss des Anpassungsprogramms strenge Kontrollen über sich ergehen lassen. Denn die Angst der Gläubiger vor einem Rückfall ist groß.
Für den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras ist das Ende des Programms ein politischer Erfolg, den er mit einer pompösen Kundgebung in Athen zu feiern gedenkt. Schließlich hatte Tsipras schon bei seinem Amtsantritt Anfang 2015 versprochen, er werde die Kreditverträge „in der Luft zerreißen“, den Schuldendienst einseitig einstellen und die verhasste Troika für immer aus Athen vertreiben. Doch stattdessen musste Tsipras neue, noch härtere Spar- und Reformauflagen akzeptieren, nachdem er und sein exzentrischer Finanzminister Yanis Varoufakis Griechenland im Sommer 2015 an den Rand des Staatsbankrotts geführt hatten.
Tsipras wandelte sich zwar inzwischen vom Rebell zu einem Part- ner, der die meisten Auflagen der Geldgeber folgsam umsetzt. Zugleich betont er aber immer wieder, er müsse unter dem Druck der Gläubiger eine Politik machen, „an die ich nicht glaube“. Und es gibt bereits Anzeichen, dass die Regierung vom Spar- und Reformkurs abweicht: Ende Juni setzte Tsipras eine geplante Mehrwertsteuererhöhung für fünf Ägäisinseln aus – ohne Absprache mit den Gläubigern. Die Regierung lässt auch durchblicken, dass sie die beschlossenen Rentenkürzungen zum 1. Januar 2019 und die im Jahr darauf fällige Steuerreform annullieren will.
Das heikle Thema dürfte am Donnerstag die Euro-Finanzminister beschäftigen. Sie wollen darüber beraten, welchen Kontrollen sich Griechenland nach dem Ende des Programms unterziehen muss. Sie werden erheblich schärfer sein als das „Post Programme Monitoring“(PPM), dem die anderen vier früheren Programmländer unterworfen sind. Das PPM sieht sechsmonatige Überprüfungen durch die EU-Kommission vor, bis das jeweilige Land 75 Prozent der erhaltenen Hilfskredite zurückgezahlt hat.
Parallel dazu bleibt Athen wie bisher auch weiterhin unter Beobachtung des Euro-Stabilitätsfonds ESM, bis alle Darlehen getilgt sind. Das wird bis 2066 dauern. Bis dahin unterliegt Griechenland dem so genannten „Frühwarnsystem“des ESM: Experten des Stabilitätsfonds erstellen alle drei Monate eine Analyse zur Finanzlage des Schuldners, um sicherzustellen, dass dieser seine Kredite planmäßig bedienen kann.
Zusätzlich kommt Griechenlands bis 2022 unter verschärfte Aufsicht der EU-Kommission, des ESM, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds. So wollen die Gläubiger sicherstellen, dass die Regierung die fiskalischen Vorgaben einhält. Außerdem muss Athen weitere Privatisierungen, Verwaltungs- und Arbeitsmarktreformen umsetzen.
Voraussichtlich am Freitag will das ESM-Direktorium über die Auszahlung der letzten Kreditrate aus dem laufenden Hilfsprogramm entscheiden. Es geht um 15 Milliarden Euro. Davon sind 5,5 Milliarden Euro für den Schuldendienst bestimmt. 9,5 Milliarden fließen in eine Rücklage. Dieses Liquiditätspolster von insgesamt rund 24 Milliarden Euro soll es Griechenland ermöglichen, sich bis Mitte 2020 zu refinanzieren, ohne neue Staatsanleihen ausgeben zu müssen.