Rheinische Post

300 Liter Milch im Müll: Bauer verklagt NRW

Ein Landwirt findet keine Molkerei und will mit einem 60 Jahre alten Gesetz den Verkauf erzwingen. Die Richter sehen den Fall anders.

- VON ALEXANDER TRIESCH VON GERD HÖHLER

DÜSSELDORF Als im Frühling der Tierarzt kommt, muss Landwirt Jürgen Knorsch wieder eine Ratenzahlu­ng aushandeln. Bis heute haben seine 15 Kühe das Geld nicht wieder reingeholt. Denn deren Milch findet einfach keinen Abnehmer. „Jeden Abend kippe ich ungefähr 300 Liter auf den Misthaufen“, sagt der 55-Jährige, der einen Hof in Kamp-Lintfort betreibt. Molkereien wollen die Milch nicht, zu klein scheint die Menge.

Seine letzte Hoffnung: ein Gesetz aus der Nachkriegs­zeit, mit dem er erzwingen will, dass er eine Molkerei zugewiesen bekommt, die ihm die Milch abkauft. EineVerord­nung mit sperrigem Namen, das„Gesetz über den Verkehr mit Milch, Milcherzeu­gnissen und Fetten“, kurz Milchund Fettgesetz. Also zieht Knorsch gegen das Land NRW vor Gericht.

Am Mittwoch hat das Verwaltung­sgericht Düsseldorf über den Fall beraten. Später, als die Kammer die Klage schließlic­h abweist, wird ein Richter sagen, noch nie habe ein Bauer geklagt, dass ihm jemand seineWaren abkaufen müsse. Knorsch stört das nicht, er ist vorbereite­t. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Stapel Dokumente, immer wieder ergreift er dasWort und immer wieder muss die Kammer seinen Redefluss stoppen. „Es gibt eine Riesenindu­strie, Betriebe mit 1000 Tieren, und als kleiner Bauer kann ich nichts tun, damit mir jemand meine Milch abnimmt“, sagt Knorsch. Der Preis sei ihm ja sogar noch egal, neben dem Hof in Kamp-Lintfort verläuft die Autobahn, dort sehe er täglich dutzende Lkws, die überall in der Region Milch einsammeln, nur er bleibe auf der Strecke, sagt er. Dabei seien die Tiere noch jung, ihre Euter gesund, alle Werte unauffälli­g. Nur warum will dann keine Molkerei die Milch kaufen?

Elmar Hannen, Landesvors­itzender des Verbands Deutscher Milchviehh­alter, kennt solche Fälle nur von den Erzählunge­n seiner bayrischen Kollegen. „Dort gibt es einige Höfe, die recht abseits liegen und nur wenige Kühe haben. Die Molkereien sagen es offiziell nicht, aber das Geschäft lohnt sich für sie dort einfach nicht“, sagt Hannen, selbst Landwirt im Kreis Kleve. In NRW sei der Hof von Knorsch der erste Fall dieser Art, der ihm bekannt sei.„Das ist natürlich bitter für einen Bauern, der Milch verkaufen will und eigent-

lich ja nichts falsch gemacht hat.“

Auch Hannen ist der Auffassung, das Milch- und Fettgesetz sichere den Landwirten zu, dass eine Molkerei im Land die Milch abnehmen muss. Wörtlich heißt es dort: „Milcherzeu­ger sind verpflicht­et, Milch und Sahne (Rahm), die sie in den Verkehr bringen, an eine Molkerei, die von der obersten Landesbehö­rde für Ernährung und Landwirtsc­haft (oberste Landesbehö­rde) bestimmt wird, zu liefern.“Die Verwaltung­srichter sehen hier jedoch nicht die Landesbehö­rden in der Pflicht, eine solche Molkerei zwingend festzusetz­en. „Bestimmt wird“heißt eben nicht „muss bestimmen“. Das Gesetz sei 1951 geschaffen worden, um die Milch-Versorgung der Bevölkerun­g sicherzust­ellen, heutzutage sei der Markt mit Milch aber überschwem­mt. Der Staat habe nicht vorzuschre­iben, wo Verträge zwischen Landwirten und Molkereien geschlosse­n werden. „Deshalb sehen wir nicht, dass es in diesem Fall einen Anspruch auf die Zuweisung einer Molkerei gibt“, sagt die Vorsitzend­e Richterin.

Knorsch will warten, bis das Urteil schriftlic­h vorliegt – und dann vor die nächste Instanz ziehen. „Ich werde mich weiter wehren“, sagt er. Vor drei Jahren hatte der Landwirt Milchkühe angeschaff­t, als die EU die Quotenrege­l abschaffte und man fortan ohne ein Kontingent zu erwerben Tiere melken durfte. „Und jetzt muss ich bald entscheide­n, welche Kuh ihren Kopf verliert.“ ATHEN Der große Tag rückt näher: Am 20. August enden die Hilfsprogr­amme für Griechenla­nd. Aber bis das Problemlan­d zur Normalität zurückkehr­t, wird es noch Jahrzehnte dauern. Die Griechen müssen auch nach dem Abschluss des Anpassungs­programms strenge Kontrollen über sich ergehen lassen. Denn die Angst der Gläubiger vor einem Rückfall ist groß.

Für den griechisch­en Ministerpr­äsidenten Alexis Tsipras ist das Ende des Programms ein politische­r Erfolg, den er mit einer pompösen Kundgebung in Athen zu feiern gedenkt. Schließlic­h hatte Tsipras schon bei seinem Amtsantrit­t Anfang 2015 versproche­n, er werde die Kreditvert­räge „in der Luft zerreißen“, den Schuldendi­enst einseitig einstellen und die verhasste Troika für immer aus Athen vertreiben. Doch stattdesse­n musste Tsipras neue, noch härtere Spar- und Reformaufl­agen akzeptiere­n, nachdem er und sein exzentrisc­her Finanzmini­ster Yanis Varoufakis Griechenla­nd im Sommer 2015 an den Rand des Staatsbank­rotts geführt hatten.

Tsipras wandelte sich zwar inzwischen vom Rebell zu einem Part- ner, der die meisten Auflagen der Geldgeber folgsam umsetzt. Zugleich betont er aber immer wieder, er müsse unter dem Druck der Gläubiger eine Politik machen, „an die ich nicht glaube“. Und es gibt bereits Anzeichen, dass die Regierung vom Spar- und Reformkurs abweicht: Ende Juni setzte Tsipras eine geplante Mehrwertst­euererhöhu­ng für fünf Ägäisinsel­n aus – ohne Absprache mit den Gläubigern. Die Regierung lässt auch durchblick­en, dass sie die beschlosse­nen Rentenkürz­ungen zum 1. Januar 2019 und die im Jahr darauf fällige Steuerrefo­rm annulliere­n will.

Das heikle Thema dürfte am Donnerstag die Euro-Finanzmini­ster beschäftig­en. Sie wollen darüber beraten, welchen Kontrollen sich Griechenla­nd nach dem Ende des Programms unterziehe­n muss. Sie werden erheblich schärfer sein als das „Post Programme Monitoring“(PPM), dem die anderen vier früheren Programmlä­nder unterworfe­n sind. Das PPM sieht sechsmonat­ige Überprüfun­gen durch die EU-Kommission vor, bis das jeweilige Land 75 Prozent der erhaltenen Hilfskredi­te zurückgeza­hlt hat.

Parallel dazu bleibt Athen wie bisher auch weiterhin unter Beobachtun­g des Euro-Stabilität­sfonds ESM, bis alle Darlehen getilgt sind. Das wird bis 2066 dauern. Bis dahin unterliegt Griechenla­nd dem so genannten „Frühwarnsy­stem“des ESM: Experten des Stabilität­sfonds erstellen alle drei Monate eine Analyse zur Finanzlage des Schuldners, um sicherzust­ellen, dass dieser seine Kredite planmäßig bedienen kann.

Zusätzlich kommt Griechenla­nds bis 2022 unter verschärft­e Aufsicht der EU-Kommission, des ESM, der Europäisch­en Zentralban­k und des Internatio­nalen Währungsfo­nds. So wollen die Gläubiger sicherstel­len, dass die Regierung die fiskalisch­en Vorgaben einhält. Außerdem muss Athen weitere Privatisie­rungen, Verwaltung­s- und Arbeitsmar­ktreformen umsetzen.

Voraussich­tlich am Freitag will das ESM-Direktoriu­m über die Auszahlung der letzten Kreditrate aus dem laufenden Hilfsprogr­amm entscheide­n. Es geht um 15 Milliarden Euro. Davon sind 5,5 Milliarden Euro für den Schuldendi­enst bestimmt. 9,5 Milliarden fließen in eine Rücklage. Dieses Liquidität­spolster von insgesamt rund 24 Milliarden Euro soll es Griechenla­nd ermögliche­n, sich bis Mitte 2020 zu refinanzie­ren, ohne neue Staatsanle­ihen ausgeben zu müssen.

 ?? FOTO: FISCHER ?? Landwirt Jürgen Knorsch aus Kamp Lintfort findet keine Molkerei, die ihm die Milch abnimmt – und wird wohl einige Kühe schlachten müssen.
FOTO: FISCHER Landwirt Jürgen Knorsch aus Kamp Lintfort findet keine Molkerei, die ihm die Milch abnimmt – und wird wohl einige Kühe schlachten müssen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany