Rheinische Post

Abwärts mit den Lifestyle-Linken

Das 20-Prozent-Loch klingt für die SPD heute wie eine Verheißung. Das hat Gründe.

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Neulich passierte Seltenes: Eine Linksliber­ale übte Selbstkrit­ik. Susanne Gaschke gab im ARD-„Presseclub“zu bedenken, ob Ihresgleic­hen womöglich der Fehler unterlaufe­n sei, Menschen mit bürgerlich-konservati­ven Einstellun­gen zu politisch Unberührba­ren zu machen. Sie sagte, dass in ihren Kreisen jahrelang jede Party sprengen konnte, wer sich etwa zu bekennen traute, dass Kleinkinde­r am besten von ihren Müttern zu Hause betreut würden. Gaschke ist ein publizisti­sch aktives SPD-Nordlicht mit einem ruhmlosen Intermezzo als Oberbürger­meisterin von Kiel. Sie steht in ihrem komischen Elite-Bewusstsei­n symbolisch für eine Fehlentwic­klung der Funktionär­s-Sozialdemo­kratie. Diese ist von einer Massenbewe­gung für die Interessen kleiner Leute zur Interessen­gruppe libertärer Lifestyle-Klubmitgli­eder geworden, die mit dem Kaviar-Cracker auf der Hand die „Internatio­nale“summen und sich von WG-Romantik aus Uni-Zeiten erzählen.

Was sie sich damit eingebrock­t haben, zeigt die Demoskopie: Es scheint nur eine Bewegung zu geben – abwärts. Das 20-Prozent-Loch, in das man einst zu stürzen befürchtet­e, klingt mittlerwei­le wie eine Verheißung. Es gehört zu den gängigen Märchen, dass es Malocher kaum mehr gebe und deshalb die klassische SPD-Kli- entel verdunste. Deutschlan­d ist immer noch ein starkes Industrie-Produktion­sland mit aufstiegsw­illiger Arbeitersc­haft. Deren Angehörige wollen handfeste Politik und eine reißfeste Wirtschaft­sordnung mit dem Ziel „Wohlstand für alle“. Mit freigeisti­gem Politik- und Soziologen-Kauderwels­ch lassen sich Talkshow-Süppchen bis zur Wässrigkei­t strecken oder ein Mandats-Listenplat­z ergattern; aber die Wähler entlaufen. Das ist gut so. Denn in der Politik wie im sonstigen Leben gilt Großmutter­s Fingerzeig: Wer nicht hören will, muss fühlen.

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