Eine Fahrt auf schmalen Spuren Mit der Selfkantbahn geht es auf historischen Schienen durchs Heinsberger Land. Ehrenamtliche unterhalten die letzte Schmalspur-Kleinbahn in NRW. Damit starten wir unsere Sommerserie, in der wir Ihnen viermal in der Woche Ti
HEINSBERG Die Hauptattraktion ist 62 Jahre alt, wiegt knapp sieben Tonnen und raucht.„Wow“, sagt ein Junge begeistert, als die Dampflok in den Bahnhof Schierwaldenrath einfährt. Ein älteres Ehepaar zückt die Fotoapparate. Ihre Tickets für die nächste Fahrt haben sie schon griffbereit. Sonntags ist am Kleinbahnmuseum Selfkantbahn in Gangelt viel los. Auf mehr als 100 Jahre alten Schienen tuckert hier die letzte schmalspurige Kleinbahn Nordrhein-Westfalens.
Möglich macht das der Verein Interessensgemeinschaft historischer Schienenverkehr (IHS), der die Museumsbahn seit fast 50 Jahren betreibt. „Die Geschichte dieser Bahn ist etwas ganz Besonderes“, sagt der Vorsitzende Bernd Fasel. Die sechs Kilometer lange Strecke wurde nämlich bereits 1900 von Dampflokomotiven und Zügen der Geilenkirchener Kreisbahnen befahren – „sowohl für den Personen- als auch für den Gütertransport“. Im ZweitenWeltkrieg wurden Fahrzeuge und Anlagen stark beschädigt, danach stiegen immer mehr Fahrgäste auf Autos um. 1960 wurde der Personenverkehr auf der Strecke endgültig eingestellt.
Das Ende der Kreisbahn war das aber nicht: Immer noch wurden Güter wie Zuckerrüben und Kunstdünger transportiert. Als eine der wenigen Bahnen in Deutschland, deren Spur nur einen Meter breit ist, fuhr die Kreisbahn noch bis Anfang der 70er Jahre. Schnell gab es Überlegungen, den Dampflokbetrieb als Museumsbahn aufrechtzuerhalten. Und das Vorhaben gelang: Bis heute fährt die Selfkantbahn zwischen April und September an jedem Sonn- und Feiertag zwischen Schierwaldenrath und Gillrath hin und her.
Seit 1996 gibt es zudem ein Kleinbahnmuseum mit rund 50 Exponaten, unter anderem von der Sylter Inselbahn. Dazu kommen eine eigene Werkstatt, in der die Loks instand gehalten werden, und ein Kohlebunker. „Unsere Dampfloks werden traditionell mit Kohle betrieben“, erklärt Bernd Fasel. Zur Lok kommen mehrere Personen- und ein Buffetwagen. Gefahren wird bei Regen wie bei Sonnenschein. Die erste Fahrt geht um 11.15 Uhr ab Schierwaldenrath. Bis zum Zweitbahnhof Gillrath, an dem es ebenfalls Tickets zu kaufen gibt, dauert es hin und zurück eineinviertel Stunden.
Pro Fahrtag braucht es zwölf Mitarbeiter, sagt IHS-Gesellschafter Detlef Böttcher, der an diesem Sonntag in glattgebügelter blau-roter Eisenbahneruniform Fahrkarten verkauft: „Unser Verein hat 80 aktive Mitglieder, aus denen sich die ehrenamtlichen Lokführer, Schaffner und Fahrdienstleiter rekrutieren.“Diese müssen zuvor sogar eine Ausbildung absolvieren, schließlich werden Personen befördert.
Auch Christoph Sega hat sich beim IHS ausbilden lassen: erst zum Heizer, dann zum Schaffner, schließlich zum Lokführer. Eigentlich ist der 26-Jährige aber Jurist, bereitet sich auf sein zweites Staatsexamen im Herbst vor. Sega stammt aus Birgden, das an der Strecke liegt. Schon seit seiner Kindheit begeistert er sich für Eisenbahnen. „Erst aus Holz, dann kam die erste Modelleisenbahn , und mit zwölf habe ich angefangen, hier mitzuarbeiten“, erzählt Sega während einer 15-minütigen Verschnaufpause zwischen zwei Fahrten. Viel Zeit hat er nicht: Zu seiner Arbeit gehört auch, mit dem Heizer Kohle und Wasser wiederaufzufüllen. Schon nach einer Fahrt ist er völlig verschwitzt, das weiße Hemd ist leicht verrußt. KeinWunder: Im Kesselraum der Dampflok herrschen Temperaturen um die 50 Grad.
Davon bekommen die Gäste nichts mit. In den gemütlichen Personenwagen, die zwischen 60 und 100 Jahre alt sind, sind alle Fenster geöffnet. An Bord sind diesmal viele Familien mit Kindern, aber auch Reisegruppen, die teils von weither gekommen sind. Hannelore Meinzenbach genießt den Ausblick von einem kleinen Austritt. Die 78-Jährige ist aus Dormagen angereist und fährt zum ersten Mal mit der Selfkantbahn. Enkel Christian hat ihr die Fahrt geschenkt.
Die beiden sind auf Spargelfahrt unterwegs – mit der Bahn von Gillrath nach Schierwaldenrath, Spargelessen in der Bahnhofsgaststätte und wieder zurück.„Eine tolle Kombination“, sagt Meinzenbach,„perfektes Wetter, schöne Landschaft und leckerer Spargel.“Solche Themenfahrten gibt es nicht nur im Frühjahr, sondern auch im Herbst. Zu den beliebtesten gehören IHS-Vorsitz Bernd Fasel zufolge die Nikolausfahrten im Dezember. Bis zu 400 Personen fahren dann in den beheizten Wagen mit, die Schaffner patrouillieren in dicken Wintermänteln und mit historischen Laternen. „Und der Nikolaus kommt natürlich auch“, sagt Fasel.
Im Buffetwagen gibt es zwar keinen Spargel, dafür aber Kaffee, Kuchen – und gute Laune. Die Tische sind voll besetzt, ab und zu wird sogar ein Lied angestimmt. Genau wegen dieser Stimmung, sagt Kellner Jan van Klink, arbeitet er hier. Der Niederländer ist im Hauptberuf Lastverteiler und wie alle ehrenamtlich an Bord. „Letztes Jahr kam er als Passagier, erzählt der 46-Jährige, „aber dann fand ich es so super, dass ich mithelfen wollte.“An zehn bis zwölfWochenenden im Jahr kommt er aus Zeeland nach Gangelt. Er sei technikbegeistert – „und hier stimmen auch Stimmung und Aussicht“.
Während er das sagt, zieht draußen das Heinsberger Land vorbei: Felder, Wiesen, kleine Dörfer. Ab und zu kann man Störche auf ihren Nistplätzen beobachten, immer wieder winken Kinder den Reisenden zu. Die Fenster sind geöffnet, der Fahrtwind kitzelt in der Nase. Urlaubsstimmung – und das auf einer gerade einmal sechs Kilometer langen Strecke.