Was Sie über das Finale wissen müssen
Die Rollen im Endspiel sind verteilt. Frankreich ist der Favorit, aber Kroatien kann ein sehr gefährlicher Gegner sein.
MOSKAU/DÜSSELDORF Didier Deschamps hat erst einmal in den Entspannungs-Rhythmus geschaltet. Frankreichs Trainer schickte seine Spieler nach dem Halbfinale in einen 48-Stunden-Urlaub. Und auch am Freitag mochte er sie nicht furchtbar plagen. Die Hälfte seines Teams joggte ein bisschen herum, die andere Hälfte kickte locker auf zwei Tore. Die kleine Illusion von Ferien endet am Samstag. Spätestens dann beginnt die ernsthafte Vorbereitung aufs WM-Endspiel gegen Kroatien (Sonntag, 17 Uhr). Das sind die wichtigsten Themen:
Darum geht’s. Um sportlichen Ruhm, ganz einfach. Weltmeister bleibt man schließlich sein Leben lang, der Zweite erfährt allenfalls ein paar respektvolle Nachrufe. Das wissen die Franzosen aus eigener Erfahrung. Sie unterlagen bei ihrer EM „dahoam“vor zwei Jahren im Finale dem Außenseiter Portugal mit 0:1 nachVerlängerung. Und später wollte wirklich niemand mehr wissen, dass es im Halbfinale immerhin einen 2:0-Erfolg über Weltmeister Deutschland gab. Das Turnier verschwand ganz schnell aus der kollektiven Erinnerung der Franzosen.
Der Favorit. Die Rolle ist vergeben. Frankreich hat in Russland große taktische Reife nachgewiesen. Die fehlte dem Team bei der EM vor zwei Jahren noch. Fußball spielen können die Männer von Didier Deschamps ohnehin. Es gibt im Turnier keine Mannschaft mit mehr fußballerischem Talent. Es gibt aber auch keine Mannschaft, die größere Bereitschaft zeigt, ihr Talent dem Zweck unterzuordnen.
Der Außenseiter. Kroatien ist ein kleines Land. 4,2 Millionen Einwohner zählt es (Frankreich bringt es auf 67 Millionen). Zu den nationalen Tugenden gehört offenbar eine große Begabung für alle Ballsportarten, vor allem für solche, die in Mannschaften ausgeübt werden. Kroatien gehört im Handball, Wasserball, Basketball und Fußball zur internationalen Spitze. Alle kroatischen Mannschaften zeigen Leidenschaft, Zusammenhalt und spielerisches Geschick. Das werden die Kroaten auch gegen Frankreich beweisen. Sie haben eine Chance, wenn sie es fertig bringen, den Favoriten mit unkonventionellen Methoden und Rhythmuswechseln zu verunsichern.
Die Stars. Beide Teams bauen auf mannschaftliche Qualitäten. Insofern könnte man das große Wort des ehemaligen Bundestrainers Berti Vogts bemühen, nach der die Mannschaft der Star ist. Das stimmt sowieso immer. Die Finalgegner haben darüber hinaus aber auch noch eine sehr illustre Schar an Einzelkönnern beisammen. Der kroatische Kapitän Luka Modric gehört zu den besten Mittelfeldspielern der Welt. Mit seiner leichtfüßigen Art, den Außenristpässen und dem hageren Gesicht wirkt er manchmal wie eine Wiedergeburt des großen Johan Cruyff, er spielt nur nicht ganz so offensiv. Ihm steht in der Mittel- feldzentrale Ivan Rakitic zur Seite, den man einst bei Schalke für nicht gut genug befand, der aber beim FC Barcelona zu einem Strategen erster Güte herangewachsen ist. Im Angriff haben beide einen echten Zielspieler, der sich Platz verschaffen kann. Zweikämpfe mit Mario Mandzukic zählen seit Jahren zu den schmerzhafteren Angelegenheiten im Weltfußball.
Das wissen die französischen Innenverteidiger Raphael Varane und Samuel Umtiti. Sie bilden das beste zentrale Abwehr-Paar auf dem Globus. Für die Absicherung im Mittelfeld und die Neutralisierung von Modric und Rakitic sind Paul Pogba und N’Golo Kanté zuständig. Über die Qualitäten des laufstarken Strategen Kanté sagt ein Satz seiner Anhänger alles aus: „Zwei Drittel der Erde sind von Wasser bedeckt, den Rest bedeckt Kanté.“Sein natürlicher Lebensraum ist überall auf dem Platz. Pogba hat seine Allüren vor zwei Jahren beerdigt, als er schon mal zu offiziellen Medienterminen
in Badelatschen erschien und von Deschamps unverzüglich auf die Bank gesetzt wurde. Pogba hat eine Ehrfurcht gebietende Präsenz. Im Angriff haben die Franzosen zwei absolute Weltklasse-Spieler. Der erst 19-jährige Kylian Mbappé ist so schnell wie Sprint-Weltrekordler Usain Bolt, spielt aber wesentlich besser Fußball. Und Antoine Griezmann ist mit seiner Spielintelligenz beispiellos.
Die Trainer. Zlatko Dalic übernahm das kroatische Team in einer Findungsphase, er führte es im Nachsitzen in den Entscheidungsspielen gegen Griechenland zum WM-Turnier. Dort beeindruckt er durch seine unaufgeregte Art, und sein Team beeindruckt durch das clevere Spiel. Schon jetzt ist die Finalteilnahme der größte Erfolg des kroatischen Fußballs. Der größte Erfolg für Dalic ist sie natürlich auch. Didier Deschamps war das Gehirn der französischen Welt- und Europameistermannschaft von 1998 und 2000. Er hat seine Denkweise, die viel mit Sicherheit und kompaktem Auftreten zu tun hat, in sein Team gebracht. Sein Kollege Joachim Löw hat ganz richtig festgestellt: „Im Mittelfeld der Franzosen stehen ganz viele Deschamps.“Manche heißen Kanté und Pogba.
Der Schiedsrichter. Nestor Pitana aus Argentinien hat bislang durch eine äußerst exakt gescheitelte Frisur, seinen athletischen Körperbau und eine klare Körpersprache Eindruck hinterlassen. Davon konnten sich die Kroaten im Achtelfinale gegen Dänemark und die Franzosen im Viertelfinale gegen Uruguay überzeugen. Auch im Finale wird Pitana als erste Amtshandlung vor den ersten sogenannten Standardsituationen Abwehrspieler und Angreifer gestenreich darauf hinweisen, dass er ihr Treiben genau im Auge hat. So soll es ja auch sein.