Johnson attackiert Mays Brexit-Plan
Konservative Hardliner wollen gegen die eigene Regierungsvorlage stimmen. Gleichzeitig werden Forderungen nach einer zweiten Volksabstimmung laut.
LONDON Die erst vergangeneWoche in einem Weißbuch vorgestellte Brexit-Position der britischen Regierung unter Theresa May befindet sich unter Beschuss aus der eigenen Partei. Die frühere Bildungsministerin Justine Greening sprach von der „schlechtestmöglichen Variante“und schloss sich erstmals Oppositionsforderungen nach einem zweiten Referendum an. Hingegen wollten Brexit-Ultras am Montagabend gegen das Zollgesetz ihrer eigenen Regierung stimmen.
Der zurückgetretene Außenminister Boris Johnson bließ hingegen den erwarteten Frontalangriff auf die Premierministerin ab. In seiner ersten Kolumne für den Daily Telegraph war nicht, wie in seinem Rücktrittsschreiben, vom „sterbenden Brexit-Traum“und Großbritanniens zukünftigem Status als „Kolonie“die Rede.Vielmehr predigte der 54-Jährige Selbstbewusstsein: „Viele Menschen auf der Welt glauben fest an Britannien. Es wird Zeit, dass wir ihr Selbstbewusstsein teilen.“
Johnsons Rücktrittsrede im Unterhaus – ein probates Mittel für Rebellen, gegen die eigene Regierung zu schießen – hat er offenbar auf Mittwoch verschoben. Denn am Montag wollte sich schon der zurückgetretene Brexit-Minister David Davis zu Wort melden.
In Brüssel haben unterdessen die Fachgespräche der Verhandlungs- delegationen begonnen. Am Donnerstag reist erstmals der neue Brexit-Minister Dominic Raab in die belgische Hauptstadt und trifft sich mit EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Man sei auf einen langen Brüsseler Sommer eingestellt, heißt es in Raabs Ministerium – eine Sommerpause ist offenbar nicht vorgesehen.
Hingegen zieht sich das Unterhaus kommende Woche Mittwoch für sechs Wochen in die Ferien zurück. Verschwörern gegen Theresa May bleiben deshalb nur noch wenige Tage Zeit, wenn sie die Vertrauensabstimmung in der Fraktion auslösen wollen. Dafür bedarf es der schriftlichen Aufforderung von 48 von 316 Tory-Abgeordneten. Allerdings gilt eine Mehrheit gegen May als unwahrscheinlich, geschweige denn für den als unzuverlässig geltenden Johnson.
Eine zweite Volksabstimmung wird von immer mehr Politikern angetrieben. Ex-Bildungsministerin Greening schlug einen Stimmzettel mit drei Optionen vor: demVerbleib im Brüsseler Club; dem Kompromiss, den das Weißbuch der Regierung skizziert; und schließlich dem Katastrophen-Brexit ohne Austrittsvereinbarung. Labours Vize-Vorsitzender TomWatson mochte die Idee ausdrücklich nicht ausschließen.
Das Team der Premierministerin versuchte am Montag, die Rebellen mit der Aussicht auf Neuwahlen zu erschrecken. Dann sei das Projekt des Brexit in Gefahr. Zudem stehe die Labour-Opposition zur Machtübernahme bereit.
Die Sorge über angeblich zu viele Einwanderer war einer der Hauptgründe, warum die Briten mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU votierten. Nun zeigt sich: Die Einwanderung aus der EU nach Großbritannien ist zwei Jahre nach dem Referendum tatsächlich auf einem Tief. Im vergangenen Jahr sind so wenige EU-Bürger eingewandert wie seit fünf Jahren nicht mehr. Ihre Zahl sei 2017 auf 101.000 von 133.000 netto im Vorjahr gefallen, teilte das nationale Statistikamt am Montag mit. ImVergleich zu den zwölf Monaten vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016 habe sich die Zahl sogar nahezu halbiert.