Konservativ ist nicht von gestern
Ein sauerländischer AdelsOpa lehrt: Reaktionäre sind keine Konservativen.
Es gehört zu den politischen Torheiten, sich fürs Konservativsein zu entschuldigen. An dem festzuhalten, was immer gilt und bewahrenswert erscheint, ist nicht nur konservativ, sondern auch vernünftig. Ein großer Konservativer aus Bayern, nach dem wegen bleibender Verdienste der Münchner Flughafen benannt ist (Franz Josef Strauß), hat seine Haltung auf die Formel gebracht: konservativ sein heiße, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. Konservative sollten selbstbewusst sein, wo immer ihnen aus Kalkül vorgehalten wird, sie hingen im Grunde nur an dem, was einmal war und nicht mehr ist. Die Heilige Inquisiti- on ist auch dann von gestern, wenn ihr Berufslinke ohne Kardinalspurpur neues Leben einzuhauchen versuchen. Konservative müssen sich aber vor der Abart des Konservativseins, dem Reaktionären, hüten. Manchmal kriechen deren verwitterte Zeugen hervor: so bei einem aktuellen, absurden Erbstreit im Adelshaus Sayn-Wittgenstein-Berleburg.
Nach einer testamentarischen Verfügung seines Großvaters, Prinz Gustav Albrecht, muss sich der jetzige Schlossherr um seinen Status sorgen. Denn Opa befahl im Jahr 1943, dass jede Ehefrau eines künftigen Familienchefs adelig, evangelisch und – Achtung! – arisch zu sein habe. Beim Kriterium „arisch“führte dem seligen Gustav Albrecht seine NS-Anhänglichkeit die Hand. Mir fiel zu dem frechen Mumpitz eine Replik des Kanzlers a.D. Helmut Schmidt auf den standesbewussten Baron zu Guttenberg ein. Guttenberg hatte wie ein Reaktionär vom Leder gezogen. Schmidt zückte den Säbel: „Wenn ich Sie hier so reden hören, bedaure ich, dass die Deutschen nie eine Revolution zustande gebracht haben, die Leuten Ihres Schlages die materiellen Grundlagen entzogen hätte.“Ja, ein Konservativer darf auch ein Revoluzzer-Gen haben.