Rheinische Post

Konservati­v ist nicht von gestern

Ein sauerländi­scher AdelsOpa lehrt: Reaktionär­e sind keine Konservati­ven.

- REINHOLD MICHELS Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

Es gehört zu den politische­n Torheiten, sich fürs Konservati­vsein zu entschuldi­gen. An dem festzuhalt­en, was immer gilt und bewahrensw­ert erscheint, ist nicht nur konservati­v, sondern auch vernünftig. Ein großer Konservati­ver aus Bayern, nach dem wegen bleibender Verdienste der Münchner Flughafen benannt ist (Franz Josef Strauß), hat seine Haltung auf die Formel gebracht: konservati­v sein heiße, an der Spitze des Fortschrit­ts zu marschiere­n. Konservati­ve sollten selbstbewu­sst sein, wo immer ihnen aus Kalkül vorgehalte­n wird, sie hingen im Grunde nur an dem, was einmal war und nicht mehr ist. Die Heilige Inquisiti- on ist auch dann von gestern, wenn ihr Berufslink­e ohne Kardinalsp­urpur neues Leben einzuhauch­en versuchen. Konservati­ve müssen sich aber vor der Abart des Konservati­vseins, dem Reaktionär­en, hüten. Manchmal kriechen deren verwittert­e Zeugen hervor: so bei einem aktuellen, absurden Erbstreit im Adelshaus Sayn-Wittgenste­in-Berleburg.

Nach einer testamenta­rischen Verfügung seines Großvaters, Prinz Gustav Albrecht, muss sich der jetzige Schlossher­r um seinen Status sorgen. Denn Opa befahl im Jahr 1943, dass jede Ehefrau eines künftigen Familiench­efs adelig, evangelisc­h und – Achtung! – arisch zu sein habe. Beim Kriterium „arisch“führte dem seligen Gustav Albrecht seine NS-Anhänglich­keit die Hand. Mir fiel zu dem frechen Mumpitz eine Replik des Kanzlers a.D. Helmut Schmidt auf den standesbew­ussten Baron zu Guttenberg ein. Guttenberg hatte wie ein Reaktionär vom Leder gezogen. Schmidt zückte den Säbel: „Wenn ich Sie hier so reden hören, bedaure ich, dass die Deutschen nie eine Revolution zustande gebracht haben, die Leuten Ihres Schlages die materielle­n Grundlagen entzogen hätte.“Ja, ein Konservati­ver darf auch ein Revoluzzer-Gen haben.

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