Sport gegen Krebs
Studien zeigen: Bewegung verbessert die Prognose und das Wohlbefinden von Krebspatienten. Sport hilft auch, Tumorkrankheiten vorzubeugen.
FRANKFURT/MAIN (epd) Der Sport hat sie erst nicht geschützt: Anne Martin (Name geändert) ist eine begeisterte Hobby-Radfahrerin. Regelmäßige Ausfahrten, Gymnastik und lange Touren amWochenende gehören zu ihrem Alltag. Die Diagnose traf sie unerwartet: Brustkrebs. „Das war natürlich ein Schock“, sagt die 56-Jährige. Doch sie bleibt sportlich: Während der Chemotherapie und auch nach der Operation fährt sie weiter mit dem Rad rund 100 Kilometern in derWoche. Sie fühlt sich dabei wohl – und ihre Blutwerte bleiben erstaunlich stabil. „Eine Ärztin hat mir gesagt, sie hätte selten eine Patientin erlebt, die die Chemotherapie so gut vertragen hat“, berichtet Anne Martin. Eine Erfahrung, die inzwischen auch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen.
„Wer sich viel bewegt, kommt körperlich und psychisch besser durch die Therapie“, sagt Friederike Rosenberger, Sportwissenschaftlerin am „Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen“am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Patienten fühlten sich seelisch besser, seien belastbarer, leistungsfähiger und weniger erschöpft.„Inzwischen weisen immer mehr Studien daraufhin, dass Sport und Bewegung nach der Diagnose die Gefahr eines Rückfalles vermindern und die Heilungschancen verbessern.“
Krebs ist noch immer eine der gefährlichsten Krankheiten: 2014 erkrankten in Deutschland nach Angaben des Krebsinformations- dienstes 476.120 Menschen daran, 2018 könnte die Zahl bis auf 493.000 wachsen. Grund ist die gestiegene Lebenserwartung. Doch Krebs ist längst kein Todesurteil mehr: Fortschritte in Therapie und der Diagnostik führen dazu, dass immer mehr Menschen geheilt werden. Jeder zweite Krebspatient überlebt – wobei die Zahlen nach Art der Krebserkrankung stark schwanken.
Dabei spielt Sport nicht nur in der Therapie, sondern vor allem in der Prävention eine große Rolle. Er verhindert nicht immer den Ausbruch von Krebs, wie das Beispiel von Anne Martin zeigt.„Aber nach neuen Studien kann das Risiko, an Krebs zu erkranken, durch Sport und Bewe- gung um 20 bis 30 Prozent gesenkt werden“, sagt Michael Schoenberg, Münchener Professor und Autor des Buches „Aktiv leben gegen Krebs“. Zwar gelte das nicht für alle Krebsarten und in verschiedenem Ausmaß, aber die Tendenz sei eindeutig. Für bereits Erkrankte erhöhe sich die Lebensqualität, und die Überlebensprognose steige auch deutlich.
Warum Sport das Krebsrisiko senkt und die Heilungschancen erhöht, ist nicht abschließend geklärt: „Der Stoffwechsel wird angeregt, insbesondere beim Insulin“, erläutert Schoenberg. Zudem gebe es Hinweise, dass durch Sport bestimmte Gene aktiver werden, die auf das Immunsystem und Entzündungsprozesse wirken. Schoenberg ist überzeugt: „Bewegung wirkt wie ein Medikament“. Dabei müsse es nicht intensiver Sport sein. Wichtig sei einfach, dass sich die Betroffenen bewegten. „Eine 65-Jährige Krebs-Patientin hat sich nach der OP einen Schrebergarten zugelegt“, berichtet er, „die Arbeit draußen und die Aktivitäten an der frischen Luft haben ihr gut getan.“
Welche Art der Bewegung für die Patienten richtig ist, muss individuell festgelegt werden. Friederike Rosenberger entwickelt Trainingsprogramme für Patienten und forscht, wie die Sport- und Bewegungstherapien bei Krebs wirken. Dabei wird eng mit Physiotherapeuten und Psychologen zusammen gearbeitet. „Generell gilt, dass sich das Training etwas anstrengend anfühlen soll“, erläutert sie. Wer unsicher sei, sollte eine sportwissenschaftliche Beratung in Anspruch nehmen.
Stefanie Rogge gibt solche Kurse. Die Sportwissenschaftlerin hat in den USA eine Ausbildung zur Krebssporttherapeutin absolviert und betreut Patienten in Frankfurt am Main. In ihren Kursen werden gymnastische Übungen für Kraft und Beweglichkeit gemacht, aber auch die Ausdauer wird trainiert. „Fast alle Patienten berichten mir, dass sie sich durchs Training fitter und ausgeglichener fühlen“, erzählt Rogge. Sie rät den Teilnehmern, auch zu Hause aktiv zu bleiben, regelmäßig Ausdauersport zu betreiben und auch Kraft und Koordination zu trainieren.
Trotz der positiven Effekte spielt Sport in der Krebstherapie bislang noch eine untergeordnete Rolle. Allenfalls in der Reha nach der Behandlung finden sportliche Aktivitäten statt. „Besser wäre es, bereits nach der Diagnose mit sportlichem Training zu beginnen“, sagt Rosenberger. Bislang würde eine solche Therapie aber nicht oder nur unzureichend von den Krankenkassen übernommen.
Auch Anne Martin hat eine solche sportliche Beratung vermisst. Trotzdem wird sie weiter Sport treiben. „Dann geht es mir einfach besser“, sagt sie. Nach Operation und Chemotherapie folgt für sie jetzt die Reha. Dort will sie mehr lernen, welche Sportarten für Körper und Seele nach der überstandenen Krebserkrankung gut sind.