Wagenknecht will mit „Aufstehen“AfD-Wähler zurückgewinnen
BERLIN Sahra Wagenknecht hat keine Lust mehr auf Opposition. Sie will an die Macht. Und weil sie ihre Linkspartei für diesen Weg allein für zu schwach hält, hat sie sich noch andereVerbündete gesucht. Mit vier Mitstreitern, darunter die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) und Ex-Grünen-Chef Ludger Volmer, sitzt sie am Dienstag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Es ist der offizielle Start der neuen linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“. 100.000 Unterstützer hätten sie schon, sagtWagenknecht. Ihre Botschaft: Deutschland habe eine „handfeste Krise der Demokratie“, die sozialen Probleme hätten die AfD groß gemacht, Politiker hörten Bürgern nicht mehr zu.
Bürgerbewegungen in Frankreich und in Italien haben es vorgemacht, wie man traditionsreiche Parteien schrumpfen und mit Protestpotenzial an die Regierung kommen kann. Bei der Bundestagswahl 2021 soll nach dem Wunsch von „Aufstehen“die Mehrheit für eine links-liberale Koalition erkämpft werden. Der feine Unterschied: Nach hiesigen Gesetzen kann eine Sammlungsbewegung nicht zur Wahl antreten. Das können nur Parteien – und eine neue Partei soll aus „Aufstehen“nicht entstehen. Sagt Wagenknecht jedenfalls jetzt. Aber sie sagt auch: „Ich möchte nicht auf Dauer Oppositionsreden halten.“
Volmer fügt hinzu: „Keine Partei kann leben ohne gesellschaftlichen Rückhalt. Wir wollen eine Mehrheit für eine links-liberale Politik und damit die drei Parteien stärken, damit sie wieder koalitionsfähig werden.“Auf wessen Konto mögliche Erfolge von „Aufstehen“genau einzah- len könnten und ob nicht doch eine neue Parteigründung erwogen werde, bleibt im Unklaren.
Lange, die gegen Andrea Nahles bei der Wahl zur SPD-Chefin angetreten war und den Sinkflug der Partei in den Umfragen anspricht, setzt auf die Chance, dass die SPD durch „Aufstehen“wieder zulegen könne. Man müsse bereit sein, etwas Neues auszuprobieren. Außer ihr und Volmer sind das bei SPD und Grünen zwar noch nicht so viele, aber wenn sich der Trend in Europa fortsetzt, dass die etablierten Parteien an Kraft verlieren und Bürgerbewe- gungen an Stärke gewinnen, dann könnte auch in Deutschland die Parteienlandschaft durcheinandergewirbelt werden.
Wagenknecht ist verheiratet mit dem früheren SPD- und dann Linke-Chef Oskar Lafontaine. „Aufstehen“ist ihr gemeinsames Projekt. Lafontaine bereut bis heute, dass er 1998 Gerhard Schröder die Kanzlerkandidatur überlassen hat. Er will eine Bundesrepublik ohne Kriegseinsätze der Bundeswehr, eine Abkehr von den Hartz-IV-Gesetzen, mehr sozialen Wohnungsbau und eine Migrationspolitik mit einer ef- fektiveren Bekämpfung von Fluchtursachen, damit gar nicht erst so viele Flüchtlinge nach Europa kommen. Letzteres hat ihm und Wagenknecht den Vorwurf der Andienung an die AfD eingetragen, was beide empört. Allerdings bekam „Aufstehen“ausgerechnet von AfD-Chef Alexander Gauland nun ein Lob.
Wagenknecht sagt, die AfD sei nicht primär wegen der Flüchtlinge so stark geworden, sondern wegen sozialer Nöte der Menschen und deren Erfahrung, dass ihnen keiner mehr zuhöre. Sie betont:„Ich möchte AfD-Wähler zurückgewinnen.“