Die Natur als Apotheke
Auf der Palliativstation der Uniklinik Düsseldorf benutzt das Pf legepersonal viele Hausmittel. Die Patienten profitieren davon sehr.
DÜSSELDORF Kaum je ist die unergründliche Frage, wann der Mensch sterben wird, humorvoller und zugleich philosophischer beantwortet worden als in einem Peanuts-Cartoon: Am Ufer eines Sees sitzen, mit dem Rücken zum Betrachter, der kindlich-weltweise Charlie Brown und sein unberechenbarer Hund Snoopy. Charlie sagt: „Eines Tages werden wir alle sterben, Snoopy.“Lakonische Antwort: „Ja, aber an allen anderen Tagen nicht.“
Dieser gezeichnete Blitz aus Wissen und Verleugnung, Pessimismus und Daseinsfreude, der beim Betrachter ein Lächeln auslöst, hängt im Teamzimmer der Palliativstation der Uniklinik Düsseldorf (UKD). Der Umgang mit begrenzter Lebenszeit ist ihr Leitmotiv. Auf der Palliativstation, die bisweilen mit einer Sterbestation verwechselt wird, lie- gen Patienten mit allen möglichen schwerwiegenden Erkrankungen, deren Symptome nicht leicht zu kontrollieren sind. Die Patienten gehen optimal eingestellt nach Hause oder werden in ein Hospiz verlegt. Manchmal bleiben sie auch für ihre letzten Tage.
Auf der Palliativstation (das Wort kommt vom lateinischen „Pallium“= Mantel) geht es nicht um die High-End-Maximierung einer Intensivstation, um Apparate-Nutzung, sondern darum, eine Krankheit in einem multiprofessionellen Team annehmbar zu gestalten und Schmerzen, Übelkeit, Luftnot, Angst oder Unruhe weitgehend zu lindern. Dort arbeiten Ärzte, Pfleger, Psychoonkologen, Seelsorger, Physiotherapeuten, Kunst-, Musik- und Hundetherapeuten, Sozialarbeiter sowie Ehrenamtler.
Gewiss muss manchmal die medikamentöse Keule geschwungen werden, doch die moderne Medizin zieht immer häufiger jene alten Substanzen zurate, von denen viele Patienten selbst schon sehr lange wissen, vielleicht schon seit ihrer Kindheit. Die Leitlinien der Palliativmedizin weisen auf den Einsatz von Hausmitteln, also komplementären Präparaten, ausdrücklich hin. In vielen Situationen sind sie erwiesenermaßen hilfreich, zumal sie die Selbstheilungskräfte des Patienten sogar auf der Ebene des Unterbewussten anregen: Den Quarkwickel hat ihm vor vielen, vielen Jah- ren, nämlich in der Kindheit, schon die Mutter zum Zwecke der Kühlung und Abschwellung verpasst. Jetzt kommt der Patient wieder mit dieser feuchten Natur in Berührung, auch wenn die Lage deutlich kritischer ist als damals. Erneut wird er jetzt mütterlich umsorgt – von Mutter Natur.
„Wenn wir einen Patienten so behandeln“, sagt Susann Hanke, Krankenschwester auf der Palliativstation im UKD,„dann holen wir ihn bei seiner Biografie und seiner Lebenserfahrung ab.“Immer werde gefragt, was der Mensch gewöhnt gewesen sei, ob er Lieblingsdüfte habe – so können auch die Angehörigen und Freunde der Patienten in die Behandlung integriert werden. Patienten aus dem Nahen oder Mittleren Osten etwa ist arabischerWeihrauch ein kollektiv geliebter Geruch, der ihnen Wohlempfinden beschert.
Umgang mit naturbasierten Stoffen ist traditionell eine Domäne der Krankenpflege, nicht der Ärzte. Längst herrscht gegenseitiger Respekt vor den Kompetenzen; eine erfahrene Krankenschwester mit diversen Zusatzqualifikationen hat einem jungen Assistenzarzt ja zahllose Lebensjahre an Erfahrung voraus. Palliativmedizin bedeutet, die Kompetenz des gesamten Teams zu nutzen. Kwesi Hodgson zum Beispiel, Hankes Kollege im UKD, ist auf Aromapflege spezialisiert. Wenn er Essenzen, Öle und Salben anmischt, wähnt man sich fast in einem Kräuterlabor. Tatsächlich gibt es im Innenhof der Palliativstation einen kleinen Kräutergarten; wer da mit Susann Hanke unterwegs ist, bekommt mächtig was auf die Nase.
Hodgson hat viele Stoffe in seiner Spezialküche: Salbei, Aloe vera, Weißtanne, Zypresse, Rosmarin, Manuka. Nehmen wir die Mundtrockenheit, an der viele Patienten leiden: Sie bekommen ein spezielles Honig-Orangen-Spray, das ihnen Linderung verschafft: „Ein Klassiker“, weiß Hodgson. Oder nehmen wir Kümmel: Dessen anregende oder entblähende Bedeutung für die Darmtätigkeit ist seit Menschengedenken bekannt. Gerade auf einer Palliativstation gibt es ja Tumorpatienten, „und wenn sie nach Che- motherapie oder Morphiumgabe mit Verstopfung zu tun haben, ist Kümmel ein wunderbarer Helfer, den Darm wieder in Schwung zu bringen.“Was den Hautkontakt mit Essenzen betrifft, so ist dem Team die Vermeidung synthetischer Mittel sehr wichtig: „Mandel-, Sesamoder Olivenöl sind, richtig dosiert, weniger belastend für den Körper“, berichtet Hodgson.
Ein weiteres probates Mittel ist das in der Mikrowelle erwärmte Kirschkernkissen, das auf den Bauch oder auf schmerzende Gelenke gelegt wird. Hodgson berichtet, dass Aloe vera bei Patienten nach einer radioonkologischen Behandlung die Haut im Bestrahlungsfeld angenehm kühlt. Nicht selten beginnen Patienten nach einer Rasur zu bluten, weil sie ein Gerinnungsproblem haben: „Dann versorgen wir die Blutungen mit Heilerde“, sagt Hodgson.
Für alle Beteiligten unangenehm ist Wundgeruch bei Tumorzerfall. Mancher Besucher betritt das Zimmer nicht so gern, und der Patient schämt sich. Dann hat sich, sagt Hanke, „der Duft von Kaffeepulver und von Rasierschaum in einer Nierenschale“bewährt. Ebenso kommt es auf die richtigen Materialien an, die den Geruch einschließen. Und auf die richtige Verwendung von Duftlampen. „Natürlich muss auch gelüftet werden“, lacht Hanke.
Düfte lösen Sinnesreize aus, die im emotionalen Zentrum des Gehirns, dem Limbischen System, als vertraut und angenehm bewertet werden. Lavendel und Rose zum Beispiel sind goldrichtig bei Herzängsten,„da machen wir ein Salbenläppchen und legen es aufs Herz“, erzählt Hanke. „Ängstlichen Patienten halten wir aber auch die Hand“, ergänzt Hodgson. Überhaupt das Manuelle: Massagen und Einreibungen sind auf einer Palliativstation unentbehrlich. Sie lösen Verspannungen und schaffen menschlichen Kontakt. Der lindert Not.
Info Die Serie „Hausmittel“wird morgen fortgesetzt mit dem Thema „Heilen lernen von den Alten“.
Massagen und Einreibungen lösen Verspannungen und schaffen Nähe