Abschied vom Super-Sommer
Während die warme Jahreszeit hierzulande meist nur ein kurzes Gastspiel gibt, hat sie diesmal jeden Superlativ verdient. Ja, es war zu trocken und oft zu heiß. Aber immer schön. Jörg Isringhaus sagt Adieu.
Es ist an der Zeit, einer harten Wahrheit ins Gesicht zu schauen: Dem Sommer geht die Luft aus. Unfassbar eigentlich. Dachten wir doch, diesmal ginge er nie vorbei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit aber erleben wir heute temperaturtechnisch den vorletzten echten Sommertag des Jahres, einmal noch flirrende Hitze, luftige Kleider, beschwingte Laune. Bevor dann auch kalendarisch Schluss ist – am 23. September (Tag und Nacht- gleiche) beginnt der Herbst. Selten passte Rainer Maria Rilkes „Herbsttag“besser als in diesem Jahr: „Herr es ist Zeit,/ der Sommer war sehr groß/Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren/Und auf den Fluren lass die Winde los.“
Dieser Sommer war sehr groß, in der Tat. So groß, dass die Erinnerung an noch größere schwerfällt. Schönere vielleicht, rein subjektiv, weil vom persönlichen Erleben geprägt. Aber größere? Die Fakten: Am 7. April stieg das Thermometer erstmals über 25 Grad und markierte damit den ersten Sommertag – mitten im Frühling. Allein bis Ende August folgten 82 weitere Sommertage, dazu regnete es so wenig wie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen nicht. Blauer Himmel von Mitte April bis Mitte September, fünf Monate am Stück, das rechtfertigt jeden Superlativ, ob Jahrhundertoder Jahrtausendsommer.
Selbstverständlich gab es Schattenseiten: Ernteausfälle, Waldbrände, Hitzekranke. Forscher vermuten in diesem Sommer zudem ein Indiz für den Klimawandel, wobei letztgültige Daten fehlen. Extreme Einzelereignisse reichen als wissenschaftlicher Beleg nicht aus. So wird weiter ausgewertet, verglichen, geprüft. Die Resultate mögen beunruhigen, und die heißen Monate könnten tatsächlich ein Vorgeschmack auf die Folgen der Erderwärmung sein.
Das ist das Eine. Das Andere ist das alltägliche Erleben, der private Kosmos. Und danach bleibt dieser Sommer zuvorderst einer, der den Namen endlich mal verdiente. Der nicht nur, wie in unseren Breitengraden üblich, wärmeren Regen lieferte und die Übergangsjacke obligatorisch machte. Der nicht dazu animierte, sich einen zweitenWohnsitz in südlichen Hemisphären zuzulegen oder vielleicht doch komplett in die Tropen auszuwandern. Der nicht dazu zwang, jeden zweiten Tag im Radio Rudi Carrells größten Hit zu hören.
Stattdessen war es ein Sommer, wie ihn sich, man denke an Shakespeare, Dichter erträumen, lieblich, endlos, umfassend, fast unwirklich in seiner brütenden Beharrlichkeit. Fast schlich sich eine mediterrane Lässigkeit ins Leben, der feste Glaube, von einer milden Brise geweckt zu werden und den nächsten Grillabend tatsächlich zwei Wochen im Voraus planen zu können.
Nun gilt es also ein paar Tränen zu vergießen, das Vergangene durchaus kitschig zu verklären, Abschied zu nehmen. Vom Sommergefühl, vom -geruch und -geräusch. Vom Frühstück auf der Terrasse. Von der Dusche im Garten. Von der Abkühlung im Schwimmbad. Vom Rauschen in den Bäumen. Von tropischen, gleichwohl sternenklaren Nächten. Vom vollen Blutmond, vom Meteoritenstrom der Perseiden, vom Gewitterleuchten in der Ferne. Vom Kinderlachen aus den Nachbarsgärten, vom Grilldunst am Abend, vom Zirpen der Grillen. Von Biergärten, Eiscafés und Straßenfesten.
Ja, es war richtig heiß, wir haben oft geschwitzt und manchmal schlecht geschlafen. Wir mussten, sofern vorhanden, Blumen, Bäume und Rasen gießen. Wir haben die Kleider getragen, die sonst nur für den Urlaub gebügelt werden. Und wir haben pflichtschuldigst übers Wetter gemeckert, diesmal über Hitze und Trockenheit. Aber insgeheim, da haben wir jubiliert. Sonne satt, blauer Himmel, ein schier endloser Sommertraum. Ausgeträumt. Was sagt Rilke dazu? „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr./ Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben/wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben/und wird in den Alleen hin und her/unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.“
Soll heißen: Der Sommer ist endgültig vorbei. Schön war‘s.
Stattdessen war es ein Sommer, wie ihn sich Dichter erträumen, fast unwirklich in seiner brütenden Beharrlichkeit