„Vielen war die Gefahr nicht bewusst“
Mehr als 1200 Tote zählen die Behörden schon. Aber vermutlich ist das Ausmaß der Tsunami-Katastrophe in Indonesien noch viel größer. Schon drängt sich die Frage auf: Musste es so schlimm ausgehen?
PALU (dpa) Auf dem Parkdeck der Grand Mall, des großen Einkaufszentrums von Palu, oberhalb des Strands, fühlen sich die Leute anfangs noch sicher. Einige filmen mit dem Smartphone hinaus aufs Meer. Zu sehen ist, wie eine mächtigeWelle aufs Land zurollt. Langsam zwar, aber mit großer Gewalt. Als sie auf die Küste trifft, ist es mit dem Gefühl der Sicherheit vorbei. Das Bild verwackelt. Eine Frau ruft: „Gott, steh mir bei.“Dann ist alles schwarz.
Das war der Moment, in dem nach einer Serie von Erdbeben ein Tsunami die Westküste der indonesischen Insel Sulawesi traf. Allein in Palu, einer Stadt mit 350.000 Einwohnern gab es mindestens 832 Tote und mehr als 540 Schwerverletzte. Behörden sprechen von insgesamt mindestens 1203 Toten. In den Ruinen und im Schlamm werden Dutzende vermisst, auch fünf Ausländer.
Aus vielen Orten entlang derWestküste von Indonesiens viertgrößter Insel gibt es keine Nachricht. Weil die Beben die Straßen aufgerissen haben, kommt kaum jemand durch. ÜbersWochenende gab es Nachbeben. Befürchtet wird, dass die Zahl der Toten in die Tausende geht. Alles in allem sind etwa 300 Kilometer Küste betroffen, mit mehr als 1,5 Millionen Menschen.
Die Zwischenbilanzen gibt regelmäßig der Sprecher von Indonesiens Katastrophenschutz, Sutopo Nugroho, bekannt. Bislang sagt er stets noch einen Satz dazu: „Wir erwarten, dass die Zahlen noch steigen.“In dem Riesenland aus 17.000 Inseln, die alle auf dem Pazifischen Feuerring liegen, der geologisch aktivsten Zone der Erde, haben sie mit solchen Sachen Erfahrung. Hier bebt die Erde immer wieder. Und alle erinnern sich jetzt wieder an den verheerenden Tsunami an Weihnachten 2004. Von allen Ländern in der Region beklagte Indonesien damals die meisten Toten: mehr als 160.000.
Bevor das Meer wieder über Land hereinbrach, hatte auf Sulawesi mehrmals die Erde gebebt: am schlimmsten am Freitag mit Stärke 7,4. Die ausgelösten Wellen waren bis zu sechs Meter hoch. Eine der Handy-Aufnahmen, die jetzt übers Internet um die Welt gingen, ist von einem Mann draußen im Meer, auf einem Boot. Er sagt: „Betet für mich, dass ich überlebe.“Nach allem, was man weiß, hat er es geschafft.
Besonders schlimm traf es Palu: die größte Stadt an der Westküste, in einer engen Bucht gelegen, was den Tsunami wohl schlimmer gemacht hat. Vermutet wird, dass im Einkaufszentrum noch mehr als ein Dutzend Menschen eingeschlossen sind. Im ehemals siebenstöckigen Hotel „Roa-Roa“sollen noch 50 Gäste in den Trümmern sein. Zumindest Palus Flughafen ist wieder in Betrieb. Indonesiens Militär fliegt nun Medikamente, Zelte und Decken ein. Auch Hilfsorganisationen haben die Arbeit aufgenommen.
Inmitten des Leids hat eine Diskussion begonnen, ob alles getan wurde, um die Auswirkungen des Tsunamis so gering zu halten wie möglich. Die Behörden lösten zwar Alarm aus, hoben ihn aber nach nur 34 Minuten wieder auf – aus Sicht von Kritikern zu früh. Am Strand von Palu, wo viele auf den Beginn eines Festivals warteten, wurde angeblich überhaupt nicht gewarnt. Katastrophenschutz-Sprecher Sutopo bestätigt: „Es gab keine Sirene. Viele waren sich der Gefahr nicht bewusst.“