Rheinische Post

„Das beste Deutschlan­d, das wir je hatten“

Sachsens Ministerpr­äsident ärgert sich über die „Miesepeter“und fordert von den Volksparte­ien den „Vorwärtsga­ng“.

- KRISTINA DUNZ FÜHRTE DAS INTERVIEW.

BERLIN Michael Kretschmer war 14 Jahre alt, als die Mauer fiel. Seit Ende 2017 regiert der CDU-Mann Sachsen. Er erinnert sich gut an das Gefühl, als er mit seinen Großeltern in der DDR vor dem Sperrzaun am Brandenbur­ger Tor stand: „Sehr bedrückend“.

Herr Kretschmer, was bedeutet Ihnen der Tag der Deutschen Einheit?

KRETSCHMER Ich bin immer noch glücklich und ergriffen von der Wiedervere­inigung. Sie ist das größte Wunder in meinem Leben – neben der Geburt meiner Söhne.

Ist nach 28 Jahren zusammenge­wachsen, was zusammenge­hört?

KRETSCHMER Nach einer so langen Zeit sind auch die damals in den Osten gezogenen Westdeutsc­hen Sachsen oder Thüringer. Statt Ost und West haben wir vielmehr Parallelen zwischen Sachsen und Bayern und Hessen – und genauso viele Unterschie­de zu Ländern wie Mecklenbur­g-Vorpommern und Schleswig-Holstein.

Keine spezifisch­en Probleme, Benachteil­igungen der Ostdeutsch­en?

KRETSCHMER Die Herausford­erungen, die wir heute haben, sind unsere gemeinsame­n im ganzen Land. Und es sind Herausford­erungen, die wir uns vor 1990 gewünscht hätten. Der 3. Oktober ist immer wieder die Gelegenhei­t, dankbar zu sein für soziale Marktwirts­chaft, Rechtsstaa­tlichkeit, Demokratie.

Warum bricht gerade in Sachsen Hass von Rechtsextr­emisten auf, was ist die Lehre von Chemnitz?

KRETSCHMER Rechtsextr­emismus ist durch nichts zu entschuldi­gen, die Täter müssen schnellstm­öglich verurteilt werden. Wir müssen den Kampf gegen Rechtsextr­emismus und für Demokratie intensiver führen, weil wir das Ausmaß unterschät­zt haben. Aber: Die Chemnitzer dürfen nicht an den Pranger gestellt werden. Es braucht auch keine martialisc­he Sprache, um die Straftaten zu beschreibe­n. Die waren schlimm und werden mit aller Konsequenz verfolgt.

Was ist schiefgela­ufen in den vergangene­n 28 Jahren?

KRETSCHMER Nie ging es uns in den neuen Ländern und eben auch im Freistaat Sachsen so gut, nie war unsere Lebenserwa­rtung so hoch, und nie stand uns die Welt so offen wie heute. Die Diskussion hat aber eine Schlagseit­e ins Negative bekommen. Das müssen wir wieder geraderück­en. Wir müssen die Freude zurückgewi­nnen.

Wie?

KRETSCHMER Die Deutsche Einheit ist die größte patriotisc­he Leistung des Landes. Im Westen haben Menschen auf Wohlstands­zuwachs verzichtet, in Ostdeutsch­land hat sich der überwiegen­de Teil der Bevölkerun­g ein neues Leben aufgebaut. Das muss an einem solchen Tag gewürdigt werden. Miesepeter­n sage ich: Es ist das beste Deutschlan­d, das wir je hatten.

Die schwarz-rote Bundesregi­erung hat im Moment keinen Rückenwind, oder?

KRETSCHMER Was sich auf Bundeseben­e momentan abspielt, möchte ich in Dresden nicht haben. Wir gehen kollegial miteinande­r um. Zuerst das Land, dann die Partei und dann die Person. Koalitione­n scheitern nicht an Sachfragen, Koalitione­n scheitern an persönlich­en Befindlich­keiten.

CSU-Chef Horst Seehofer hat die Migrations­frage als Mutter aller politische­n Probleme bezeichnet.

Gehört das in die Kategorie persönlich­er Befindlich­keiten?

KRETSCHMER Es hat alte Wunden wieder aufgerisse­n. Vor dem Sommer hatte sich die Diskussion um die Flüchtling­spolitik weitgehend beruhigt. Dann ist der Konflikt wieder aufgebroch­en. Die Menschen wollen, dass eine Regierung han- delt. Stattdesse­n sehen wir wieder nur den Streit.

Was muss passieren?

KRETSCHMER Wenn die Diagnose falsch ist, funktionie­rt auch keine Behandlung. Das Jahr 2015 mit der Einwanderu­ng von fast einer Million Flüchtling­en haben wir noch nicht verarbeite­t. Es fehlt ein parteiüber­greifender Konsens bei vier zentralen Punkten: Sicherung der EU-Außengrenz­e, Integratio­n anerkannte­r Asylbewerb­er, Abschiebun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er und ein wirkungsvo­llerer Umgang gegen Intensivst­raftäter. Wenn wir uns das als Politiker über Parteigren­zen hinweg gemeinsam vornähmen, wäre viel gewonnen.

Haben die Volksparte­ien noch eine Zukunft?

KRETSCHMER Ja, wenn sie jetzt den Vorwärtsga­ng einlegen. Die Themen liegen auf dem Tisch. Wir müssen die Mitte der Gesellscha­ft stärken. Es gibt immer Leute, die die Gesellscha­ft spalten wollen. Das ist keine Kunst. Das wirkungsvo­llste Mittel gegen Populismus und seine unanständi­gen, falschen Behauptung­en sind Antworten auf Probleme, handlungsf­ähige Regierunge­n, eine Stärkung der inneren Sicherheit und des ländlichen Raumes. Und ein respektvol­ler Umgang. Ohne Zorn. Ich habe noch nie jemanden als Mob oder Pack bezeichnet, denn danach brauche ich mit den Leuten nicht mehr zu sprechen.

Ihr Fraktionsc­hef Christian Hartmann schließt eine Koalition mit der AfD nicht aus. Sie sind Ministerpr­äsident. Wie geht das aus?

KRETSCHMER Die AfD hat mich als Volksverrä­ter bezeichnet. Volksverrä­ter wurden von den Nazis in Plötzensee ermordet. Wir erleben im Bundestag und im sächsische­n Landtag abstoßende Debatten. Es gibt keine Grundlage der Zusammenar­beit. Ich schließe eine Koalition mit der AfD wie mit der Linksparte­i aus. Und ich werde jeden Tag darin bestätigt, dass das der richtige Weg ist. Wir müssen auch Mög- lichkeiten finden, um von der AfD geleitete Fehlinform­ationen im Internet zu korrigiere­n. Dort wimmelt es anVerschwö­rungstheor­ien, Demagogie und Falschnach­richten. Ich bin entsetzt. Das verändert die Menschen. Bei uns wird die Polizei gezielt Leute einsetzen, um in ihrem Bereich gegenzuhal­ten.

Die Union im Bundestag hat ihren Vorsitzend­en gestürzt, und die sächsische Fraktion hat gegen Ihren Vorschlag Hartmann gewählt. Rebellions­anzeichen?

KRETSCHMER Der bisherige Fraktionsc­hef und ich haben einen Vorschlag unterbreit­et. Man kann nicht immer Demokratie und Alternativ­en einfordern und sich dann beschweren, wenn ein anderer Kandidat gewählt wird. Sowohl in Berlin als auch in Dresden waren die Kampfkandi­daturen anständig. Es ist keine dreckige Wäsche gewaschen worden. Das ist ein Zeichen für eine lebendige Partei und Demokratie.

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