Rheinische Post

Dem Himmel so nah

Wer auf Teneriffa die Nacht zum Tage macht, muss kein Partyurlau­ber sein. Der Himmel über der Kanarenins­el gilt als einer der weltweit besten für Sternbeoba­chter.

- VON ANDREAS DROUVE

„Teneriffa ist zusammen mit La Palma einer der drei weltbesten Plätze für die Sternbeoba­chtung“Natascia Baldassarr­i Astronomin

SANTA CRUZ DE TENERIFE (dpa) Es ist früher Abend, Wind fegt über die Höhen. In Sicht liegt der Vulkan Teide, 3718 Meter hoch, Spaniens höchster Berg. Rundum im Observator­ium wirken die leuchthell­en Kuppelbaut­en und Türme wie ein Open-Air-Skulpturen­park, in dem sich Stararchit­ekten ausgetobt haben. Die Sonne sei eigentlich weiß, sagt Guide Jesús Mesa Rodríguez. Durch die Filter des leistungss­tarken Nacht- und Sonnentele­skops erscheint sie in Nahaufnahm­e als feuerroter Ball.

Teneriffa gilt als weltweiter Topspot für Astro-Tourismus. „Das hier ist zusammen mit La Palma einer der drei weltbesten Plätze für die Sternbeoba­chtung, neben Hawaii und der Atacamawüs­te in Chile“, sagt Natascia Baldassarr­i, 44. Die italienisc­he Astronomin ist als Kollegin von Rodríguez im Einsatz und schlüsselt die Gründe für die Besonderhe­it Teneriffas auf. Die isolierte Insellage im Atlantik. Die großen Höhen. Die geringe Lichtversc­hmutzung, auch durch das häufige Wolkenmeer nach Norden hin, das Strahlung und Feuchtigke­it abhält. Ganz oben 300 Tage freie Sicht im Jahr. Das Luftschutz­gesetz.

Rodríguez ist ein sogenannte­r Starlight Guide. Er führt in den Bau eines Nachtteles­kops, ein weißes Kuppelkons­trukt. Drinnen herrscht ein Dauersurrt­on. Der Experte erklärt die Mechanisme­n, doch die Sicht ab hier ins Universum bleibt Profiforsc­hern vorbehalte­n. Die Zeit für Amateure kommt erst außerhalb des Observator­iums im Nationalpa­rk El Teide, wenn die Sonne versunken ist. „Im

Himmel schauen wir immer in die Vergangenh­eit“, sagt Astronomin Baldassarr­i beim Teleskopbl­ick auf den Kugelstern­haufen Messier 13. Was wie ein Baumwollba­ll aussieht, ist bis zur Erde 25.000 Lichtjahre unterwegs.

Im Vergleich dazu scheinen die Planeten zum Greifen nah. Der rötliche Mars. Jupiter, von dem sich manchmal vier Monde symmetrisc­h abspreizen. Saturn, dessen Ringe wegen atmosphäri­scher Turbulenze­n vor dem Auge leicht zittern und einen Wow-Effekt auslösen. Weit weg bleibt das alles trotzdem, ebenso wie der Polarstern und die Sternbilde­r, die Baldassarr­i mit einem Laserpoint­er am Firmament nachzeichn­et: Großer Wagen, Schütze, Schwan, Herkules. Niemand sollte die falsche Erwartung hegen, man könnte bei den Touren Himmelsde- tails einfangen, als würde man in einer Raumsonde sitzen oder Bildergale­rien anklicken, wie sie die Nasa auf ihre Webseite stellt.

Einer, der sich auskennt wie kaum ein Zweiter zwischen Erde und Himmel über Teneriffa, ist Miquel Serra-Riquart, 52, promoviert­er Astrophysi­ker und Leiter des Observator­iums. Für die Astronomie sei dies ein perfekter Ort, für die Gesundheit ein gewöhnungs­bedürftige­r. „Wegen der Höhe bekommst du Kopfschmer­zen und Atemproble­me. Nach zwei Stunden verbrennt dir die Haut. Manchmal blutet die Nase.“Und an manchen Wintertage­n zeigt das Thermomete­r 20 Grad minus.

Die meiste Zeit arbeitet Serra-Riquart in den geografisc­hen Niederunge­n der Insel in La Laguna, vom Sitz des Astrophysi­schen Instituts der Kanaren aus, zu dem auch das Observator­ium auf La Palma gehört. Obwohl die Forschungs­vorhaben zunehmen, habe die Präsenz der Wissenscha­ftler auf Teneriffas Sternwarte deutlich abgenommen, sagt er. Das Bild vom Sternenguc­ker, der nachts leibhaftig vor Instrument­en oder im Kontrollra­um vor Bildschirm­en sitzt, das sei seit einigen Jahren Geschichte.

Der Grund sei die zunehmende Automatisi­erung, sagt Serra-Riquart. Mittlerwei­le lasse sich über das Internet alles bequem vom Büro oder von daheim aus verfolgen. Robotertel­eskope seien die Zukunft. „Die funktionie­ren von selbst.“Einige verteilen sich bereits über das Gelände, weitere sind in Planung. Was bei diesen Projekten im Fokus steht? „Asteroiden erforschen“, sagt Serra-Riquart.

Die Geschichte der Astronomie auf den Kanaren ist noch nicht ganz geklärt. Die These, dass bereits die Ureinwohne­r – die Guanchen – den Himmel beobachtet­en, gewann erst mit jüngsten Studien an Gewicht, sagt Astrophysi­kerin Antonia María Varela Pérez. Die 53-Jährige arbeitet ebenfalls am Institut in La Laguna. Sie verweist auf den Schotten Charles Piazzi Smyth, der 1856 das erste Hochgebirg­s-Observator­ium auf Teneriffa errichtete – in einem Tierunters­chlupf, auf einem Steinpfeil­er. Das Zubehör gelangte auf dem Rücken von Maultieren ins Gebiet um den Teide hinauf.

Erst mehr als ein Jahrhunder­t später, ab den 1960er Jahren, profiliert­e sich Teneriffa allmählich als Hotspot der profession­ellen Astronomie. Pérez erinnert sich, dass sie als Mädchen vom Balkon ihres küstennahe­n Elternhaus­es in der Inselhaupt­stadt Santa Cruz einen Sternenhim­mel wie aus dem Bilderbuch sah. Das sei heute unmöglich, wegen der Lichtversc­hmutzung – der sie den Kampf angesagt hat. Man müsse das Bewusstsei­n schärfen für den „reinen Himmel“, eine natürliche Ressource. Der Astro-Tourismus auf der Insel sei das beste Beispiel dafür. Wollen Besucher die Sterne beobachten, müssen sie die Lichtquell­en verlassen und mindestens auf 2000 Meter kommen.

Auf Teneriffa gibt es eine hohe Wahrschein­lichkeit, aber keine Garantie für Traumblick­e himmelwärt­s. So hängt Tage später Staub aus der Sahara in der Luft. Die Sicht ist erheblich getrübt, die Natur unberechen­bar. Dagegen hat auch Guide Miguel Ángel Pérez Hernández kein Rezept. Seine kleine Agentur lebt vom Sternentou­rismus. Die widrigen Verhältnis­se hat er seinen Kunden am Morgen rechtzeiti­g mitgeteilt. Abgesprung­en ist keiner. Der zunehmende Mond verhindert deutliche Blicke auf die Milchstraß­e.

Und doch fühlt man sich in der Finsternis abseits der Straße in der Trockenlan­dschaft an den Ausläufern des Teide von einer besonderen Stimmung erfasst. Der Blick durchs Teleskop zeigt den Mond, wie ihn die meisten nie gesehen haben dürften: graubleich, wie Zement, kraterdurc­hsetzt. Stille Faszinatio­n.

Sonst gilt: Der Himmel lebt. Die Lichter von Satelliten sind ohne Hilfsmitte­l erkennbar. Plötzlich taucht, markant leuchtend, die Raumstatio­n ISS auf, die ebenso schnell verschwind­et. Ihr Höllentemp­o lässt sich erahnen, knapp 30.000 Kilometer pro Stunde. Langsam verabschie­det sich Venus hinter dem Rücken des Teide, der einem übermächti­gen Scherensch­nitt gleicht. Dann huscht eine Sternschnu­ppe über den Himmel. Zu schnell, um sich etwas zu wünschen.

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FOTO: DPA Blick bei Sonnenunte­rgang von der Sternwarte auf den Vulkan Teide, den höchsten Berg Spaniens.

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