Dem Himmel so nah
Wer auf Teneriffa die Nacht zum Tage macht, muss kein Partyurlauber sein. Der Himmel über der Kanareninsel gilt als einer der weltweit besten für Sternbeobachter.
„Teneriffa ist zusammen mit La Palma einer der drei weltbesten Plätze für die Sternbeobachtung“Natascia Baldassarri Astronomin
SANTA CRUZ DE TENERIFE (dpa) Es ist früher Abend, Wind fegt über die Höhen. In Sicht liegt der Vulkan Teide, 3718 Meter hoch, Spaniens höchster Berg. Rundum im Observatorium wirken die leuchthellen Kuppelbauten und Türme wie ein Open-Air-Skulpturenpark, in dem sich Stararchitekten ausgetobt haben. Die Sonne sei eigentlich weiß, sagt Guide Jesús Mesa Rodríguez. Durch die Filter des leistungsstarken Nacht- und Sonnenteleskops erscheint sie in Nahaufnahme als feuerroter Ball.
Teneriffa gilt als weltweiter Topspot für Astro-Tourismus. „Das hier ist zusammen mit La Palma einer der drei weltbesten Plätze für die Sternbeobachtung, neben Hawaii und der Atacamawüste in Chile“, sagt Natascia Baldassarri, 44. Die italienische Astronomin ist als Kollegin von Rodríguez im Einsatz und schlüsselt die Gründe für die Besonderheit Teneriffas auf. Die isolierte Insellage im Atlantik. Die großen Höhen. Die geringe Lichtverschmutzung, auch durch das häufige Wolkenmeer nach Norden hin, das Strahlung und Feuchtigkeit abhält. Ganz oben 300 Tage freie Sicht im Jahr. Das Luftschutzgesetz.
Rodríguez ist ein sogenannter Starlight Guide. Er führt in den Bau eines Nachtteleskops, ein weißes Kuppelkonstrukt. Drinnen herrscht ein Dauersurrton. Der Experte erklärt die Mechanismen, doch die Sicht ab hier ins Universum bleibt Profiforschern vorbehalten. Die Zeit für Amateure kommt erst außerhalb des Observatoriums im Nationalpark El Teide, wenn die Sonne versunken ist. „Im
Himmel schauen wir immer in die Vergangenheit“, sagt Astronomin Baldassarri beim Teleskopblick auf den Kugelsternhaufen Messier 13. Was wie ein Baumwollball aussieht, ist bis zur Erde 25.000 Lichtjahre unterwegs.
Im Vergleich dazu scheinen die Planeten zum Greifen nah. Der rötliche Mars. Jupiter, von dem sich manchmal vier Monde symmetrisch abspreizen. Saturn, dessen Ringe wegen atmosphärischer Turbulenzen vor dem Auge leicht zittern und einen Wow-Effekt auslösen. Weit weg bleibt das alles trotzdem, ebenso wie der Polarstern und die Sternbilder, die Baldassarri mit einem Laserpointer am Firmament nachzeichnet: Großer Wagen, Schütze, Schwan, Herkules. Niemand sollte die falsche Erwartung hegen, man könnte bei den Touren Himmelsde- tails einfangen, als würde man in einer Raumsonde sitzen oder Bildergalerien anklicken, wie sie die Nasa auf ihre Webseite stellt.
Einer, der sich auskennt wie kaum ein Zweiter zwischen Erde und Himmel über Teneriffa, ist Miquel Serra-Riquart, 52, promovierter Astrophysiker und Leiter des Observatoriums. Für die Astronomie sei dies ein perfekter Ort, für die Gesundheit ein gewöhnungsbedürftiger. „Wegen der Höhe bekommst du Kopfschmerzen und Atemprobleme. Nach zwei Stunden verbrennt dir die Haut. Manchmal blutet die Nase.“Und an manchen Wintertagen zeigt das Thermometer 20 Grad minus.
Die meiste Zeit arbeitet Serra-Riquart in den geografischen Niederungen der Insel in La Laguna, vom Sitz des Astrophysischen Instituts der Kanaren aus, zu dem auch das Observatorium auf La Palma gehört. Obwohl die Forschungsvorhaben zunehmen, habe die Präsenz der Wissenschaftler auf Teneriffas Sternwarte deutlich abgenommen, sagt er. Das Bild vom Sternengucker, der nachts leibhaftig vor Instrumenten oder im Kontrollraum vor Bildschirmen sitzt, das sei seit einigen Jahren Geschichte.
Der Grund sei die zunehmende Automatisierung, sagt Serra-Riquart. Mittlerweile lasse sich über das Internet alles bequem vom Büro oder von daheim aus verfolgen. Roboterteleskope seien die Zukunft. „Die funktionieren von selbst.“Einige verteilen sich bereits über das Gelände, weitere sind in Planung. Was bei diesen Projekten im Fokus steht? „Asteroiden erforschen“, sagt Serra-Riquart.
Die Geschichte der Astronomie auf den Kanaren ist noch nicht ganz geklärt. Die These, dass bereits die Ureinwohner – die Guanchen – den Himmel beobachteten, gewann erst mit jüngsten Studien an Gewicht, sagt Astrophysikerin Antonia María Varela Pérez. Die 53-Jährige arbeitet ebenfalls am Institut in La Laguna. Sie verweist auf den Schotten Charles Piazzi Smyth, der 1856 das erste Hochgebirgs-Observatorium auf Teneriffa errichtete – in einem Tierunterschlupf, auf einem Steinpfeiler. Das Zubehör gelangte auf dem Rücken von Maultieren ins Gebiet um den Teide hinauf.
Erst mehr als ein Jahrhundert später, ab den 1960er Jahren, profilierte sich Teneriffa allmählich als Hotspot der professionellen Astronomie. Pérez erinnert sich, dass sie als Mädchen vom Balkon ihres küstennahen Elternhauses in der Inselhauptstadt Santa Cruz einen Sternenhimmel wie aus dem Bilderbuch sah. Das sei heute unmöglich, wegen der Lichtverschmutzung – der sie den Kampf angesagt hat. Man müsse das Bewusstsein schärfen für den „reinen Himmel“, eine natürliche Ressource. Der Astro-Tourismus auf der Insel sei das beste Beispiel dafür. Wollen Besucher die Sterne beobachten, müssen sie die Lichtquellen verlassen und mindestens auf 2000 Meter kommen.
Auf Teneriffa gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, aber keine Garantie für Traumblicke himmelwärts. So hängt Tage später Staub aus der Sahara in der Luft. Die Sicht ist erheblich getrübt, die Natur unberechenbar. Dagegen hat auch Guide Miguel Ángel Pérez Hernández kein Rezept. Seine kleine Agentur lebt vom Sternentourismus. Die widrigen Verhältnisse hat er seinen Kunden am Morgen rechtzeitig mitgeteilt. Abgesprungen ist keiner. Der zunehmende Mond verhindert deutliche Blicke auf die Milchstraße.
Und doch fühlt man sich in der Finsternis abseits der Straße in der Trockenlandschaft an den Ausläufern des Teide von einer besonderen Stimmung erfasst. Der Blick durchs Teleskop zeigt den Mond, wie ihn die meisten nie gesehen haben dürften: graubleich, wie Zement, kraterdurchsetzt. Stille Faszination.
Sonst gilt: Der Himmel lebt. Die Lichter von Satelliten sind ohne Hilfsmittel erkennbar. Plötzlich taucht, markant leuchtend, die Raumstation ISS auf, die ebenso schnell verschwindet. Ihr Höllentempo lässt sich erahnen, knapp 30.000 Kilometer pro Stunde. Langsam verabschiedet sich Venus hinter dem Rücken des Teide, der einem übermächtigen Scherenschnitt gleicht. Dann huscht eine Sternschnuppe über den Himmel. Zu schnell, um sich etwas zu wünschen.