ZUM TAG DER DEUTSCHEN EINHEIT
Georg Bauchspieß hat in Nierst eine neue Heimat gefunden
Als es heute vor 28 Jahren die DDR endgültig nicht mehr gab, war Georg Bauchspieß in Meerbusch froh. „Es war gut, dass der Osten endlich weg war“, sagt der 82-Jährige, der mit seiner Frau in einem ruhigen Einfamilienhaus mit kleinem Garten in Nierst wohnt.
Aufgewachsen ist er in Heilsberg, einem 200-Seelen-Dorf im Süden Thüringens. Georg Bauchspieß´ Kindheit war von den Wirren jener Zeit geprägt: Bauchspieß, 1935 geboren, erlebte vom Hof seiner Eltern aus den Zweiten Weltkrieg, nahm Flüchtlinge aus Krefeld bei sich auf, sah zu, wie der Vater an die Ostfront versetzt wurde, wie sein Dorf besetzt wurde und erlebte den Aufstieg der Deutschen Demokratischen Republik. War keine leichte Zeit für Georg Bauchspieß und seine Brüder: Der Hof der Familie, den sie seit 1773 betrieb, wurde enteignet, die Familie kam bei einer Tante unter. Der Vater war aus dem Krieg nicht nach Hause zurück gekehrt, sondern in den Westen gegangen, wo er in Hessen den Hof eines gefangenen Kameraden bewirtschaftete. „Offiziell kam er nicht zurück. Allerdings hat er uns öfter besucht und unsere Flucht geplant.“Die Familie wollte im Westen einen neuen Anfang wagen. „Bei uns ist nach dem Krieg nie Normalität eingekehrt“, erzählt Bauchspieß heute, „Es gab keine Chance in der DDR“.
1950 war es dann so weit. „Wir Kinder kamen aus der Schule, haben unsere Bücher ausgepackt und Brote für den Weg in die Tornister gesteckt“, erzählt Bauchspieß. Ein Schlepper brachte sie in die Nähe der Grenze und beschrieb ihnen den Weg durch den Wald nach Westen. „Es war dunkel, und wir trugen unsere Sonntagsanzüge“, erinnert er sich an jene Nacht. Im Wald verlor die Familie die Orientierung. Irgendwann flammten Taschenlampen auf, Georg und sein Bruder versteckten sich im Gebüsch. Er hörte seine Mutter mit jemandem reden. „Dann fiel das Wort Westpolizei, und wir wussten, wir hatten es geschafft“, sagt Bauchspieß.
Die wiedervereinte Familie lebte zunächst in Hessen, wo Bauchspieß eine Ausbildung zum Gärtner machte. „Der Chef im Betrieb war ein alter Offizier, der sich noch so benahm, als sei er im Militär, der Vorarbeiter war gerade aus russischer Gefangenschaft zurück- gekehrt. Da gab es ständig Streit“, erinnert sich Bauchspieß an seine Ausbildung. Als Jugendlicher erlebe er, wie tief die Bevölkerung in Deutschland durch den Krieg gespalten worden war.
Als der Kamerad ihres Vaters auf seinen Hof zurückkehrte, musste die Familie weiter ziehen. Über die Flüchtlinge, die sie auf ihrem Hof in Thüringen untergebracht hatten, kam Familie Bauchspieß nach Krefeld. Dort fand Georg Arbeit, zunächst bei Gartenbau Rocholl, später im Bayerwerk in Uerdingen. Am Niederrhein lernte er auch seine heutige Frau kennen. Der Vater bezog irgendwann ein kleines Haus in Nierst, dass Georg und seine junge Familie nach dem Tod des Vaters1976 übernahmen und ausbauten. „Wir haben hier fast alles selbst gemacht“, sagt Bauchspieß heute und klopft stolz gegen die Wände. Heute wohnt seine Tochter mit ihrer Familie Wand an Wand, Bauchspieß hat Enkel im Schulalter, auf die er sehr stolz ist.
Der Mann aus Thüringen hat in Meerbusch sein Zuhause gefunden. Früher besuchte er noch regelmäßig den Osten. „Meine Cousine lebt mit ihrer Familie noch dort“, sagt er. Bei ihrer ersten Einreise nach dem Ende der DDR habe er an der Grenze seien Pass zeigen wollen. Der Wachmann habe gelacht und gesagt: „Den brauchen Sie nicht mehr!“. „Wir haben trotzdem darauf bestanden, einen letzten Stempel zu bekommen“, erzählt Bauchspieß. Regelmäßig war er seitdem da, wo früher „drüben“war. „Es gibt wunderschöne Landschaften und Städte im Osten“, beschreibt er seine alte Heimat.
Dennoch ist er froh, damals in den Westen geflohen zu sein und der DDR den Rücken gekehrt zu haben. „Ich würde alles zu 100 Prozent wieder so machen“, sagt er heute. Georg Bauchspieß ist zufrieden mit der Geschichte – mit seiner eigenen, und der des ganzen Landes. Dominik Schneider