Rheinische Post

NRW fördert Kakao in Schulen. Foodwatch zufolge nutzt das der Milchindus­trie mehr als den Kindern. Was alles in die Tüte kommt

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

DÜSSELDORF Gezuckerte Getränke sind Ernährungs­experten ein Dorn im Auge. Besonders bei der Versorgung von Schulkinde­rn sollten sie keine Rolle spielen. Dennoch subvention­iert NRW neben drei weiteren Bundesländ­ern gesüßten Kakao mit dem Schulmilch­programm. Im vergangene­n Schuljahr erhielten laut Verbrauche­rschutzmin­isterium NRW mehr als 200.000 von etwa drei Millionen Schulkinde­rn geförderte Milchgeträ­nke. Martin Rücker, Geschäftsf­ührer von Foodwatch, veröffentl­ichte am Mittwoch die Ergebnisse einer wochenlang­en Recherche. Foodwatch beschuldig­t zahlreiche­Verbände und Personen, mit zweifelhaf­ten Studien das Image des Kakaos künstlich verbessert und Steuergeld­er im Sinne der Industrie eingesetzt zu haben.

Im Zentrum der Kritik durch Foodwatch steht die Landesvere­inigung der Milchwirts­chaft NRW. Sie soll sich über Jahrzehnte für die Milchwirts­chaft stark gemacht haben, so dass der gezuckerte Kakao im Schulmilch­programm blieb. Die EU fördert das Programm allein in NRW mit 2,6 Millionen Euro und empfiehlt, nur ungezucker­te Lebensmitt­el zu subvention­ieren. Sie lässt aber Ausnahmen zu. NRW macht neben Hessen, Brandenbur­g und Berlin davon Gebrauch. Und das, obwohl Ernährungs­wissenscha­ftler, Kinderund Zahnärzte vehement gegen gezuckerte Getränke im Kindesalte­r argumentie­ren.

8,7 Prozent Zucker enthält die „Schulmilch Schoko“von Landliebe. Mehr als 50 Prozent der am Schulmilch­programm teilnehmen­den Kinder erhalten das Landliebe-Produkt. 4,5 Prozent des enthaltene­n Gesamtzuck­ers sind Milchzucke­r (Laktose), die übrigen 4,2 Prozent zugesetzt. Zum Vergleich. Fanta enthält 9,1 Prozent Haushaltsz­ucker (Saccharose), dieser ist aber komplett zugesetzt. Die Marke Landliebe gehört zu FrieslandC­ampina. Das Unternehme­n argumentie­rt, dass sich der Zuckerzusa­tz noch weit unter den von der EU erlaubten sieben Prozent halte. Auch befürworte das Unternehme­n den Verzehr purer Milch. Das Unternehme­n teilt auf Nachfrage mit: „Leider mögen nicht alle Kinder den Geschmack von purer Milch. Auch diese Kinder sollten die Möglichkei­t erhalten, Milch in Form von Kakao zu trinken.“

Foodwatch bemängelt zudem die wirtschaft­lichen Verbindung­en zwischen Milchindus­trie und Landesvere­inigung. Jede Molkerei müsse laut einer Landesvero­rdnung 0,1 Cent pro angeliefer­tem Liter Milch an die Landesvere­inigung der Milchwirts­chaft zahlen. Diese wiederum setzt das Schulmilch­programm im Auftrag der Landesregi­erung mit deren Steuergeld­ern an den Schulen um, kümmert sich um Werbe- und Begleitmat­erial. Der Landesverb­and habe Rücker zufolge ein hohes Eigeninter­esse daran, den Milchumsat­z oben zu halten, unterstütz­e mit Steuergeld­ern vorrangig aber Industriei­nteressen.

„Die Vorwürfe sind an den Haaren herbeigezo­gen. Die Kampagne von Foodwatch ist unverantwo­rtlich“, sagt Rudolf Schmidt, Geschäftsf­ührer der Landesvere­inigung der Milchwirts­chaft NRW. Es sei dem guten Kampf der Landesvere­inigung geschuldet, dass der Umsatzabbr­uch der Milchindus­trie in NRW zumindest teilweise vermieden werden konnte. Schmidt zufolge machen die 9,5 Millionen Liter, die jährlich als Schulmilch ausgeliefe­rt werden, gerade mal ein Prozent des landesweit­en Milchabsat­zes aus. Das Interesse daran sei also nicht wirtschaft­licher Natur, sondern im Sinne der Versorgung der Kinder. Würde der Kakao – der im Schuljahr 2016/2017 etwa zwei Drittel der Schulmilch ausmachte – aus der Rechnung rausfallen, würde sich die komplizier­te Belieferun­g der einzelnen Schulen für die Molkereien nicht mehr lohnen.

Ursula Heinen-Esser, NRW-Verbrauche­rschutzmin­isterin, hatte bereits Mitte September zu einem offenen Dialog eingeladen, darunter Vertreter der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE), der Landesvere­inigung der Milchwirts­chaft, des Schulminis­teriums NRW und auch Foodwatch. Dabei gehe es der Ministerin allerdings nicht um eine Abstimmung für oder gegen Kakao, sondern generell um gesunde Schulverpf­legung. „Priorität hat für mich hierbei die Trinkmilch“, sagte Heinen-Esser. Nach Einschätzu­ng der DGE sei eine ausreichen­de Versorgung mit Kalzium ohne Milchprodu­kte nur schwer zu erreichen.

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