„Das Wasser kam von allen Seiten“
Mindestens zehn Menschen sind bei schweren Unwettern auf Mallorca ums Leben gekommen. Augenzeugen berichten von dramatischen Szenen und bis zu fünf Meter hohen Flutwellen. Nun beginnen auf der Insel die Aufräumarbeiten.
SANT LLORENÇ Cornelia N. (52) aus Düsseldorf kennt und liebt Mallorca seit vielen Jahren. Nun hat sie eine ganz andere Seite der Ferieninsel erlebt – und fast ihr Leben dabei verloren: Sie geriet in der Nacht zu Mittwoch mitten in das verheerende Unwetter, das mit sintflutartigen Regenfällen und Überschwemmungen mindestens zehn Menschen in den Tod riss.
Besonders die 8000-Einwohner-Gemeinde Sant Llorenç rund 60 Kilometer östlich der Hauptstadt
„Die Wassermassen kamen urplötzlich. Viele Existenzen in Sant Llorenç sind zerstört“Felix Trappe Gastronom
Palma war betroffen. Dort gab es einen Sturzbach, der über die Ufer trat. Die Wassermassen verwandelten Straßen innerhalb von Minuten in reißende Flüsse. Zahlreiche Autos wurden mitgerissen und Häuser unter Wasser gesetzt, wie auf Bildern und Videoaufnahmen unter anderem des meteorologischen Dienstes der Balearen zu sehen war.
In Sant Llorenç war auch Cornelia N. am Dienstagabend unterwegs. Sie hatte ihren Sohn vom Flughafen in Palma abgeholt und entschloss sich auf dem Rückweg in ihre Unterkunft im Ort Son Servera im Nordosten der Ferieninsel, einen Umweg zu nehmen, um das bereits tobende Gewitter zu umfahren – Cornelia N. kennt die Route und das Örtchen Sant Llorenç. Doch dann wurde es brenzlig: „Von allen Seiten kam das Wasser und Geröll die Berghänge herab. Es ging unfassbar schnell, plötzlich war es da. Wir konnten nicht mal mehr die Lichter der vor uns fahrenden Wagen sehen“, sagt die 52-Jährige. In einer engen Straße kamen ihr panische Menschen entgegen, machten ihr klar, dass sie wenden muss – was in letzter Sekunde auch gelang. Cornelia N. und ihr Sohn entkamen nur knapp einer Schlamm- und Gerölllawine. Die Düsseldorferin ist überzeugt:„Wären wir da hinein geraten, wären wir jetzt tot!“Die beiden sind vorerst in einem Hotel untergekommen, wann sie in ihr Feriendomizil nach Son Servera weiterfahren kön- nen, wissen sie nicht.
Auch andere Augenzeugen berichten von dramatischen Szenen. Felix Trappe betreibt seit acht Jahren ein Restaurant in Sant Llorenc.„Wir gehören zu den wenigen, die das Unwetter unbeschadet überstanden haben. Aber viele Existenzen sind zerstört“, erzählt der 39-Jährige, der ursprünglich aus Bremen stammt. Auch Trappe hat das Unwetter überrascht – innerhalb einer Stunde habe Ausnahmezustand ge- herrscht:„DieWassermassen kamen urplötzlich.“Drei Viertel des Dorfes, schätzt er, seien überschwemmt gewesen, bis zu fünf Meter hoch habe das Wasser gestanden. Warnungen habe es nicht gegeben.
Auch am Tag nach dem Unwetter seien die Zustände in Sant Llorenc katastrophal. „Hier stehen ungefähr hundert zerstörte Autos herum, überall liegt Schmutz und Grünzeug“, sagt Trappe. Das Wasser sei aber inzwischen vollständig wieder abgelaufen. Das Dorf war am Mittwochnachmittag noch gesperrt, bald sollen die Aufräumarbeiten beginnen.
Innerhalb von nur zwei Stunden stürzten in dem Ort am Dienstagabend nach Angaben des spanischenWetterdienstes 233 LiterWasser vom Himmel. ZumVergleich: Im gesamten vergangenen Jahr sind in Deutschland im Schnitt 850 Liter pro Quadratmeter heruntergegangen. Sieben Landstraßen waren am Mittwochnachmittag den Behörden zufolge immer noch unbefahrbar, einige Ortschaften ohne Strom- und Wasserversorgung und von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten.
Unter den Todesopfern sind auch zwei britische Urlauber. Drei Menschen wurden am Nachmittag von Rettungskräften lebend gefunden, sie hatten sich in einen alten Bahnhof gerettet. Ein Kind wurde am Abend nach Angaben des Notdienstes der Balearen noch vermisst.