Jim Knopf und die wilde Kundschaft
Mit seiner Toniebox hat das Düsseldorfer Unternehmen Boxine Erfolg. Doch jetzt gibt es eine Rassismus-Debatte um eine neue Figur.
Rund zehntausend Kilometer muss die Bahn zurücklegen, bevor die Tonieboxen in deutsche Kinderzimmer ausgeliefert werden können. Rund 20 Tage dauert die Reise von China nach Duisburg, zwei Kontinente werden durchquert. Da kann auch schon mal was schiefgehen. So wie im September. Da bekam das Düsseldorfer Unternehmen Boxine die Nachricht, dass der Zug, auf den man so sehnsüchtig wartete, in der Mongolei liegengeblieben ist. An Bord: Eine Lieferung mit zahlreichen Tonieboxen, die Hörspiele abspielen, wenn man eine Figur, die sogenannten Tonies, daraufstellt.
Das Team wollte sich bei seinen Kunden dafür entschuldigen, dass sich die Lieferung verzögert. Bei Facebook veröffentlichten sie die Nachricht, dass der Zug Verspätung habe. Dazu zeigten sie auf einem Bild eine Lokomotive, aus der Jim Knopf herausguckt. „Wir haben einen ausgewiesenen Lokomotiven-Experten zu Rate gezogen“, heißt es in dem Text. Es ist ein versteckter Hinweis, den die vielen Fans der Box sofort verstehen: Bald wird es auch Michael Endes Geschichte von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer, als Tonie geben. Eigentlich eine gute Nachricht – doch dann ging der Ärger los.
Eine Welle der Empörung brach los. Nutzer waren erbost über die Darstellung des dunkelhäutigen Jungen, warfen Boxine vor, „kolonialrassistische Stereotype“zu bedienen. – „Jim Knopf hat uns auf dem falschen Fuß erwischt“, sagt Patric Faßbender. Er ist einer der beiden Gründer von Boxine. Dabei hatte er sich auf diesen Tonie besonders gefreut. „Das ist meine Lieblingsfigur aus meiner eigenen Kindheit“, sagt der 48-Jährige. Insofern war die Freude groß, als die Tonie-Macher von den Erben des Autors Micha- el Ende die Erlaubnis erhielten, aus dem Buch eine Hörfigur zu machen. „Wir haben uns an die Original-Darstellung gehalten und hatten natürlich auch von den Lizenzgebern die Vorgabe, diese möglichst 1:1 umzusetzen“, sagt Faßbender, der selbst gelernter Grafik-Designer ist: „Wir wollten mit Sicherheit niemanden verletzen. Für uns war das einfach die Illustration, mit der wir groß geworden sind.“Boxine verschob die Veröffentlichung, die eigentlich noch vor Weihnachten sein sollte, auf die erste Jahreshälfte 2019. Die Figuren, die bereits produziert wurden, ließ man recyceln. Nun soll es einen neuen Jim Knopf geben, der weniger Klischees bedient als die jahrzehntealte Darstellung.
Die Macher wollten die Kritik nicht einfach ignorieren, konnten es auch nicht, dafür ist die Tonie-Box inzwischen in zu viele Kinderzimmer eingezogen. Um das Produkt ist ein regelrechter Hype entstanden. Die Nachfrage übertrifft seit dem Start vor zwei Jahren immer wieder das Angebot, bis Jahresende wird die Zahl der insgesamt verkauften Boxen bei rund 800.000 liegen, davon knapp 570.000 allein in diesem Jahr. Hinzu kommen knapp vier Millionen Figuren, von Bibi Blocksberg über Anne Kaffeekanne bis hin zu den sogenannten Kreativ-Tonies, die von den Nutzern selbst bespielt oder besprochen werden können. Für dasWeihnachtsgeschäft hat Boxine noch einmal größere Mengen produzieren lassen, „letztes Jahr waren wir um diese Zeit schon ausverkauft“, sagt Faßbender.
In sozialen Netzwerken wie Facebook gibt es inzwischen dutzende Gruppen, in denen sich Nutzer über ihre Tonies austauschen, über Bastel-Portale wie Etsy bieten Nutzer selbstgenähte Hüllen und Taschen an – und unter dem Stichwort„Zaubertonies“zeigen einige Eltern im Internet, wie sie die Chips aus Kre- ativ-Tonies herauslösen und in andere Figuren einbauen. Steiff- oder Schleich-Tiere, Playmobil-Figuren oder Spielzeugautos, der Kreativität sind ganz offensichtlich keine Grenzen gesetzt.
Der zweifache Familienvater Faßbender kann den Erfolg der eigenen Idee noch immer kaum fassen. Er hatte sich immer wieder darüber geärgert, dass die CD-Player der Kinder kaputtgingen oder die CDs verkratzten. Dann gründete er mit Marcus Stahl, den er über eine Elterninitiative im Kindergarten kennengelernt hatte, im Dezember 2013 die Boxine GmbH. Die beiden tüftel-
Nutzer waren erbost über die Darstellung des dunkelhäutigen Jungen.
ten an der Technik, überlegten sich Designs und sprachen mit Verlagen über ihre Idee. Patric Faßbender kann sich noch gut daran erinnern, wie ihnen in einigen Verlagen gesagt wurde, man könne, wenn es gut läuft, etwa 8000 Boxen pro Jahr verkaufen.
Dass es anders gekommen ist, hängt aus Faßbenders Sicht auch damit zusammen, dass man mit der Toniebox ein Problem löse, das offenbar viele Eltern gehabt hätten. „Und das Produkt erscheint natürlich genau in einer Zeit, in der Streaming-Angebote das Kinderzimmer noch nicht erobert haben, der CDMarkt aber gleichzeitig langsam wegbricht.“Und das gilt natürlich nicht nur für Deutschland.
Seit Oktober bietet Boxine die To- niebox auch in Großbritannien und Irland an, für die natürlich neue Tonies entwickelt werden mussten – denn die Helden deutscher Kinderzimmer sind im Ausland nur selten bekannt. Es war der erste Schritt auf den englischsprachigen Markt. Doch irgendwann, hofft man in der Düsseldorfer Zentrale, soll es die Tonies auch in den USA geben. Auch eine Expansion nach China, Japan, Korea oder Indien sei denkbar.
Doch auch bei der Internationalisierung wurden die Tonie-Macher mal wieder von ihren Kunden überrascht. Denn die bestellten plötzlich aus Deutschland die englischsprachigen Tonies und ließen sie sich aus Großbritannien nach Hause schicken – hohe Portokosten hin oder her. Nach und nach sollen die englischsprachigen Hörfiguren daher auch in Deutschland erscheinen. „Das ist schon Wahnsinn, was die Leute da alles in Kauf nehmen, um an unsere Figuren zu kommen“, sagt Faßbender: „Wir leben immer noch unseren Traum.“
Und der soll weitergehen – mit einem überarbeiteten Jim Knopf und vielen anderen neuen Geschichten. 75 bis 80 neue Tonies sollen pro Jahr auf den Markt kommen. Das Potenzial ist weiterhin groß, so fehlen beispielsweise noch sämtliche Helden aus den Büchern von Astrid Lindgren, von Pippi Langstrumpf bis Kalle Blomquist. Und auch die Lieder von Rolf Zukowski gibt es noch nicht als Hörfigur. „Wir sind in Gesprächen mit der Plattenfirma Universal“, sagt Faßbender: „Alles, was Kinder interessiert, soll irgendwann auf die Toniebox kommen.“