Merkels Appell an die Welt
Die Bundeskanzlerin kämpft in Marrakesch nicht nur für den Migrationspakt der UN – sondern auch um diese selbst.
MARRAKESCH Wenn Altbewährtes Stürme überstehen soll, muss es neu begründet werden. Angela Merkel hat das mit ihrem leidenschaftlichen Plädoyer für den UN-Migrationspakt am Montag in Marrakesch getan. Es war nicht weniger als ein Kampf um den Zusammenhalt der Weltgemeinschaft mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Deutschland mit seiner Nazi-Vergangenheit trägt in ihren Augen besonders große Verantwortung.
Die Bundeskanzlerin will diesen von Nationalisten und AfD-Politikern als großes Übel beschimpften „Globalen Pakt für sichere, geordnete reguläre Migration“unbedingt. Jetzt erst recht. Die Rechten sollen sie nicht vor sich hertreiben. Sie provoziert auf ihre Weise: „Ich habe ein Interesse an legaler Migration.“
Bei dem Pakt gehe es nicht nur um Migranten, sagt sie vor den Vertretern von rund 150 Staaten. Es gehe um die Grundlage der internationalen Zusammenarbeit. Viele Menschen könnten ein besseres Leben bekommen und Staaten wie Deutschland durch mehr Fachkräfte einen gefestigten Binnenmarkt und Wohlstand. Aber Merkel ist noch etwas wichtig, was noch schwerer wiegt: das „klare Bekenntnis zum Multilateralismus“. Sie mahnt: „Nur durch den werden wir unseren Planeten besser machen können.“Sie dreht jetzt das ganz große Rad. Als währenddessen im angrenzenden Pressesaal eine Durchsage für einen organisatorischen Hinweis gemacht wird, rufen Dutzende Journalisten„Ruhe“. In der Tagungshalle wird Merkel Beifall geklatscht.
Sie hält den Pakt für eine große Chance für Deutschland in harten Zeiten des Wandels und der Ängste – Überalterung der Gesellschaft und Fachkräftemangel in reichen Staaten, hohe Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit in armen Ländern, menschenunwürdiger Umgang mit billigen ausländischen Arbeitskräften. Auch aus bitterer Erfahrung ihrer zeitweisen Isolierung in der Flüchtlingspolitik pocht Merkel auf Solidarität und Steuerung auf internationaler Ebene.
Der Pakt für Migranten hat 23 Ziele, mit denen Schlepper bekämpft werden und Menschen legal einreisen können, wenn sie dieVoraussetzungen etwa für den Arbeitsmarkt mitbringen. Zugleich sollen Lebensbedingungen in den Heimatländern verbessert werden, damit sich viele erst gar nicht auf den Weg machen müssen. Es geht aber auch um Menschlichkeit, dass Migranten nicht wie beim Bau der Fußball- stadien im steinreichen Katar brutal ausgebeutet werden oder in anderen Ländern im Vergleich zu den Einheimischen benachteiligt werden.
Merkel ist einer der wenigen Staats- und Regierungschefs, die persönlich nach Marrakesch gereist sind. Für kaum 20 Stunden. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hält ihr jetzt in Berlin den Rücken frei. Arbeitsteilung des neuen mächtigen Frauen-Duos.
In Belgien ist unterdessen die Regierung an dem Migrationspakt zerbrochen. Premierminister Charles Michel ist trotzdem nach Marrakesch gekommen. Auch er will ein Zeichen setzen. Insgesamt sind es nur 14 Staaten, die durch Präsidenten oder Regierungschefs vertreten werden. Neben Deutschland und Belgien noch Spanien, Portugal, Griechenland, Dänemark, Albanien, Andorra, Estland, Togo, Sierra Leone, das Königreich Swasiland, die Komoren und Panama.
Gar nicht gekommen sind die europäischen Partner Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Italien und Österreich. Merkels Widersacher in der Flüchtlingspolitik. Sie setzen mehr auf Abschottung und lehnen den Pakt ab. Vor allem die Verärgerung in der EU über Österreich ist groß, weil Wien den Pakt in seiner EU-Ratspräsidentschaft mitverhandelt hatte und dann ohne große Vorwarnung an die Mitgliedstaaten ausgestiegen sei. Das hallte auch in Belgien nach. Die USA un- ter Präsident Donald Trump hatten von Anfang an nicht mitverhandelt. Noch so ein scharfer Bruch mit dem Vorgänger Barack Obama. Die Vereinten Nationen ohne die Vereinigten Staaten von Amerika. Von Solidarität keine Spur.
Merkel sagt in ihrer Rede, es sei ein gutes Zeichen, dass sich die UN erstmals mit dem Schicksal der Millionen Migranten beschäftigen. Es gehe auch darum, dass die universellen Menschenrechte in jedem Land gelten. Und: „Wir können doch nicht akzeptieren, dass Schlepper entscheiden, wer in ein Land kommt.“Armen Menschen werde Geld abgepresst, das wiederum in Waffen investiert werde und den Frieden gefährde.
„Es muss unser Anspruch sein, dass wir das regeln“, sagt die Bundeskanzlerin. Das gehe nur durch multilaterale Kooperation. „Zum Schutz unserer Bürger.“Die Konferenz nimmt den Pakt an, die UN-Vollversammlung will es dann noch in diesem Jahr tun. Merkel spricht von einem „bedeutenden Tag“.