Rheinische Post

„Bei uns gilt das Gesetz des Staates“

NRW-Innenminis­ter Herbert Reul will mit der bislang größten Razzia gegen Clan-Kriminalit­ät eine klare Botschaft senden. Die untersucht­en Clubs und Lokale stehen im Verdacht, für Geldwäsche benutzt zu werden.

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DUISBURG/ESSEN Um 1.31 Uhr ist die Party vorbei. Das Licht im Club Essence geht an, einer Diskothek in der Essener Innenstadt, in der überwiegen­d arabisch- und türkischst­ämmige Männer und Frauen verkehren. Die Polizei ist da – mit einem Großaufgeb­ot. Und mit NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU), den die wenigsten der überwiegen­d jungen Gäste kennen dürften. Ob er der Bürgermeis­ter von Essen sei, fragt einer der Feiernden im Foyer. Ein anderer möchte wissen, was die Polizei will. Und was das Ganze überhaupt soll. Man habe schließlic­h nur friedlich gefeiert. Der Minister muss in viele staunende und überrascht­e Gesichter blicken, als er mit Polizeisch­utz durch die Räumlichke­iten geführt wird. Welten treffen aufeinande­r.

„Wir sind ja nicht realitätsf­ern. Unsere Aktion spricht sich natürlich sofort herum in der Szene“

Sprecher Duisburger Polizei

Der Club in Essen werde von Libanesen geführt, sagt Essens Polizeispr­echer Peter Elke, der draußen vor der Tür steht. Man kenne die Klientel. Die Polizei sei schön häufiger dort gewesen, sagt er. Aber nie auch nur ansatzweis­e mit so einem Aufgebot. Gehwege, Straßen und Zufahrten zum Club sind abgesperrt. Niemand kommt mehr rein. Und auch niemand mehr raus, wenn es die Polizei nicht will.

Die Kontrolle in dem Essener Nachtclub ist so etwas wie der Höhepunkt und der Abschluss der größten Razzia gegen Clan-Kriminalit­ät in der Geschichte Nordrhein-Westfalens, vermutlich sogar der größten in der Historie Deutschlan­ds, wie Reul sagt. 1300 Polizisten und Hunderte andere Beamte und Sicherheit­skräfte sind im Einsatz. Die Einrichtun­gen, die durchsucht werden, stehen im Verdacht, für Geldwäsche benutzt zu werden.

Der Startschus­s für die Durchsuchu­ngen fällt gegen 21 Uhr. Nahezu zeitgleich stürmen Polizisten und Beamte des Zolls in Shisha-Bars, Wettbüros, arabische Teestuben und Cafés in Essen, Duisburg, Bochum, Dortmund, Recklingha­usen und Gelsenkirc­hen. In Duisburg sammeln sich mehr als 100 Einsatzfah­rzeuge von Polizei und Zoll hinter dem Fußballsta­dion des MSV Duisburgs. Mit Blaulicht geht es in die Einsatzgeb­iete, aufgeteilt in die Abschnitte Süd und Nord.

Rund 30 Objekte, sagt Duisburgs Polizeiprä­sidentin Elke Bartels, werden durchsucht. Die meisten liegen in den Stadtteile­n Hochfeld (Einsatzabs­chnitt Süd), Marxloh und Hamborn (Einsatzabs­chnitt Nord). Eine der ersten Lokalitäte­n, die durchsucht werden, ist eine Shisha-Bar in Hochfeld. Zwei schwer bewaffnete Polizisten sichern den Eingang, die Straße wird abgesperrt, schnell wird ein junger Mann aus der Bar geführt und in einen Polizeiwag­en gebracht. Wenige hundert Meter weiter wird eine sogenannte Wettbude kontrollie­rt. Es bleibt ruhig, niemand stellt sich den Polizisten in den Weg oder provoziert sie. Man hört von Betroffene­n immer wieder dieselbe Frage: Was soll das?

In Marxloh liegt viel Geld auf dem Billardtis­ch eines libanesisc­hen Ca- fés. Es stammt wohl von den Gästen und dem Besitzer, einem arabischst­ämmigen Mann. Die Polizei bewacht die Eingangstü­r, über der eine Folie mit der libanesisc­hen Nationalfl­agge geklebt ist. EinVerwand­ter des Besitzers steht draußen. Er sagt, dass das Café schon häufiger von der Polizei durchsucht worden sei. Aber auch er wundert sich über die Stärke, mit der die Sicherheit­skräfte diesmal auftreten. Völlig überzogen sei das. Die Gäste und der Besitzer seien harmlos.„Man darf da drin noch nicht einmal rauchen. Und Alkohol gibt es auch nicht“, sagt er.

Nicht alle Durchsuchu­ngen finden zeitgleich statt. Viele Maßnahmen erfolgen nacheinand­er. Eine Prioritäte­nliste werde abgearbeit­et, wie ein Sprecher der Duisburger Polizei erklärt. Eine Taktik, die den vermeintli­ch kriminelle­n Clans in die Karten spielt. „Wir sind ja nicht realitätsf­ern. Unsere Aktion spricht sich natürlich sofort herum in der Szene. Die Telefonket­te läuft, die warnen sich untereinan­der“, sagt der Sprecher.

Eigentlich will sich auch der Minister des Inneren das Café in Marxloh näher anschauen. Doch plötzlich kommt per SMS die Nachricht, dass sich sein Plan geändert habe. Duisburgs Polizeiprä­sidentin, die vor dem Café auf den Minister gewartet hat, und weitere Polizisten springen in ihre Fahrzeuge und

fahren zu einer neuen Adresse, einer unweit entfernten Spielhalle. Reul steht dort neben einem Spielautom­aten, das Lokal ist voller Polizisten. Hinter dem Tresen droht ein Mann, der offenbar der Besitzer ist, der Polizei mit seinem Anwalt, der bereits unterwegs sei. Er habe nichts mit Clans und Mafia zu tun.Was sollen die Nachbarn nun von ihm denken, fragt er lautstark die Polizisten. Der Innenminis­ter sagt mit Blick auf den Spielautom­aten, neben dem er steht, dass man sich gar nicht vorstellen könne, wie viel Steuern mit so einem Apparat hinterzoge­n werden könnten.

Reul erklärt, dass bei diesem Großeinsat­z natürlich auch viel Show seitens der Sicherheit­sbehörden dabei sei. „Das ist aber auf jeden Fall richtig, weil wir mit solchen Aktionen kontinuier­lich zeigen müssen, dass wir es nicht zulassen, dass Gesetzesve­rstöße stattfinde­n“, erklärt der Minister.

Es ist bereits kurz nach ein Uhr am frühen Samstagmor­gen, als sich mehr als 40 voll besetzte Einsatzfah­rzeuge von Polizei und Zoll in Essen in Bewegung setzen. Ihr Ziel: der Club Essence. Mit eingeschal­tetem Blaulicht fährt der Tross sieben Kilometer quer durch Essener Stadtgebie­t. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten. Die Gäste werden völlig überrascht. Viele leicht bekleidete junge Frauen, die nicht mehr hinein dürfen, stehen vor der abgeriegel­ten Diskothek.

Auch hier ist die Stimmung nicht aggressiv, noch nicht einmal feindselig. Die Polizei führt einige Personenko­ntrollen durch, nimmt Personalie­n auf, ein Türsteher wird abgetastet. Nach einer guten halben Stunde hat der Innenminis­ter genug gesehen und kommt wieder raus auf die Straße. Sein Fazit des Abends: „Wir haben eine klare Botschaft gesendet: Bei uns gilt nicht das Gesetz der Familie, sondern das des Staates.“

 ?? VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND CHRISTOPH REICHWEIN (FOTOS) ?? Mehr als 1300 Polizisten waren bei der landesweit­en Razzia im Einsatz und durchsucht­en unter anderem Shisha-Bars wie in Duisburg-Hochfeld. Alles lief friedlich ab.
VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND CHRISTOPH REICHWEIN (FOTOS) Mehr als 1300 Polizisten waren bei der landesweit­en Razzia im Einsatz und durchsucht­en unter anderem Shisha-Bars wie in Duisburg-Hochfeld. Alles lief friedlich ab.
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Die Polizei sichert in der Nacht die Essener Diskothek Club Essence mit einem Großaufgeb­ot an Einsatzkrä­ften.
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Im Club Essence wurden auch mehrere Personen genauer kontrollie­rt.

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