Rheinische Post

München leuchtet

Ein Besuch der Museen in der bayerische­n Landeshaup­tstadt lohnt sich. Ein Rundgang durch die neuen Ausstellun­gen der süddeutsch­en Metropole.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Während die Neue Pinakothek zum Jahreswech­sel ihre Pforten geschlosse­n hat, um in den kommenden fünf Jahren aufwändig saniert zu werden, ist nur einen Steinwurf entfernt so viel los wie lange nicht mehr: Denn die Alte Pinakothek hat nach abgeschlos­sener Sanierung wieder alle ihre Säle für Kunstflane­ure geöffnet. Und weil im klassizist­ischen Prachtbau ohnehin einige Meisterwer­ke von Leonard da Vinci und Sandro Botticelli, Filippino Lippi und Giotto zu Hause sind, lag der Gedanke nahe, dieWiedere­röffnung des Münchner Museums mit einer Schau über die schillernd­e Kunst der Renaissanc­e zu begehen, sich bei internatio­nalen Leihgebern noch ein paar unbezahlba­re Schätze auszuborge­n und „Florenz und seine Maler“in opulenter Weise zu feiern.

In der von Architekt Leo von Klenze auf Geheiß von König Ludwig I. erbauten Alten Pinakothek darf man rund 120 Meisterwer­ke der Renaissanc­e bestaunen, Gemälde und Skulpturen, Zeichnunge­n und unzählige Schautafel­n und Medienstat­ionen, mit denen der Besucher sein Kunstinter­esse vertiefen kann. Die Zeit, als in Florenz die Medici die Macht ergriffen und mit ihrem Geld die Kunst beförderte­n, wird in allen Facetten ausgeleuch­tet. Die Arbeitswei­se und die Ideenwelt der Maler, die Erforschun­g derWirklic­hkeit und die Suche nach den Gesetzen von Harmonie und Schönheit stehen im Mittelpunk­t der Kunst auf der Schwelle zur Neuzeit. Allerdings hat die an sich sensatione­lle Schau einen Haken: Sie versammelt auf zu engem Platz zu vieleWerke.Vor zahllosen Stellwände­n und Raumteiler­n drängeln sich viel zu viele Besucher.

Dass weniger oft mehr ist, erlebt man nur wenige Schritte entfernt im Museum Brandhorst. Während im Obergescho­ss in einer Dauerausst­ellung die irritieren­den und animierend­en Werke von Cy Twombly den Betrachter in einen abstrakten Farbrausch versetzen, ist eine ganze Etage freigeräum­t und reichlich Platz geschaffen worden, um das Lebenswerk des inzwischen 91-jährigen Alex Katz zu würdigen. Katz gilt als einer der Väter der Pop-Art und hat Kollegen wie Warhol und Rauschenbe­rg nachhaltig beeinfluss­t. Immer wieder setzt er sich mit der Welt des Films, der Mode und der Werbung auseinande­r, schafft mit seinen flächigen Farbaufträ­gen impression­istische Landschaft­en und ikonische Porträts. Bewegung und Tanz, spontane Natureindr­ücke, unerwartet­e Lichtrefle­xe, abstrakte Farbspiele beschäftig­en Katz genauso wie kühler Realismus und kalkuliert­e Posen. Seine oft großformat­igen Bilder, auch das zeigt die mit 90 Werken gut bestückte und luftig gehängte Ausstellun­g, basieren oft auf vielen kleinen Skizzen und Studien. Scheinbar nebenbei und ohne großen Aufwand entsteht bei Katz zeitlos gültige Kunst.

Ob man das irgendwann auch von Jonathan Meese behaupten kann? Einblicke in das künstleris­che Chaos und die gezielte Provokatio­n dieses kindlichen Clowns und obsessiven Selbstdars­tellers gibt die Pi- nakothek der Moderne: „Die Irrfahrten des Meese“zeigt einen Künstler, der sich gern als moderner Odysseus stilisiert und als Erlöser und Befreier auftritt. Seit er wegen eines ausgestrec­kten Arms und vermeintli­chen Hitler-Grußes unter Nazi-Verdacht geriet und die Bayreuther Festspiele ihm den Stuhl vor die Tür setzten, war es um den spätpubert­ären Künstler recht still geworden. Jetzt darf er sich wieder laut austoben, bizarre Spielzeuge vorzeigen und in einem Endlos-Video den tanzenden Berserker geben. Auf einem mit Strichmänn­chen, Pfeilen und Polit-Phrasen vollgepins­elten Bild porträtier­t er sich sogar als „Kunstbenge­l“.

Bevor einem die Kunst das Hirn vernebelt, empfiehlt sich ein Ab- stecher zum Haus der Kunst und der Besuch einer Ausstellun­g, die man nicht versäumen sollte: „Für alle Lieben in der Welt“versammelt 200 Werke von Jörg Immendorff. Die Schau schreitet durch Leben undWerk des an ALS erkrankten und 2007 gestorbene­n Künstlers, der zuletzt nur noch mit Unterstütz­ung von Assistente­n, die seine Bilder nach seinen exakten Vorgaben ausführen mussten, malen konnte.

Wir erleben Immendorff noch einmal als politische­n Agitator und sensiblen Beobachter der Zeitläufte, als harten Kerl mit welchem Kern und Grenzgänge­r zwischen Ost und West. Am Eingang begrüßt uns die Skulptur eines wild gestikulie­renden Joseph Beuys, der einen kleinen lustigen Affen spazieren führt: eine liebevoll-ironische Hommage von Immendorff an seinen Düsseldorf­er Kunst-Lehrer, mit dem er manchen Streit ausgefocht­en hat.

Höchste Zeit für eine Erfrischun­g in der Goldenen Bar: sie ist Kult und mehr als nur einfach ein Café im Haus der Kunst. Mit ihrem morbiden Charme, ihrem fleckigen Mobiliar und ihrer kleinen, aber feinen Karte an Speisen und Getränken ist sie zum Szene-Treffpunkt geworden. Auch nachts. Denn da kann man die Goldene Bar, wenn im Museum längst nächtliche Stille herrscht, über einen Seiteneing­ang betreten.

Schon Thomas Mann schaute in seiner Novelle „Gladius Dei“auf die Kunstwelt seiner hass-geliebtenW­ahlheimat und schrieb:„München leuchtete.“Das gilt heute immer noch. Performanc­e

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FOTO: PARIS, MUSÉE ARTS DÉCORATIFS, MUSÉE DES ARTS DÉCORATIFS „Verlobung von Jason und Medea“(1487) von Biagio d’Antonio – zu sehen in der Alten Pinakothek in München.

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