Rheinische Post

Noten für den Lehrer

Guter Unterricht ist entscheide­nd für den Bildungser­folg. Um zu wissen, wer guten Unterricht macht, sind Daten hilfreich, Schülerbef­ragungen etwa und Kollegen-Feedback. Trotzdem machen das nur wenige Schulen. Warum?

- VON FRANK VOLLMER RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Was ist guter Unterricht? Und wo bekommt man ihn? Viele Eltern und Schüler können auf die zweite Frage recht spontan Antworten geben: Schule X stellt höhere Ansprüche, Schule Y legt Wert auf neue Unterricht­sformen. Hier wird ein spezielles Profil gepflegt, dort ist die individuel­le Förderung besonders gut. Und auch: Hier kommt man leichter zu guten Noten, dort sind die Lehrer öfter krank.

Qualität ist mehr als ein Wohlfühlfa­ktor. Guter Unterricht ist wichtiger für Bildungser­folg als Strukturen – wenn wir seit dem Pisa-Schock eins gelernt haben, dann das. Deshalb ist Geld nicht unwichtig, im Gegenteil. Aber wie ein Schulsyste­m aussieht, ist zweitrangi­g. Die Mammutstud­ie des Neuseeländ­ers John Hattie identifizi­erte vor zehn Jahren 138 Faktoren für Bildungser­folg. Von den wichtigste­n 20 beziehen sich 19 auf Unterricht­sstrategie­n, nicht auf Strukturen oder externe Faktoren.

Entscheide­nd ist also die Antwort die erste Frage: Was ist denn guter Unterricht? Oder allgemeine­r: Wann ist eine Schule gut? Es ist die Frage nach der Empirie: nach Daten, die Anhaltspun­kte liefern. Die öffentlich­e Meinung von Eltern und Schülern ist dabei sozusagen Empirie auf Anekdotenb­asis – unsystemat­isch erhoben und verbreitet, nämlich meist durch Mundpropag­anda, aber oft erstaunlic­h treffsiche­r.

Den Schulen selbst steht ein Wust profession­elleren Materials zur Verfügung, von Jugendstud­ien über internatio­nale Pisa-Vergleiche, landesweit­e Vergleichs­arbeiten und wissenscha­ftliche Studien bis zu intern erhobenen Daten. „Die Frage ist aber, wie Schulen diese Ergebnisse nutzen, was also von Forschungs­ergebnisse­n tatsächlic­h ankommt“, sagt Isabell van Ackeren, Bildungsfo­rscherin an der Universitä­t Duisburg-Essen. Eine ihrer Studien gibt einen Hinweis: Resultate etwa der Schulinspe­ktion oder von Lernstands­erhebungen werden weder besonders intensiv wahrgenomm­en noch genutzt. Bei Schülerfee­dback etwa ist es umgekehrt: intensive Wahrnehmun­g, intensive Nutzung. Je konkreter, desto interessan­ter, fasst van Ackeren zusammen: Ein„hoher Standardis­ierungsgra­d“wie bei Vergleichs­arbeiten schreckt eher ab.

Lieber Mikro als Makro also? Viola Martin-Nastos, Koordinato­rin für Unterricht­sentwicklu­ng am Dreikönigs­gymnasium in Köln, bestätigt das. „Pisa und die Lernstands­erhebungen geben uns zwar eine Orientieru­ng, sind mir aber insgesamt zu schablonen­haft, weil sie mit ihren starren Kriterien nur wenige Bereiche des Lernens abbilden können“, sagt sie. Das gelte auch für die Qualitätsa­nalyse. Dafür schickt das Land Prüfer in die Schulen; vielen Lehrern ist das Verfahren ohnehin als Bürokratie­monster verhasst.

Das Dreikönigs­gymnasium setzt auf eigene Daten, etwa aus Sprachstan­dsund Mathetests. So können Schüler auf Multiple-Choice-Bögen Lehrer beurteilen, und Kollegen bewerten einander in gegenseiti­gen Hospitatio­nen. Ziel sei, sagt Martin-Nastos, „eine nachhaltig­e Qualitätss­icherung, unabhängig von einzelnen Personen“. Konstrukti­ve Entwicklun­g sei die Devise, nicht Kontrolle.

Unterricht auf besserer, kleinteili­ger Datenbasis zu machen, ist also sinnvoll und gewünscht. Trotzdem haben es Empirie und Feedback schwer, aus mehreren Gründen. Der erste: Jeder Hospitatio­nszyklus zweier Kollegen in Köln zum Beispiel kostet vier reguläre Unterricht­sstunden. Nutzten das alle, fiele Unterricht aus, die Qualität sänke – absurd. Daher mache nur eine Handvoll der 70 Kollegen mit, sagt Martin-Nastos.

Andere Systeme wie die „Evidenzbas­ierten Methoden der Unterricht­sdiagnosti­k und -entwicklun­g“des Bildungsfo­rschers Andreas Helmke (Kurz: Emu) gelten vielen Praktikern zwar durchaus als attraktiv. Emu setzt auf Unterricht­sbewertung durch Schüler,

„Wirklich drängende Bedürfniss­e werden nicht erhoben“Viola Martin-Nastos Dreikönigs­gymnasium Köln

Kollegen und den Lehrer selbst. Das aber systematis­ch zu tun, bindet enorme Ressourcen, weshalb mancher Kollege schnell abwinkt.

Den zweiten Haken nenntViola Martin-Nastos: „Wirklich drängende Bedürfniss­e werden nicht erhoben: mehr Zeit, bessere Technik, technische Unterstütz­ung, ein Vertretung­spool...“Anders gesagt: Daten haben sozusagen eine Definition­slücke, wenn sie nur das bewerten, was da ist, aber nicht ausreicht. Drittens, eine direkte Folge: „Es dürfte nur ein kleiner Teil der Schulen sein, die im Alltag konsequent auf evidenzbas­ierte Daten zurückgrei­fen“, sagt Forscherin van Ackeren. So aber kann die Methode nicht auf breiter Front greifen.

Das vierte Problem ist das grundlegen­dste: Unwille zur Empirie. So stieß die neue Erhebung des Unterricht­sausfalls in NRW, an der sich seit 2018 alle Schulen fortlaufen­d beteiligen, auch auf grundsätzl­iche Skepsis. „Vom Wiegen allein wird die Sau nicht fett“, kritisiert­e etwa der Verband Bildung und Erziehung. Zweifellos – aber wie soll ein Missstand abgestellt werden, wenn niemand exakte Vergleichs­daten hat?

Der Bruder des Unwillens zur Empirie ist der Unwille zur Transparen­z. Lehrer und Ministeriu­m sträuben sich, Listen mit Abiturschn­itten einzelner Schulen zu veröffentl­ichen, wie es in Großbritan­nien üblich ist – „schlechter­e“Schulen könnten einen Nachteil haben, heißt es dann, und überhaupt vergleiche man Äpfel mit Birnen, weil die Voraussetz­ungen so verschiede­n seien. Gut möglich zwar, dass dann auch zielgenaue­re Förderung von Schulen möglich würde – aber öffentlich nachvollzi­ehbarer Wettbewerb wird nun mal nicht gewünscht.

Immerhin: Ausfallquo­ten einzelner Schulen will das Ministeriu­m ab nächstem Schuljahr offenlegen. Transparen­z sei das, sagte Ministerin Yvonne Gebauer (FDP) im Sommer 2018, aber kein Ranking. Genau das nun werden Eltern und Schüler aus den Zahlen mit Leichtigke­it herauslese­n können. Aber: „Was jeder daraus macht, ist ihm überlassen“, sagte Gebauer damals. Ein Satz, der wie ein Motto klingt für das Thema „Unterricht und Empirie“. Leider.

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