„Die Klimakrise wartet nicht“
Die Grünen-Chefin spricht über Reformen bei der Deutschen Bahn, den Kohleausstieg und erklärt, warum sie einen Diesel-Fonds will.
Frau Baerbock, die Diskussion um Grenzwerte reißt nicht ab. Sind weitere Diesel-Fahrverbote in deutschen Großstädten noch zu verhindern?
BAERBOCK Niemand will einfach so Fahrverbote. Und sie könnten vermieden werden, wenn der Bundesverkehrsminister endlich dafür sorgen würde, ältere Diesel-Pkw mit entsprechenden Reinigungskatalysatoren nachzurüsten. Aber zu solchen Hardwarenachrüstungen hat der Verkehrsminister die Autoindustrie, die durch ihren Betrug das Problem ja mitverursacht hat, bisher nicht gebracht. Daher mussten Fahrverbote an manchen Straßen nun leider gerichtlich angeordnet werden, um die Gesundheit der dort lebenden Menschen zu schützen. Und ich möchte deutlich sagen: Es ist eine große Errungenschaft in Europa, dass es ein Recht auf saubere Luft in unseren Städten gibt, und zwar für alle Menschen, also auch für die, die an vollen, stickigen Straßen wohnen, genauso wie für Kranke und Kinder. Da ist der Staat im Sinne des Vorsorgeprinzips in der Pflicht.
Die Hardwarenachrüstung älterer Diesel soll aber kommen, allerdings nicht vor 2020.
BAERBOCK Ja, und das ist zu spät, wie Menschen in etlichen deutschen Städten gerade erleben müssen. Zudem hat die Bundesregierung jetzt überhaupt erst mal ja nur die Rechtsgrundlage für die Hardwarenachrüstungen geschaffen. Dass die Automobilhersteller dabei dann auch wirklich mitmachen und vor allem auch dafür bezahlen – das ist nach wie vor offen. Für mich ist klar: Die Autokonzerne, die betrogen haben, müssen zahlen.
Wie soll das aussehen? BAERBOCK Wenn der Verkehrsminister die Hersteller nicht zu Hardwarenachrüstungen verpflichten will, dann muss er dafür sorgen, dass sie in einen Ausgleichsfonds einzahlen, aus dem die Hardwarenachrüstungen von manipulierten Dieseln bezahlt werden. Es ist doch so: Hunderttausende Menschen haben sich im guten Glauben einen Diesel gekauft, stellten dann aber fest, dass sie vom Hersteller betrogen worden sind. Jetzt müssen sie Angst haben, dass sie nicht mehr zur Nachtschicht bei der Arbeit kommen, weil es Fahrverbote gibt. Das ist ungerecht.
Welche Summe haben Sie für den Fonds vor Augen? BAERBOCK Das Volumen richtet sich nach den Städten mit Fahrverboten und der dortigen Anzahl betroffener Diesel-Pkw. Daher wäre es ja schon mal ein erster Schritt gewesen, wenn die 1,8 Milliarden Euro, die VW und seine Tochter Audi an Niedersachen und Bayern gezahlt haben, nicht den zwei Standortländern zugutegekommen wären, sondern den betroffenen Menschen in den besonders belasteten Städten.
Der Verkehrsminister hat zum dritten Bahn-Krisengipfel geladen. Sind unpünktliche Züge und überfüllte Waggons bald Vergangenheit? BAERBOCK Ich fahre selbst täglich in einem dieser überfüllten Pendlerzüge von Potsdam nach Berlin. Man kommt sich manchmal vor wie in einer Sardinenbüchse. Auf solchen Strecken brauchst zu den Stoßzeiten mehr Züge in höherer Taktung. Andernorts überhaupt einen Bahnhof. Bei den ICE weniger Ausfälle und eine Rückkehr des Nachtzugs. Kurzum: Die Bahn muss rundum reformiert werden und um das bezahlbar zu halten, sollte sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.
Wie stellen Sie sich eine Reform vor?
BAERBOCK Bezahlbare und klimafreundliche Mobilität für alle Menschen im Land gehört für mich zur staatlichen Daseinsvorsorge im 21. Jahrhundert. Daher sollte als Ziel dieses staatlichen Konzerns eben nicht nur die reine Wirtschaftlichkeit in Form von Kapitalrendite stehen, sondern ebenso die staatliche Mobilitätsgarantie und die Nachhaltigkeit verankert sein. Um das riesengroße Haushaltsloch zu schließen, müssen zuerst die Konzerntöchter Schenker und Arriva verkauft werden. Netz und Betrieb gehören getrennt, um die Trassenpreise gerade auch im Vergleich zur Straße in den Griff zu bekommen.
Die Grünen wollten immer den Kohleausstieg bis 2030. Haben Sie sich nach den Beschlüssen der Kohlekommission davon verabschiedet?
BAERBOCK Das Datum haben wir ja nicht gewürfelt, sondern es orientiert sich an den Pariser Klimazielen. Und um nicht das nächste Klimaziel zu brechen, müssen wir Anfang der 30er aus der Kohleverstromung raus sein. Je später es beim Kohleausstieg wird, desto mehr müssen andere Sektoren wie der Verkehr oder die Landwirtschaft liefern.
Danach sieht es aber derzeit nicht
aus.
BAERBOCK Und das ist fatal. Die Klimakrise wartet nicht, bis die Bundesregierung endlich in die Puschen kommt. Das haben wir im letzten Heißsommer auf unseren vertrockneten Feldern erlebt und das erleben die Menschen in Bangladesch ständig. Deswegen brauchen wir dringend ein Klimaschutzgesetz für alle Bereiche. Je später wir handeln desto schwieriger und teurer wird es.
Sehen Sie noch Chancen, das Klimaziel 2030 zu erreichen? BAERBOCK Es geht hier nicht um ein Wünsch-Dir-Was, sondern um die Umsetzung des Pariser Klimaschutzvertrages. Daher ist das keine Frage des Ob, sondern des Wie. Der Kohleausstieg ist erst der Anfang. Der Verkehr muss folgen und es braucht eine andere Landwirtschaft. Das ist nicht nur gut fürs Klima, sondern heißt auch mehr Platz für Tiere im Stall und vor allem auf der Weide, weniger Gift auf unseren Feldern. Mehr regionale Produkte.
Welche Chancen räumen Sie dem Hambacher Forst noch ein? BAERBOCK Ich habe alle Beteiligten in Politik und Wirtschaft so verstanden, dass die Eckpunkte der Kommission für sie gelten. Demnach wird die Kohle unter dem HambacherWald nicht mehr gebraucht. So ist es vereinbart.
Sie bestehen auf dem Erhalt? BAERBOCK Natürlich! Der Hambacher Wald muss bleiben. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist dafür zuständig, und daran wird er von den Menschen, gerade von den vielen Schülerinnen und Schülern, die für ihre Zukunft demonstrieren, gemessen.