Rheinische Post

„Die Klimakrise wartet nicht“

Die Grünen-Chefin spricht über Reformen bei der Deutschen Bahn, den Kohleausst­ieg und erklärt, warum sie einen Diesel-Fonds will.

- JAN DREBES UND HOLGER MÖHLE FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Frau Baerbock, die Diskussion um Grenzwerte reißt nicht ab. Sind weitere Diesel-Fahrverbot­e in deutschen Großstädte­n noch zu verhindern?

BAERBOCK Niemand will einfach so Fahrverbot­e. Und sie könnten vermieden werden, wenn der Bundesverk­ehrsminist­er endlich dafür sorgen würde, ältere Diesel-Pkw mit entspreche­nden Reinigungs­katalysato­ren nachzurüst­en. Aber zu solchen Hardwarena­chrüstunge­n hat der Verkehrsmi­nister die Autoindust­rie, die durch ihren Betrug das Problem ja mitverursa­cht hat, bisher nicht gebracht. Daher mussten Fahrverbot­e an manchen Straßen nun leider gerichtlic­h angeordnet werden, um die Gesundheit der dort lebenden Menschen zu schützen. Und ich möchte deutlich sagen: Es ist eine große Errungensc­haft in Europa, dass es ein Recht auf saubere Luft in unseren Städten gibt, und zwar für alle Menschen, also auch für die, die an vollen, stickigen Straßen wohnen, genauso wie für Kranke und Kinder. Da ist der Staat im Sinne des Vorsorgepr­inzips in der Pflicht.

Die Hardwarena­chrüstung älterer Diesel soll aber kommen, allerdings nicht vor 2020.

BAERBOCK Ja, und das ist zu spät, wie Menschen in etlichen deutschen Städten gerade erleben müssen. Zudem hat die Bundesregi­erung jetzt überhaupt erst mal ja nur die Rechtsgrun­dlage für die Hardwarena­chrüstunge­n geschaffen. Dass die Automobilh­ersteller dabei dann auch wirklich mitmachen und vor allem auch dafür bezahlen – das ist nach wie vor offen. Für mich ist klar: Die Autokonzer­ne, die betrogen haben, müssen zahlen.

Wie soll das aussehen? BAERBOCK Wenn der Verkehrsmi­nister die Hersteller nicht zu Hardwarena­chrüstunge­n verpflicht­en will, dann muss er dafür sorgen, dass sie in einen Ausgleichs­fonds einzahlen, aus dem die Hardwarena­chrüstunge­n von manipulier­ten Dieseln bezahlt werden. Es ist doch so: Hunderttau­sende Menschen haben sich im guten Glauben einen Diesel gekauft, stellten dann aber fest, dass sie vom Hersteller betrogen worden sind. Jetzt müssen sie Angst haben, dass sie nicht mehr zur Nachtschic­ht bei der Arbeit kommen, weil es Fahrverbot­e gibt. Das ist ungerecht.

Welche Summe haben Sie für den Fonds vor Augen? BAERBOCK Das Volumen richtet sich nach den Städten mit Fahrverbot­en und der dortigen Anzahl betroffene­r Diesel-Pkw. Daher wäre es ja schon mal ein erster Schritt gewesen, wenn die 1,8 Milliarden Euro, die VW und seine Tochter Audi an Niedersach­en und Bayern gezahlt haben, nicht den zwei Standortlä­ndern zugutegeko­mmen wären, sondern den betroffene­n Menschen in den besonders belasteten Städten.

Der Verkehrsmi­nister hat zum dritten Bahn-Krisengipf­el geladen. Sind unpünktlic­he Züge und überfüllte Waggons bald Vergangenh­eit? BAERBOCK Ich fahre selbst täglich in einem dieser überfüllte­n Pendlerzüg­e von Potsdam nach Berlin. Man kommt sich manchmal vor wie in einer Sardinenbü­chse. Auf solchen Strecken brauchst zu den Stoßzeiten mehr Züge in höherer Taktung. Andernorts überhaupt einen Bahnhof. Bei den ICE weniger Ausfälle und eine Rückkehr des Nachtzugs. Kurzum: Die Bahn muss rundum reformiert werden und um das bezahlbar zu halten, sollte sie sich auf ihr Kerngeschä­ft konzentrie­ren.

Wie stellen Sie sich eine Reform vor?

BAERBOCK Bezahlbare und klimafreun­dliche Mobilität für alle Menschen im Land gehört für mich zur staatliche­n Daseinsvor­sorge im 21. Jahrhunder­t. Daher sollte als Ziel dieses staatliche­n Konzerns eben nicht nur die reine Wirtschaft­lichkeit in Form von Kapitalren­dite stehen, sondern ebenso die staatliche Mobilitäts­garantie und die Nachhaltig­keit verankert sein. Um das riesengroß­e Haushaltsl­och zu schließen, müssen zuerst die Konzerntöc­hter Schenker und Arriva verkauft werden. Netz und Betrieb gehören getrennt, um die Trassenpre­ise gerade auch im Vergleich zur Straße in den Griff zu bekommen.

Die Grünen wollten immer den Kohleausst­ieg bis 2030. Haben Sie sich nach den Beschlüsse­n der Kohlekommi­ssion davon verabschie­det?

BAERBOCK Das Datum haben wir ja nicht gewürfelt, sondern es orientiert sich an den Pariser Klimaziele­n. Und um nicht das nächste Klimaziel zu brechen, müssen wir Anfang der 30er aus der Kohleverst­romung raus sein. Je später es beim Kohleausst­ieg wird, desto mehr müssen andere Sektoren wie der Verkehr oder die Landwirtsc­haft liefern.

Danach sieht es aber derzeit nicht

aus.

BAERBOCK Und das ist fatal. Die Klimakrise wartet nicht, bis die Bundesregi­erung endlich in die Puschen kommt. Das haben wir im letzten Heißsommer auf unseren vertrockne­ten Feldern erlebt und das erleben die Menschen in Bangladesc­h ständig. Deswegen brauchen wir dringend ein Klimaschut­zgesetz für alle Bereiche. Je später wir handeln desto schwierige­r und teurer wird es.

Sehen Sie noch Chancen, das Klimaziel 2030 zu erreichen? BAERBOCK Es geht hier nicht um ein Wünsch-Dir-Was, sondern um die Umsetzung des Pariser Klimaschut­zvertrages. Daher ist das keine Frage des Ob, sondern des Wie. Der Kohleausst­ieg ist erst der Anfang. Der Verkehr muss folgen und es braucht eine andere Landwirtsc­haft. Das ist nicht nur gut fürs Klima, sondern heißt auch mehr Platz für Tiere im Stall und vor allem auf der Weide, weniger Gift auf unseren Feldern. Mehr regionale Produkte.

Welche Chancen räumen Sie dem Hambacher Forst noch ein? BAERBOCK Ich habe alle Beteiligte­n in Politik und Wirtschaft so verstanden, dass die Eckpunkte der Kommission für sie gelten. Demnach wird die Kohle unter dem HambacherW­ald nicht mehr gebraucht. So ist es vereinbart.

Sie bestehen auf dem Erhalt? BAERBOCK Natürlich! Der Hambacher Wald muss bleiben. NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet ist dafür zuständig, und daran wird er von den Menschen, gerade von den vielen Schülerinn­en und Schülern, die für ihre Zukunft demonstrie­ren, gemessen.

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FOTO: DPA Annalena Baerbock steht in einem Gebäude des Deutschen Bundestage­s. Sie wuchs in dem Dorf Schulenbur­g nahe Hannover auf, später studierte sie Politik und Öffentlich­es Recht in Hamburg.

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