Rheinische Post

Bohlens Revier

Dieter Bohlen wird am Donnerstag 65, doch an Ruhestand ist beim „Pop-Titan“und BerufsChau­vinisten nicht zu denken. Im Fernsehen ist er allgegenwä­rtig.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Schnuckelh­ase, du siehst echt süß aus, aber deine Stimme klingt wie Kuhmist. Was hast du gelernt? Ah, Hairstylis­tin. Was willst du werden? Superstar? Bleib bei den Haaren!

So ungefähr hört es sich an, wenn der„Pop-Titan“junge Damen in die Wüste oder zurück in den Friseursal­on schickt. Seine Urteile in der RTLShow „Deutschlan­d sucht den Superstar“lassen es an Eindeutigk­eit nicht mangeln, manchmal sind es Sekunden der Grausamkei­t, in denen junge Lebensentw­ürfe versenkt werden. Die Drastik, mit der dieser Mann gegen einen Menschen und seine Stimme votiert, hat oft etwas Erniedrige­ndes, Verachtend­es, aber er selbst würde den Vorwurf, er skalpiere Talente ohne Narkose, weit von sich weisen. Er sagt: Diese jungen Leute hier wollen unbedingt hoch hinaus, da müssen sie auch herbe Kritik aushalten – und manchmal sind sie mit ihrem Wunschdenk­en tatsächlic­h nicht klar bei Verstand, dann muss einer das Fallbeil holen. Bohlens Job.

Für die wahren Begabten, die er selbst fast schon anhimmelt („Booah, deine Stimme ist absolut mega!“), ist er hingegen der Promoter, der liebevolle Tippgeber, der Übervater, an Talente kann er mit unerhörter Hingabe glauben und ihnen die entscheide­nden Ratschläge erteilen: Zieh dir mal etwas anderes an, Schnuckelh­ase, dieses Röckchen ist so was von daneben!

Schnuckelh­ase – das ist ein Lieblingsw­ort von Dieter Bohlen, und wenn er dabei lacht, ist es, als bewundere er sich für die sexistisch­e Dreistigke­it seiner Wortwahl und die Tatsache, dass keiner sonst sich einen solchen Jargon im Fernsehen herausnimm­t. Und in diesem Au

genblick paradiert in seinem Mund ein ganzes Bataillon von Zähnen. Sie blecken Frohsinn, Aggressivi­tät und Lebenslust in die Welt. Mit sehr viel Mühe und ebenso vielen Frauen hat er sich fit gehalten und trägt auch die entspreche­nden Klamotten. Fast gewaltsam wirkt er auf jugendlich trainiert – dabei wird dieser Mann jetzt 65 Jahre alt. Den kommenden Donnerstag, an dem sich sein Eintritt ins Rentenalte­r vollzieht, wird er gewiss hassen, aber sich diesen Hass nicht anmerken lassen. Er wird ihn weglachen mit diesem Gebiss, das ein wenig ins Gesicht gemeißelt scheint.

Es gibt viele Feinde und Neider, die dem Bohlen gerne eins auswischen würden. Anderersei­ts, wenn man ihn in der Jury von „Deutschlan­d sucht den Superstar“erlebt, dann kann man nicht anders: Man darf ihn nämlich auch schätzen für die guillotinö­se Gerechtigk­eit, mit welcher er seinen Laden sauber hält. Es wollen ja viele groß hinaus, und es bedarf eines Scharfrich­ters wie Bohlen, damit nicht jeder die nächste Stufe erklimmt; in diesem Format heißt sie „Recall“.

Dieter Bohlen und sein Sender haben neulich gesagt, dass es in diesem Jahr die beste „DSDS“-Jury aller Zeiten gebe. Das ist nur vordergrün­dig eine Klatsche für alle Vorgänger-Jurys, er meint es nämlich gar nicht so. Er befindet sich halt in diesem unaufhalts­amen Optimierun­gs-Hamsterrad des Privatfern­sehens, in dem alles von Jahr zu Jahr besser, schneller, geiler sein muss als je zuvor.

Wenn man nur auf die Anwesenhei­t von Xavier Naidoo schaut, so stimmt die Einschätzu­ng von der Qualifikat­ion der Jury. Der Buhmann aus Mannheim ist diesmal handzahm und gibt profunde, fachdienli­che Kommentare, menschenfr­eundlich und aufbauend, er ist sozusagen Bohlens besseres Ich. Zwischen diesen beiden Giganten sitzen ein Schutzbefo­hlener (Pietro Lombardi, er gewann „DSDS“im Jahr 2011) und ein RTL-Eigengewäc­hs (die „Let’s Dance“-Tänzerin Oana Nechiti).

Nun ja, es ist jedes Jahr dasselbe und sehr vorhersehb­ar, die Sänger werden nicht besser, doch immer ist ein Smaragd darunter, ein Rohdiamant, den Bohlen untrüglich in der Masse der Stimmen identifizi­ert

und schon vom ersten Takt in einen Masterplan einbaut. Der ehemalige Sänger ist ja Diplom-Kaufmann, die Kasse hat er immer im Kopf – und am besten rollt der Rubel, wenn er die Talente, die er entdeckt, auch selbst produziert. Das war von Anfang an seine Vision, auch bei Modern Talking: Kunst schaffen und sofort in die Umlaufbahn der Vermarktun­g beamen. Die Liste der Stars, über die er wachte, die er nährte und betüddelte und mit denen er absahnte, ist lang und reicht von Andrea Berg und Yvonne Catterfeld bis zu den Wildecker Herzbuben. Klar, dass viele der „DSDS“-Gewinner in Onkel Dieters Obhut blieben.

Ach, der Bohlen. Hat er’s richtig gemacht? Könnte sein. Privat scheint der ewige Stenz seit der Verbindung mit Fatma Carina Waltz 2006 in ruhigeren Gewässern zu schippern, er möchte ja das Geld, das er mittlerwei­le verdient hat, auch gepflegt ausgeben. Sein Vermögen hat das Manager Magazin kürzlich auf etwa 250 Millionen Euro geschätzt. Über viele Jahre hat er sein Gesicht in Werbekamer­as gehalten, aktuell spielt er für den Möbeldisco­unter Roller Gitarre auf Küchengerä­ten, und auf Instagram folgen ihm eine Million Abonnenten.

65 Jahre also und von Ruhestand keine Spur, der Mann sitzt immer noch auf heißen Bohlen. Und wenn er in seinem Revier Schnuckelh­asen sieht, haut er sie entweder in die Pfanne – oder er bekommt diesen Blick pubertärer Bewunderun­g, dann steht sein Mund offen, die Augen stieren, und alle Sinne jubeln die berühmtest­e Zeile seines Lebens: You are my heart, you are my soul.

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