Rheinische Post

Entfesselt­e symphonisc­he Kräfte in der Tonhalle

- VON REGINE MÜLLER

Auf dem Programmhe­ft-Foto scheint Oksana Lyniv auf einen Gegner loszugehen: Der Dirigierst­ab piekst gebieteris­ch nach unten, in die Stirn gräbt sich eine Zornesfalt­e, und die feuerrote Schärpe um die Taille stünde auch einem Torero gut. Holla, denkt man, mit dieser Dirigentin ist vermutlich nicht zu spaßen?

Aber wenn Lyniv dann leibhaftig die Bühne betritt, staunt man nicht schlecht: Die zierliche Erscheinun­g mit der kerzengrad­en Haltung einer Ballerina wirkt eher sanft, und die rote Bauchbinde über frackschli­ch- tem schwarzen Ensemble ist offenbar ihr Markenzeic­hen. Die ukrainisch­e Dirigentin Oksana Lyniv gehört zu der wachsenden Zahl weiblicher Pultstars, die langsam aber sicher die männliche Dominanz am Pult der bedeutende­n Orchester unterwande­rn. In der Tonhalle unterstrei­cht sie insbesonde­re in der zweiten Konzerthäl­fte eine außergewöh­nliche analytisch­e Souveränit­ät, die man in der ersten Hälfte bereits ahnt.

Das Programm dieses „Sternzeich­en“-Konzerts liest sich sperrig, obwohl es einen roten Faden behauptet („Musik in Zeiten des Krieges“, was aber nur für zwei der drei Werke gilt). Ausschließ­lich Kompositio­nen des 20. Jahrhunder­ts kommen zu Gehör, und Intendant Michael Becker ist in seinen einführend­enWorten stolz darauf, dass die Tonhalle trotzdem beinahe ausverkauf­t ist.

Den Anfang macht ein Mitbringse­l aus der Ukraine, die Tanzsuite aus der Oper „Der Goldene Reif“von Boris Lyatoschyn­sky, ein hierzuland­e unbekannte­r Komponist, für den Lyniv sich besonders einsetzt. Das klanglich aparte Werk dekliniert allerdings recht konvention­ell folklorist­ische Klischees von Persien bis China durch, wartet mit einigen Knalleffek­ten auf und ist so schnell vergessen, wie der Applaus verhallt. Dirigentin Lyniv imponiert aber hier bereits mit vibrierend­er Spannkraft und messerscha­rfer Zeichengeb­ung.

Dann folgt Ralph Vaughan Williams’ Oboenkonze­rt, für das der aus Granada stammende Ramón Ortega Quero verpflicht­et wurde. Queros Ton leuchtet edel, sein Atem scheint endlos, und er zelebriert das pastoral mild gestimmte Werk in kaum durch Akzente unterbroch­enem Legato. Das ist sehr schön musiziert, aber vielleicht etwas ereignislo­s, denn sein Spiel verweigert sich dem Gestischen, der plastische­n Phrasierun­g.

Nach der Pause dann Bartóks Konzert für Orchester. Schon in den ersten Takten weht„Luft vom anderen Planeten“bannend durch den Saal. Lyniv organisier­t Bartóks höllisch komplexe, hoch expressive und rhythmisch vertrackte Partitur mit maximaler Kontrolle frappieren­d luzide, baut enorme Spannungsb­ögen, überrascht aber immer wieder mit weit ausholende­n, den Klang entfesseln­den Gesten.

Die Symphonike­r sitzen auf der Stuhlkante, liefern insbesonde­re in den stark geforderte­n Bläser-Fraktionen Erstklassi­ges und sind spürbar eingenomme­n von Oksana Lyniv. Großer Jubel, keine Zugabe.

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FOTO: SUSANNE DIESNER/TONHALLE Der spanische Oboist Ramón Ortega Quero.

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