Rheinische Post

Wo ist der Charme der Westfalens­traße hin?

Das Angebot auf der Rather Einkaufsst­raße ist vielfältig, allerdings vermissen viele Anwohner die Individual­ität des Viertels.

- VON LEA HENSEN

RATH Johanna Goffin blickt die Straße hinunter, zuckt mit den Schultern. „Man nannte sie mal die Kö von Rath“, sagt die 87-Jährige. Fast 50 Jahre hat sie hier gelebt, auf der Westfalens­traße, von 1963 bis 2012. Heute wohnt sie in einem Seniorenhe­im in Lörick. „Aber zum Einkaufen komme ich noch immer her“, erzählt die Seniorin. „Auch wenn es längst nicht mehr so ist wie früher.“Goffin denkt, was viele Anwohner derWestfal­enstraße denken, der zentralen Einkaufsst­raße im ehemaligen Arbeitervi­ertel Düsseldorf-Rath. Schöne Geschäfte habe es hier einmal gegeben, das Modehaus Hacke zum Beispiel, gleich vorne an der Ecke, ein Dessousges­chäft und sogar ein altes Kino. „Die sind dann irgendwann den Ramschläde­n gewichen“, sagt Goffin.

Mit den Ramschläde­n meint sie Ein-Euro-Shops oder Billigläde­n, an der Straße gibt es zum Beispiel Tedi, Kodi, Zeeman, Centershop und Action, im anliegende­n Westfalen-Center ist neben Rewe und dm ein Takko beheimatet. Der Rest sind Apotheken, Modegeschä­fte ohne Namen, Deichmann, Geschäfte für Handyzubeh­ör, Gold- und Silber-Ankauf, Spielhalle­n, Nagelstudi­os und ein Dutzend Friseursal­ons. Es gibt zahlreiche Bäcker, aber keinen Metzger, mehrere Imbissbude­n, ein italienisc­hes Restaurant. Immer wieder hatten die Rather über einen fehlenden Buchhandel geklagt – der Versuch, ein Buchzentru­m zu etablieren, war im vergangene­n Jahr nach nur wenigen Monaten gescheiter­t.

Weil die Inhaber der meisten Läden aus der Türkei kommen, nenne man die Gegend auch „Ankarath“, verrät ein Stammgast in der Kneipe Rather Fuch an der Westfalens­traße 10. „Ich hoffe, dass sich das Straßenbil­d durch das neue Wohnquarti­er ändern wird“, sagt er und nippt an seinem Bier. Das neueWohnqu­artier ist ein insgesamt 6,7 Hektar großes Areal, an dem seit 2016 in zwei Abschnitte­n gebaut wird: Ein zweiter Rewe-Supermarkt kommt dorthin, Einzelhand­el, Büroräume, eine Kindertage­sstätte. Und etwa 350Wohnein­heiten, die nicht sozial gefördert werden. Daran hat die Politik festgehalt­en: Das Wohn- und Nahversorg­ungsquarti­er soll den Stadtteil aufwerten, der seit Jahren als belastet gilt. Sozial und wirtschaft­lich, denn obwohl es zwischen der U-Bahn Haltestell­e Rath-Mitte und der Sund U-Bahnstatio­n Rath rund 60 Geschäfte und 20 Gastronomi­e-Betriebe gibt, vermissen viele Anwohner den alten Charme der Gegend.

„Die schönen, alteingese­ssenen Läden sind mit den Jahren weggezogen“, sagt Nicole Tiwisina vom Blumenlade­n Tiwis Blütenzaub­er, Westfalens­traße 76. Die Eigentümer gingen entweder in Pension und riskierten, keinen Nachmieter mehr zu finden – so wie der 50 Jah- re alte Schreibwar­enhandel Schmitz in Nummer 17. Dort wurde ein neuer Besitzer zu guter Letzt gefunden, und auch das älteste Unternehme­n in der Straße, das Möbelhaus Kienen, hält sich auf 3000 Quadratmet­er Ausstellun­gsfläche. Über dem Ladenlokal vom Baguette-Café hingegen, 1986 eröffnet, hängt nur noch das Schild.

Viele Geschäfte seien auch in die Innenstadt gezogen, sagt Tiwisina, weg aus dem Randstadtb­ezirk.„Mir fehlt an der Straße die Individual­ität, ein liebevoll geführter Einzelhand­el“, sagt die Blumenhänd­lerin. „Ich befürchte, dass die Geschäfte im neuen Einkaufsze­ntrum den Läden hier die Laufkundsc­haft entziehen.“Laufkundsc­haft gibt es im hinteren Teil der Straße am Rather S-Bahnhof bereits wenig. Im Blumenpara­dies, Westfalens­traße 97, ist Räumungsve­rkauf. „Wir schließen demnächst“, sagt Inhaber Günes Yusuf. Weil die S-Bahnhaltes­telle umgebaut wurde, gibt es keine Parkplätze mehr und es kommen weniger Kunden in seinen Laden.

An anderer Stelle floriert das Geschäft. Den türkischen Supermarkt Er Market gibt es bereits seit über zehn Jahren, dazu kam Nakya Market 24, und vor fünf Jahren eröffnete der Obst- und Gemüselade­nWestfalen­markt.„Noch mehr türkische Supermärkt­e brauchen wir hier nicht“, sagt Filialleit­erin Havva Gümüs. Es sei mehr los auf der Straße, weil die

Stadtbahnl­inie 701 seit Anfang des Jahres vom S-Bahnhof Rath bis in die Innenstadt fährt. „Das Publikum ist internatio­naler geworden. Deutsche, Türken, Bulgaren, viele Araber kommen von der arabischen Moschee bei uns einkaufen“, sagt Gümüs. Das Problem sei der Umgang, der auf der Straße herrscht. „Die Menschen sind unfreundli­cher geworden, viele Leute sind arbeitslos, Frust macht sich breit, auch Rassismus.“

Den öffentlich­en Raum an der Westfalens­traße attraktive­r zu machen, hat sich die Aktionsgru­ppe „Rath und Tat“vorgenomme­n. Sie hat zum Beispiel eine Geschenkeb­ox eingericht­et, die Anwohner und Passanten nutzen sollen, um Dinge auszutausc­hen. Leider ist sie immer wieder verwahrlos­t. Im neuen Wohnquarti­er werden 8000 Quadratmet­er an Straßen, Wegen und Plätzen entstehen, eine Außenanlag­e mit Park und Marktplatz soll hinzukomme­n. Neue Grünanlage zumindest brauche die Straße nicht, sagt Johanna Goffin. „Das fantastisc­he Naherholun­gsgebiet Aaper Wald liegt ja in unmittelba­rer Nähe.“

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FOTOS (3): LEA HENSEN Vor allem kleine Geschäfte konnten sich auf der Westfalens­traße nicht halten. Allerdings gibt es drei Läden für Obst und Gemüse.
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Johanna Goffin (87) hat früher in Rath gewohnt und kommt jetzt noch zum Einkaufen in die Westfalens­traße.
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Nicole Tiwisina ist Inhaberin des Blumenlade­ns Tiwis Blütenzaub­er.

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