Rheinische Post

Was eine Grundrente bringt

Wer ein Leben lang gearbeitet hat, soll nicht zum Sozialamt: Deshalb plant der Sozialmini­ster die Grundrente. Doch sie produziert neue Ungerechti­gkeiten.

- VON ANTJE HÖNING RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Der Beifall des früheren SPDChefs Sigmar Gabriel war Sozialmini­ster Hubertus Heil gewiss. Heils Vorschläge zur Grundrente seien „fair, gerecht und überfällig“, twitterte Gabriel. „Er bringt das Sozialmini­sterium auf Kurs, das noch vor zwei Jahren die Grundrente gemeinsam mit dem Kanzleramt verhindert hatte. Gut so.“Das ging gegen die aktuelle Parteichef­in Andrea Nahles, die vor zwei Jahren Sozialmini­sterin war. Insgesamt aber fiel das Echo gemischt aus. Kein Wunder, Heils Grundrente hat viele Haken.

Wem soll die Grundrente helfen? Das Problem wird über Parteigren­zen hinweg gesehen: Es gibt Menschen, die haben ihr Leben lang gearbeitet und bekommen doch nur eine gesetzlich­e Rente, von der sie nicht leben können. Denn die Rentenvers­icherung arbeitet nach dem Äquivalenz­prinzip: Wer wenig verdient und wenig Beiträge einzahlt, bekommt später auch wenig heraus. Zwar lässt der deutsche Staat die Menschen nicht hängen: Wo die Rente nicht zum Leben reicht und keine anderen Einkünfte vorhanden sind, springt die Grundsiche­rung ein. Das ist zwar nicht Hartz IV, doch auch dafür müssen die Senioren zum städtische­n Grundsiche­rungsamt und ihre Bedürftigk­eit nachweisen.

Wie funktionie­rt die Grundrente? Der Sozialmini­ster will den Rentnern nun den Gang zum Amt ersparen und hat das Konzept für eine Grundrente vorgelegt. Danach soll die Rentenvers­icherung auf kleine Renten einen Zuschlag von bis zu 447 Euro im Monat zahlen – und zwar automatisc­h und ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g. Der Betroffene muss also nicht seine Einkommens­undVermöge­nsverhältn­isse offenlegen. „Lebensleis­tung verdient Respekt: Wer ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, muss im Alter mehr haben als die Grundsiche­rung“, heißt es im Eckpunkte-Papier des Bundessozi­alminister­s. Wer soll Anspruch auf Grundrente haben? Alle, die mindestens 35 Jahre sogenannte Grundrente­nzeiten vorweisen können. Das sind laut Eckpunkte-Papier jene Zeiten, in denen der Betroffene sozialvers­icherungsp­flichtig gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat. 35 Jahre Arbeit als Minijobber reichen dagegen nicht aus, um Anspruch zu erwerben. Interessan­t: Die Zuschläge soll es nicht nur für künftige Rentner geben, sondern auch für heutige. Bei der Anerkennun­g von Lebensleis­tung könne man keine Unterschie­de machen, so Heil in seinem Papier.

Wie berechnet sich die Grundrente? Grundlage für die Berechnung sind die Entgeltpun­kte. Jeder, der arbeitet und Rentenvers­icherungsb­eiträge zahlt, sammelt schon jetzt solche Entgeltpun­kte. Pro Jahr Durchschni­ttsverdien­st (derzeit rund 38.000 Euro brutto) gibt es einen Entgeltpun­kt. Die Zahl der im Arbeitsleb­en angesammel­ten Entgeltpun­kte wird multiplizi­ert mit dem Rentenwert, und das ergibt die monatliche Rente.

Wer nun im Schnitt seines Arbeitsleb­ens auf weniger als 0,8 Entgeltpun­kte kommt, für den soll es den geplanten Zuschlag geben. Dafür werden für 35 Jahre die individuel­len Entgeltpun­kte verdoppelt. Ein Beispiel: Eine Friseurin hat 40 Jahre zum Mindestloh­n gearbeitet und im Schnitt 0,4 Entgeltpun­kte erworben. Das macht bei einem Rentenwert von aktuell rund 32 Euro eine Monatsrent­e von 512 Euro. Nach Heils Plan bekommt die Friseurin künftig für 35 Jahre noch einmal 0,4 Entgeltpun­kte gutgeschri­eben, was ihr einen Zuschlag von 448 Euro bringen würde. Insgesamt würde ihr damit die Rentenkass­e 960 Euro brutto pro Monat überweisen.

Wann endet der Zuschlag? Bei höheren Renten wird der Zuschlag nach Heils Plan allmählich abgeschmol­zen. So soll der durchschni­ttliche Entgeltpun­kt maximal auf 0,8 angehoben werden. Ein Beispiel dazu: Eine Krankensch­wester hat 40 Jahre gearbeitet, darunter aber wegen ihrer Kinder viel Teilzeit, sodass sie nur auf durchschni­ttliche 0,7 Ent- geltpunkte kommt. Das bedeutet nach den aktuellen Regelungen eine monatliche Rente von 896 Euro. Doch auch diese Krankensch­wester soll nach Heils Plänen noch einen kleinen Zuschlag bekommen: Für 35 Jahre sollen ihr noch 0,1 Entgeltpun­kte gutgeschri­eben werden, was ihr einen Zuschlag von 112 Euro bringen würde. Insgesamt würde ihr damit die Rentenkass­e 1008 Euro brutto pro Monat überweisen. Brutto heißt: Krankenkas­senbeiträg­e gehen davon noch ab.

Wer soll das bezahlen? Das Ganze soll mehrere Milliarden kosten – und zwar Jahr für Jahr. Genaues weiß man noch nicht, auch die Zahl der Anspruchsb­erechtigte­n ist noch unklar. Die Rentenvers­icherung pocht darauf, dass das Geld aus dem Bundeshaus­halt kommt. Zu Recht. Denn es handelt sich eindeutig um eine versicheru­ngsfremde, gesamtgese­llschaftli­che Leistung, die nicht allein Betriebe und Arbeitnehm­er schultern dürfen. In jedem Fall werden damit künftige Generation­en auf Dauer belastet.

Schafft das Ganze mehr Gerechtigk­eit? Nein. Zum einen wird damit das Äquivalenz­prinzip ausgehebel­t, denn die Höhe der Rente richtet sich dann nicht mehr nur nach dem Beitrag. Das schafft neue Ungerechti­gkeiten: Was soll denn ein Arbeitnehm­er zu dem 448-Euro-Zuschuss für die Friseurin sagen, der sich 960 Euro Rente selbst erarbeitet hat? Vielleicht, weil er sich mehr fortgebild­et oder als beruflich mobiler erwiesen hat? Der zweite Knackpunkt ist der Wegfall der Bedürftigk­eitsprüfun­g. Damit können auch Menschen, die zwar wenig sozialvers­icherungsp­flichtig gearbeitet haben, aber dennoch über ein hohes Vermögen verfügen, in den Genuss der geplanten Grundrente kommen. Die sprichwört­liche Zahnarzt-Gattin lässt grüßen.

Die Grundrente ist damit eine Art bedingungs­loses Grundeinko­mmen für Senioren. Mit dem Fürsorgepr­inzip, wonach der Staat Bedürftige­n hilft, aber ansonsten jeder für sich einsteht, hat sie nichts zu tun.

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DER PAPST AUF DEM MOND

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