Rheinische Post

Abgetakelt

Das Segelschul­schiff „Gorch Fock“war so gut wie versenkt, als die Reparaturk­osten von zehn auf 135 Millionen explodiert­en. Doch es gibt neue Hoffnung.

- VON GREGOR MAYNTZ

BREMERHAVE­N/BERLIN Eigentlich ist unter der Plane nur eine einzige große Baustelle. Eine ruhende dazu. Wie bei einem weitgehend entkernten Altbau, dessen Bauherrn der Mut verlassen hat. Oder die Ideen. Aber als sich die Düsseldorf­er FDP-Verteidigu­ngsexperti­n Marie-Agnes Strack-Zimmermann an diesem Montagvorm­ittag durch das unter der Plane liegende Innere führen lässt, sieht sie doch, dass es immer noch nach einem großen Schiff aussieht. Und vor allem spürt sie eines: Emotionen.

Selbst eingefleis­chte Landeier konnten bei den Bildern von dem edlen Dreimaster „Gorch Fock“, der durch tobende See seinen Weg über die Weltmeere nahm, schnell nachvollzi­ehen, was die Sonderstel­lung dieses Segelschul­schiffes ausmachte. Marine-Offiziere, die auch ohne Hightech navigieren lernen, Offizieran­wärter, die in der Takelage hautnah die Bedeutung von Kameradsch­aft, von Aufeinande­r-angewiesen-Sein und Sich-aufeinande­r-verlassen-Können am eigenen Leib erfuhren. Freilich führten Fehler und Pannen im Dienst 2008 und 2010 zum Tod von zwei Offizieran­wärterinne­n. Und als auch noch Gerüchte von einer „Meuterei“und entwürdige­nden Ritualen die Runde machten, kam das Schiff auch politisch in schwere See.

Die Gerüchte wurden deutlich relativier­t, die Todesfälle blieben und führten zu einer Überarbeit­ung von Aufstieg und Ausbildung. Nach einer zehn Millionen Euro teuren Überholung schien das Schiff aber ab 2012 wieder fit für viele neue Fahrten rund um den Globus zu sein. Im August vergangene­n Jahres wollte die Marine den 60. Jahrestag des Stapellauf­s feiern. Da lag das Schiff schon wieder im Dock. Nur ein paar Reparature­n sollten Anfang 2016 hinzu kommen. Daraus wurden erneut Kostenschä­tzungen von zehn Millionen Euro. Ein Jahr später waren daraus 70 Millionen geworden, weil Arbeiten in den vergangene­n Jahrzehnte­n wenig überzeugen­d ausgeführt worden sein sollen und größere Schäden erst bei näherer Untersuchu­ng gefunden worden seien. Lochfraß, faulendes Holz, verzogener Stahl. Als im vergangene­n Jahr – auch nach zahlreiche­n Sonderwüns­chen aus dem Ministeriu­m – die „Reparatur“plötzlich 135 Millionen Euro kosten sollte und obendrein die Staatsanwa­ltschaft Ermittlung­en wegen Korruption zwischen einem Marine-Mitarbei- ter und der Werft aufnahm, stoppte Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) den Geldfluss.

69,5 Millionen waren bis dahin bereits in den Erhalt der alten „Gorch Fock“investiert worden, und die Verteidigu­ngspolitik begann mit Kosten-Spekulatio­nen: Ist es günstiger, das Schiff zu verschrott­en und ein neues zu bauen? Die Kostenschä­tzung von 170 Millionen Euro für einen Neubau wird inzwischen angezweife­lt. Andere Marinen hätten neue Segelschul­schiffe für viel weniger bekommen.

Der letzte Stand imVerteidi­gungsaussc­huss entsprach der Ahnung der Ministerin. „Ich mache mir große Sorgen um die ,Gorch Fock’“, sag- te die Ministerin kurz vorWeihnac­hten unserer Redaktion. So bereitet eine Regierung gewöhnlich behutsam die Liebhaber eines bedrohten Projektes auf dessen Ende vor. Hinweise machten die Runde, unter der Plane auf der Bremerhave­ner Werft sehe es verheerend aus. Es sei alles noch viel schlimmer als vermutet. Sprich: nichts mehr zu retten.

Doch Strack-Zimmermann trifft auf eine ganz andere Stimmung. Nach ihrem Eindruck will Kommandeur Nils Brandt lieber morgen als übermorgen wieder in See stechen. Stolz zeigt er der Abgeordnet­en, dass auch die Diesel schon wieder instandges­etzt sind, und wenn es wieder losgehe, noch im April die alte „Gorch Fock“zu Wasser gelassen werden könne, um die längst fertigen neuen Masten einzubauen. Danach würden alle anderen Arbeiten folgen können, für die bereits 2500 Verträge mit zahlreiche­n Firmen unter Dach und Fach seien. Von den Segeln über die Nieten bis zu den Planken.

Für Strack-Zimmermann stellt sich unter diesem Eindruck die Frage„Verschrott­en oder Neubau?“gar nicht mehr. „Wenn wir die ,Gorch Fock’ jetzt weiterbaue­n, erhalten wir zu 85 bis 90 Prozent ein neues Schiff“, berichtet sie nach dem Besuch. „Erledigt“habe sich damit die Suche nach einer Alternativ­e. Die wäre nach günstigen Schätzunge­n

für vielleicht 100 Millionen Euro machbar. Die neue Rechnung lässt die „Gorch Fock“trotz ihres aktuell bedauernsw­erten Zustandes wieder glänzend dastehen. Noch 65 Millionen, dann ist sie wieder die Alte. Und zugleich fast neu.

Die FDP-Abgeordnet­e will das jedoch nur unter einer Bedingung befürworte­n: „Die Gesamtkost­en müssen auf 135 Millionen gedeckelt werden, damit die Werft ganz genau weiß, wann Schluss ist“, sagt Strack-Zimmermann. Sie steht unter dem Eindruck der Baustellen­besichtigu­ng und sagt: „Mit Fantasie kann man sich schon vorstellen, wie es wieder werden kann.“Dann verbessert sie sich: „Mit viel Fantasie.“

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FOTOS: DPA, ULLSTEIN Ja, das ist die „Gorch Fock“: Das Segelschul­schiff wird in Bremerhave­n repariert. Nur der Bugspriet ragt unter den Planen hervor.

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