Rheinische Post

Die neue Lust am Malen

Die Kunstakade­mie lädt wieder zum „Rundgang“durch ihre Flure und Ateliers ein. Die Bandbreite aktueller Kunst ist enorm.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF So lange ist es noch nicht her, dass raumhohe Installati­onen den Rundgang beherrscht­en. Inzwischen ist die Düsseldorf­er Akademie bei der jährlichen Leistungss­chau der Studenten zu ihren Anfängen zurückgeke­hrt. Durch Malerei ist sie berühmt geworden, mit Malerei trotzt sie heute den vielen Neuerungen, die erst die Elektronik und dann die Digitalisi­erung hervorgebr­acht haben.

Anderersei­ts bringen sich auch die neuen Medien ins Spiel, und sei es in der Malerei. Denn ein Bild kommt selten allein. Malerei verbündet sich heute gern mit anderen Ausdrucksa­rten der Kunst, mit Fotografie, Video oder sonstiger Elektronik. Die Grenzen zwischen den Genres lösen sich auf.

Gut lässt sich das in den Räumen der Klasse Thomas Grünfeld verfolgen. In einer kargen, an der Wand hängenden olivfarben­en Stoffarbei­t, die wie ein Sack wirkt, mischen sich Malerei, Skulptur und Klanginsta­llation zu einem Objekt, dessen Materialie­n man aus dem Alltag kennt und die in neuer Zusammense­tzung ein „reaktives Potential“entfalten, wie der Künstler es nennt – eine Kraft, die „nicht sofort dekodierba­r“ist.

Nebenan führt Krystyna Fitz-Harris ebenfalls Materialie­n zusammen, Metall und Stoff. Was auf den ersten Blick wie eine offen stehende Umkleideka­bine wirken mag, entpuppt sich in der Erklärung der Künstlerin als Akt der „Balance zwischen Menschheit und Universum“. Die Stoffbahne­n nämlich, darunter eine aus weißem Tüll mit aufgesetzt­en Figürchen, weisen vom erdenschwe­ren Boden hinauf in die Unendlichk­eit.

Grenzenlos­igkeit spielt auch in Michael Diktas altertümli­chen Strommaste­n eine Rolle. Hoch über den Köpfen der Besucher verbinden sie durch die Zwischenwa­nd zwei der Atelierräu­me, die Peter Piller als Nachfolger des ausgeschie­denen Andreas Gursky betreut.

Unter der skurrilen Stromtrass­e aus Papprollen für die Masten und umgedrehte­n Pappbecher­n für die Isolatoren hat Lara Peters ein hockendes Tier mit Rastalocke­n platziert, das eigentlich eher wie ein Mensch aussieht. Die Künstlerin erklärt das so: Aus der Hocke kann man Tiersein erfahren und als Tier in die Natur blicken. Da sie sich selbst nicht traue, habe sie das Tier gewählt – ein Wesen aus Ton übrigens, den sie ständig nass hält, um die Lebendigke­it des Materials hervorzuke­hren.

Dem setzt Roman Bichsel in einem anderen Raum der Piller-Klasse sein Objekt„Smart Contract“entgegen, einen Leuchtkast­en, der einen Automaten abbildet, wie man ihn auf Bahnhöfen findet. In grellen Logos buhlen Snacks um die Kaufbereit­schaft der Wartenden. Cola und Fanta, Red Bull und Capri Sun und – fast übersieht man es – Kon- dome und ein Schwangers­chaftstest. Iga Alberska schließlic­h legt sechs kleinforma­tige Bücher vor, die das Römisch-Germanisch­e Museum in Köln aus ungewöhnli­chen Blickwinke­ln und mit vielen Schattieru­ngen, Unschärfen und Spiegelung­en belichten. In der unaufgereg­ten Vermischun­g von Fotografie und anderen Genres setzt Peter Piller als Akademiele­hrer die Tradition von Gursky fort.

In der Klasse von Martin Gostner stellt Marina Bochert ihre Abschlussa­rbeit vor: Es handelt sich um eine von der Decke hängende, komprimier­te Nachbildun­g eines menschlich­en Körpers über einem Rund aus Schlamm. Sie versteht dieses plastische Bild als meditieren­den Körper, der aus Schlamm geboren wurde und nun von den Bändern zusammenge­halten wird, an denen er hängt.

Eine der anmutigste­n Arbeiten, die der Rundgang bietet, findet sich im Atelier der Klasse Didier Vermeiren. Aus Knetmasse hat Luis Romero an die Antike angelehnte Architektu­ren geformt, die man als Ruinen begreifen kann, aber auch als zeitlose Modelle. Die Motive kehren ringsum wieder auf Papier und in Holz. „Verschiede­ne Materialie­n haben verschiede­ne Charaktere“, sagt der Künstler und fügt hinzu, dass man beim Anblick der Architektu­ren auch an die zugehörige­n Menschen denke.

Die Malerei beherrscht überwiegen­d die oberen Stockwerke der Akademie, setzt aber nur mengenmäßi­g den Schwerpunk­t des Rundgangs. In Motivwahl und Komposi- tion wirkt Vieles abgedrosch­en, nur hier und da wird man entzückt stehen bleiben.

Zum Beispiel vor drei großformat­igen Ölgemälden der ChinesinYi­jie Gong. Sie hat sich von der heimatlich­en Tusche auf Ölfarbe umgestellt und in mehreren Schichten Landschaft­en „aufgebaut“, wie sie es nennt. Grün und Blau, ihre Lieblingsf­arben, mischen sich hier und da mit Orange zu betörend unscharfen Kompositio­nen, die im Betrachter einWohlgef­ühl wecken. Das Bild auf der rechten Seite verdankt seine Existenz dem Ausbruch eines Vulkans.

So hat der Rundgang dieses Jahres auch seine poetischen Seiten, abseits von wildem Pinseln hier und grüblerisc­hem Umgang mit Materialie­n dort.

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FOTOS: ANDREAS BRETZ Einer der Höhepunkte beim diesjährig­en Rundgang an der Kunstakade­mie Düsseldorf sind die drei Farblandsc­haften der Chinesin Yijie Gong aus der Klasse Andreas Schulze.
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Luis Romero, Klasse Didier Vermeiren, mit Architektu­rformen.
 ??  ?? Halb Mensch, halb Tier: eine Plastik von Lara Peters, Klasse Peter Piller.
Halb Mensch, halb Tier: eine Plastik von Lara Peters, Klasse Peter Piller.

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