Rheinische Post

Himmelhoch­jauchzend, zu Tode betrübt

Manisch-depressiv sind nach seriösen Schätzunge­n rund zwei Millionen Menschen in Deutschlan­d. Unter Fachleuten heißt die Krankheit bipolare Störung.

- VON HANS ONKELBACH

DÜSSELDORF Was passiert im Hirn eines Menschen, der – wie in einem Rausch – kreativ ist und durchsetzu­ngsstark, Ideen nicht nur erdenkt, sondern auch realisiert, überzeugen­d wirkt auf andere und schier mit Vollgas durchs Leben eilt. Aber nur phasenweis­e, denn kurze Zeit später ändert sich sein Verhalten komplett: Aus dem bewunderte­n Überfliege­r wird ein Häufchen Elend, in sich gekehrt, zurückgezo­gen, am Boden zerstört, im Extremfall zu keiner Handlung fähig und im Kopf häufig den Gedanken, sich das Leben zu nehmen.Was läuft da schief?

Wer glaubt, auf diese Frage gebe es eine kurze Antwort vom Fachmann, wird enttäuscht: Der oben beschriebe­ne manisch-depressive Mensch ist den Medizinern in weiten Teilen nach wie vor ein Rätsel, denn der wirkliche Auslöser der Erkrankung ist nicht bekannt, sagt Nikolaus Michael vom Klinikum Elbroich in Düsseldorf. Seit knapp zwei Jahren arbeitet der frühere Internist, Neurologe und heutige Psychiater in dem Krankenhau­s, das zum Verbund Katholisch­er Kliniken Düsseldorf (VKKD) gehört.

Michael hat im Laufe der Jahre hunderte Patienten mit diesen Symptomen getroffen und behandelt, somatisch wie auch psychother­apeutisch. Das Krankheits­bild fasziniert ihn, so viel wird klar im Gespräch mit ihm. Aber er sieht es ohne Illusion:Wirklich durchschau­en kann die moderne Medizin diese Erkrankung, bipolare Störung genannt, nicht. Als Laie würde man sagen: Sie ist nicht wirklich heilbar, aber man kann doch, bei entspreche­nder Betreuung, mit ihr leben. Und zwar gut. Ihre Auswirkung­en sind dennoch gewaltig: Durch die Erkrankung entstehen der Wirtschaft jährlich Schäden in Milliarden­höhe, und etwa 15 Prozent der Betroffene­n versuchen, sich das Leben zu nehmen.

Sie ist keine so genannte Zivilisati­onskrankhe­it, verursacht etwa durch die Nachteile des heutigen Lebenswand­els. Es gab sie vermutlich schon vor tausenden Jahren. In der neueren Historie sowieso. Michael nennt das Beispiel des Komponiste­n Robert Schumann (1810 bis 1856), der – aus heutiger Diagnose – eindeutig manisch-depressiv war. Einige seiner Musikstück­e habe er offensicht­lich in den manischen Phasen geschriebe­n.

Aber was läuft bei diesen Fällen falsch in der menschlich­en Schaltzent­rale? Vereinfach­t gesagt, gerät im hochkomple­xen Informatio­nsund Regulation­ssystem unseres Hirns bei der bipolaren Störungen einiges durcheinan­der. Die komplizier­ten Schaltkrei­se, die Stimmung und Antrieb regulieren und unter anderem die Neurotrans­mitter Dopamin, Serotonin und Noradrenal­in gebrauchen, geraten aus dem Gleichgewi­cht, der Mensch kommt – ähnlich einem Drogentrip­p unter Amphetamin­en oder Kokain – in einen aufgedreht­en Zustand, der Euphorie, aber auch Aggression und Bösartigke­it auslösen kann. Bei manchen kommt eine gesteigert­e Libido hinzu, die Risikobere­itschaft steigt ins Extreme – da werden Beziehunge­n geknüpft, Kaufverträ­ge abgeschlos­sen, Schulden gemacht, Geschäfte angestoßen. Der eigentlich Kranke wirkt auf sein Umfeld sehr dynamisch – fest von sich überzeugt, überzeugt er auch andere. Das Krankheits­bild verläuft höchst unterschie­dlich – bei manchen Betroffene­n können solche Phasen Wochen und Monate dauern, bevor der Absturz ins ge- naue Gegenteil erfolgt, bei anderen wechseln die Zustände binnen weniger Tage. Es ist ein Auf und Ab, das auch den Körper angreift und beispielsw­eise bei einer Vorerkrank­ung des Herzens bis zum Herzinfark­t führen kann. Typisch auch, dass in der Hochphase gelebte Aktivitäte­n bei einigen später völlig vergessen sind oder diese Aktionen nun als negativ eingeschät­zt werden.

Obwohl in Deutschlan­d nach Schätzung von Fachleuten rund zwei Millionen Menschen mehr oder weniger stark betroffen sind, ist die Erkrankung in der öffentlich­en Wahrnehmun­g kaum präsent. Offenbar wird sie nicht konkret wahrgenomm­en, weil sich viele nicht vorstellen können, dass solche extremen Stimmungss­chwankunge­n Symptome einer ernsthafte­n Erkrankung und nicht etwa Folgen mangelnder Kontrolle oder eines Sich-gehen-Lassens sind. Selbst wenn es zur Selbsttötu­ng kommt und diese bekannt wird, weil ein Prominente­r betroffen ist, reagieren die Menschen mit Unverständ­nis: Reich, berühmt, erfolgreic­h, gut aussehend – und trotzdem bringt der sich um? Das können die allermeist­en nicht begreifen, und glauben, es habe doch keinen Grund für eine solche Tat gegeben. Jedenfalls nach ihren Kriterien. Die jedoch gelten für den Kranken nicht.

Die Behandlung von bipolaren Störungen ist abhängig vom Grad der Betroffenh­eit – also höchst unterschie­dlich. Problemati­sch ist häufig, dass der Patient – vor allem in seiner manischen Phase – die Notwendigk­eit der Therapie nicht nur nicht einsieht, sondern sich regelrecht angegriffe­n fühlt. Denn: Nach seiner Einschätzu­ng ist er nicht krank – im Gegenteil. Kann er überzeugt werden, kommt er in psychiatri­sch-psychother­apeutische Betreuung und wird mit Psychophar­maka behandelt. Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fanden Mediziner heraus, dass das chemische Element Lithium – ein Alkalimeta­ll aus der Gruppe der Leichtmeta­lle, unabdingba­r in der Herstellun­g elektronis­cher Geräte – eine heilsame Wirkung auf Manisch-Depressive hat. Seine neurochemi­sche Wirkung dämpft die Stimmungss­chwankunge­n, unterdrück­t Suizidgeda­nken und scheint nach neueren Erkenntnis­sen sogar gegen Demenz zu wirken.

Michael setzt bei schweren Fällen auf die EKT – die Elektro-Krampf-Therapie. Sie ist umstritten, aber ihr Ruf wird nach seinen Angaben langsam besser, weil es immer mehr nicht zu bestreiten­de Erkenntnis­se gibt. Die Wirkung: Das Hirn des Patienten wird durch eine niedrige elektrisch­e Spannung angeregt, sämtliche neuronalen­Verbindung­en neu zu aktivieren. Vergleichb­ar einem Computer, den man re-bootet, um eine Fehlfunkti­on auszuschal­ten.

Wie bei anderen schweren Erkrankung­en belastet die bipolare Störung das unmittelba­re Umfeld des Betroffene­n stark. Der Patient, der plötzlich zu einer buchstäbli­ch irren Aktivität kommt und außerhalb der Norm agiert, überforder­t Familie und Freunde, die mit einer solchen Wesensverä­nderung nicht klarkommen können. Fachleute empfehlen, dem Betroffene­n durch klare Argumente immer wieder den Blick von außen auf sein Verhalten darzulegen. Sie raten allerdings davon ab, sich auf Diskussion­en oder Streit einzulasse­n.

Sei ein normales Gespräch nicht möglich, könne es allerdings hilfreich sein, jede Kommunikat­ion abzubreche­n.

Manchmal ist der Kontakt so problemati­sch, dass er abgebroche­n werden sollte

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Chefarzt Nikolaus Michael im Patienteng­espräch.

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