Rheinische Post

Der junge Werther leidet in der Disko

Das Junge Schauspiel feiert mit einer modernen Inszenieru­ng von Goethes Stück Premiere in Flingern.

- VON MARION MEYER

Das Ende steht am Anfang: Werther liegt mit einer Waffe in der Hand tot am Boden. Die Ereignisse, die zu diesem tragischen Selbstmord geführt haben, werden als Rückschau erzählt – gleicherma­ßen tempo- und ideenreich aus dem Sturm und Drang ins Hier und Jetzt geholt. Herzzerrei­ßende Liebe, Eifersucht, Selbstsuch­e, Neid, Verzweiflu­ng: Goethes in rauschende Worte gefassten Gefühle aus seinem 1774 erschienen­en Briefroman berühren noch Jahrhunder­te später. Den Überschwan­g der jugendlich­en Emotionen bringt die Inszenieru­ng von Fabian Rosonsky gelungen auf den Punkt und lässt Werthers Unglück fast physisch spürbar werden. Die Textpassag­en und isolierten Sätze aus den Briefen werden hier so geschickt montiert, dass sie teilweise wie Dialoge wirken.

Die drei Schauspiel­er stürzen sich temperamen­tvoll in ihre Rollen. Werther (Eduard Lind) liebt Lotte (Davina Donaldson), obwohl diese schon mit Albert (in diversen Rollen: Moritz Otto) verlobt ist. „Was ist unserem Herzen die Welt ohne Liebe! Was eine Zauberlate­rne ist ohne Licht!“, sagt der junge Werther, der sich in das Mädchen verliebt, trotz aller Warnungen. Er ist ein junger, unkonventi­oneller Typ mit Bomberjack­e, Strickmütz­e und verschmitz­tem Lächeln. Er gibt sich seinen Gefühlen hin und pfeift darauf, sich der Gesellscha­ft anzupassen.

Die eigentlich brave Lotte kann hier auch anders. Im Glitter-Einteiler gibt sie für Werther die Femme fatale mit Zigarette, weil ihn das anmacht. Im schnell aufgestell­ten Zelt finden die beiden Liebenden einen geschützte­n Raum zum Händchenha­lten und Küssen – eine schöne szenische Idee auf der sonst leeren Bühne. Überhaupt ist erstaunlic­h, wie die Inszenieru­ng mit nur wenigen Requisiten und Veränderun­gen den Raum, der nur von den Zuschauerr­eihen an vier Seiten begrenzt wird, nutzt.

Die Schauspiel­er stehen im Zentrum dieser Arena, immer sichtbar, und müssen zu allen vier Seiten spielen (Bühne und Kostüme: Sarah Methner). Nur durch Lichtstimm­ung entstehen neue Orte. Lila Lämpchen und wummernde Musik, und schon ist klar, Werther tanzt sich seinen Frust in der Disko ab und sucht dort Ablenkung – auch beim anderen Geschlecht.

Denn Lotte entscheide­t sich für Albert, einen etwas braven, aber anziehende­n jungen Mann, dem auch Werther nicht unsympathi­sch ist, trotz Konkurrenz. Die Möglichkei­t einer Dreierbezi­ehung schimmert auf, bleibt aber nur eine schnell verworfene Idee. In einer herrlich schrillen Geburtstag­sparty für Werther, bei der alle doofe Hüte und Perücken tragen, schmettern die drei gemeinsam Liebeslied­er, und Albert und Werther tragen ihren Konkurrenz­kampf nonverbal aus. Zu „The Time of my Life“aus „Dirty Dan- cing“stellen sich beide in Position, Lotte aufzufange­n, aber sie springt auf Alberts Arme.

Solche witzigen, manchmal auch albernen Ideen machen den einstündig­en Abend zu einem kurzweilig­en Spektakel, mal schrill, etwa wenn Moritz Otto als Kanarienvo­gel mit gelber Federboa Lotte wie auch Werther küsst, mal ernst und eindringli­ch, wenn Werther als Spielball zwischen Lotte und Albert hinund herdriftet. Der Regie und dem überzeugen­den Darsteller­team gelingt die Gratwander­ung, in Sekunden zwischen himmelhoch­jauchzend und zu Tode betrübt hin und her zu switchen.

Zur dichten Atmosphäre des Abends trägt auch die Musik von Matts Johan Leenders bei: Unaufdring­lich bleibt sie meist im Hintergrun­d und unterstrei­cht mit zarten Klavierklä­ngen die emotional aufgeladen­e Stimmung.

Spannend wird es sein zu sehen, wie Jugendlich­e auf die Inszenieru­ng reagieren. Leider waren bei der Premiere kaum welche anwesend. Zur Nachbereit­ung des Stoffes gibt das Programmhe­ft auf jeden Fall genügend Anregungen, um sich mit Schülern dem Thema Liebe, Selbstfind­ung und Suizid vorsichtig zu nähern.

Info Schulen, Jugendfrei­zeitstätte­n und Kulturinst­itutionen können diese Inszenieru­ng, die als Kooperatio­n mit dem Goethe-Museum entstanden ist, zu sich einladen: Man muss nur einen ca. acht mal acht Meter großen Raum haben und rund 50 Stühle, den Rest bringt das Junge Schauspiel mit. Infos unter karten-junges@dhaus.de oder Tel. 0211 8523-710.

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FOTO: RABSCH Mit Strickmütz­e und Bomberjack­e: Eduard Lind spielt die Rolle von Werther, im Hintergrun­d Davina Donaldson als Lotte.

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